Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Schleswig-Holstein:Wie Albig seine Koalition retten kann

Die Regierung in Schleswig-Holstein hat Mensch vor Geld gestellt. Das muss der Ministerpräsident betonen, will er sein Bündnis erhalten.

Kommentar von Thomas Hahn, Kiel

Es gehört dieser Tage zu den Kernaufgaben des Ministerpräsidenten Torsten Albig, in Schleswig-Holstein keine Wechselstimmung erkennen zu können. Mit seiner SPD und seinen Koalitionspartnern, den Grünen und dem SSW, bestreitet er gerade den Endspurt des Landtagswahlkampfs.

Viele Menschen überlegen noch, wem sie am kommenden Sonntag ihre Stimme geben sollen. Die letzten Eindrücke vor der Entscheidung sind besonders wichtig, deshalb lässt Albig gerade keinen Zweifel an den bestehenden Verhältnissen gelten - obwohl die CDU in den jüngsten Umfragen knapp vor den Sozialdemokraten liegt.

Die Verhältnisse im nördlichsten Bundesland sind kompliziert, die Mehrheitsverhältnisse hängen auch davon ab, ob es AfD und Linke in den Landtag schaffen. Aber sicher ist: Die Küstenkoalition wackelt, der Wahlausgang ist offen. Ampel-, Jamaika-, große Koalition - alles scheint möglich zu sein.

Wenn Albig wirklich das Bündnis mit den Grünen und der Partei der dänischen Minderheit retten will, muss er mehr tun, als nur den üblichen Wahlkampf-Optimismus runterzuschnurren. Er muss klarmachen, was verloren ginge, wenn die Regierung nach nur fünf Jahren wieder einmal wechseln würde.

Es geht bei der Wahl zum Kieler Landtag um mehr als nur irgendeine Machtarithmetik. Es geht um einen Politik-Entwurf, der Mensch und Natur einen viel größeren Stellenwert einräumt, als dies bisher der Fall war. Seine SPD wolle Schleswig-Holstein zu einer "sozialen, ökonomischen, ökologischen Modellregion" machen, hat Albig gesagt, als die SPD ihn im Herbst als Spitzenkandidaten bestätigte.

Das strukturschwache Land zwischen Nord- und Ostsee solle demnach ein Politikverständnis vorleben, das sich nicht nur an Jahresbilanzen und Verwaltungsfragen orientiere, sondern auch an dem, was im Interesse der gesamten Gesellschaft liege.

Das sagen viele. Albigs Koalition hat versucht, eine solche Politik zu praktizieren. Das zeigt schon die Kritik, der sie sich ausgesetzt sieht: Die CDU findet, dass das Finanzministerium unter der Grünen Monika Heinold das Land in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen nicht gut genug auf die nächste konjunkturelle Delle vorbereitet habe.

Albigs Koalition hat ein anderes Regierungsverständnis geprägt

Auch der Landesrechnungshof hat gemurrt, die Regierung sei nicht sparsam genug. Die FDP sieht in der Agrarpolitik des grünen Ministers Robert Habeck für mehr Tierwohl und Umweltschutz die Freiheit der Bauern eingeschränkt. SPD-Verkehrsminister Reinhard Meyer wird getadelt, weil er Infrastrukturprojekte nicht vorangebracht habe.

Aber für ein Bürgertum, das sich nicht nur auf die Vernunft der Wirtschaftselite festlegen lassen will, hat die Küstenkoalition Zeichen gesetzt. Heinolds Finanzpolitik diente dem sozialen Ausgleich, gleichzeitig gelang es ihr, ausgeglichene Haushalte vorzulegen - auch, indem sie die Grunderwerbssteuer erhöhte.

Habeck hat mit seinen Verordnungen die Kritik an der hemmungslosen Massentierhaltung aufgegriffen. Und dass Meyer Straßen nicht so schnell bauen konnte, wie er selbst das gerne wollte, zeigt auch, dass diese Regierung es mit der Bürgerbeteiligung ernst meint.

Die Küstenkoalition hat Schleswig-Holstein nicht in einen Ort der Seligen verwandelt. Im Gegenteil, ihr Mut zur Veränderung hat auch viel Streit und Ärger mit sich gebracht. Gerade den Ausbau der Windenergie im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel empfinden viele Menschen im Land als brutalen Eingriff in ihre Heimat.

Aber immerhin hat die Albig-Regierung - so gut sie es konnte - einen schwierigen Versuch auf den Weg gebracht: nämlich im Dialog mit den Bürgern eine Zukunft zu gestalten, in der die Natur im Vergleich zum Geld ein bisschen mehr Macht bekommt.

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SZ vom 03.05.2017/oko
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