Das Wahljahr 2017 wird zum Jahr der rasenden Stimmungswechsel. War der Anfang beherrscht von einem Trend, der die Sozialdemokraten in ungeahnte Höhen katapultierte, so wird das Frühjahr zur Renaissance der Christdemokraten. Noch vor einem Monat konnte die SPD in Schleswig-Holstein auf einen souveränen Erfolg und eine Bestätigung der bisherigen Koalition hoffen; am Ende aber hat sie binnen weniger Wochen ebenso deutlich Federn gelassen.
Das lag auch an einem schlecht agierenden Ministerpräsidenten Torsten Albig. Aber schlimmer für die SPD ist die Erkenntnis, dass die Flügel, die ihr Martin Schulz im Januar verpasste, gestutzt sind. Seine Schubkraft hat Grenzen. Im Augenblick geht es für die SPD wieder dorthin, wo sie auf keinen Fall mehr hinwollte: in den 20-Prozent-Keller.
Damit könnte tatsächlich eintreten, was man vor der Wahl im Saarland Mitte März für unmöglich gehalten hätte: dass ausgerechnet dieses kleine Land im Westen den Trend pro SPD brechen könnte. Bislang scheint genau das der Fall zu sein. Die damaligen Debatten über ein rot-rotes Bündnis und die Abwehrkräfte, die das auslöste, konnte die SPD seither nicht mehr umkehren. Plötzlich hatte Schulz nicht mehr sich und seine SPD groß geredet, sondern sich auf Koalitionsdebatten eingelassen.
Erst hatte er mit der Linken im Saarland geliebäugelt - und als das schief ging, mit der FDP im Bund geflirtet. So etwas wirkt nicht selbstbewusst, sondern verunsichert die Leute. Es gibt plötzlich keine Richtung mehr vor, obwohl gerade das so wichtig wäre. Es war der Knick, den Schulz und die SPD bislang nicht mehr glatt bekommen.
Fröhlicher Frühling für die Kanzlerin
Für die CDU und ihre Kanzlerin ist aus Monaten des Missvergnügens plötzlich ein fröhlicher Frühling geworden. Spätestens mit der Wahl im nördlichsten Bundesland ist aus dem Saarland-Ergebnis deutlich mehr erwachsen. Dort hatten viele erklärt, es sei vor allem die beliebte Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer gewesen. Jetzt kommt ein junger, ziemlich unbekannter Christdemokrat namens Daniel Günther daher, der den bis vor kurzem sehr selbstbewussten Torsten Albig aus dem Feld schlägt.
Keine Frage, Albig hat zuletzt schwerste Fehler gemacht, vor allem mit einem Interview über Scheidung und Neuanfang, in dem er verständnisvoll wirken wollte, aber tatsächlich unzählige Frauen vor den Kopf gestoßen haben dürfte. Trotzdem bestätigt sich in Schleswig-Holstein ein bundesweiter Trend, der die CDU bundesweit beflügelt und den viele CDU-interne Merkel-Kritiker noch vor Wochen für unmöglich gehalten hätten. Selbst wenn nicht endgültig feststeht, wer künftig in Kiel Ministerpräsident sein wird: Für die Kanzlerin und ihre Unterstützer in der Partei ist das ein Punktsieg, der ihr auch bei der Wahl in einer Woche in Nordrhein-Westfalen sehr helfen dürfte.
Ein herausforderndes Ergebnis für FDP und Grüne
Hoch zufrieden können die Grünen und die FDP sein. Letztere wird das Ergebnis von Kiel auch in Berlin ungeschminkt feiern und sich hochleben lassen. Für die Grünen dagegen hat der große Erfolg im Norden eine vergiftete Note. Ausgerechnet Robert Habeck und seine Grünen in Schleswig-Holstein erreichen ein Resultat, von dem die Grünen im Bund derzeit nur träumen können. Und das auch noch mit einem Wahlkampf, in dem er sich von den Berlinern ungeschminkt distanziert hatte. Habeck und die Spitzenkandidatin in Kiel dürfen sich zutiefst bestätigt fühlen. Die Grünen in Berlin müssen sich dagegen fragen lassen, warum sie von so einem Ergebnis meilenweit entfernt sind. Die Debatten über ihre Schwächen werden noch lauter werden.
Auf den zweiten Blick freilich hält das Ergebnis für FDP und Grüne eine große Herausforderung bereit. Wenn sie ihre eigenen Worte ernst nehmen, also eine große Koalition im Land zwischen den Meeren verhindern möchten, dann müssen sie sich - sollte die AfD den Weg in den Landtag schaffen - auf das einlassen, was sie bislang ganz und gar unangenehm, ja unerträglich fanden: sie müssen sich fragen, ob sie in einer Koalition gemeinsame Sache machen. Dabei gibt es einen Vor- und einen Nachteil.
Der Vorteil: Robert Habeck und Wolfgang Kubicki pflegen seit Jahren ein burschikos-freundliches Verhältnis. Darauf ließe sich aufbauen. Der Nachteil: Grüne und FDP in Berlin fürchten nichts so sehr, wie unter dem Zwang eines Kieler Ergebnisses die eigene, einigermaßen klare Linie zugunsten von Kompromissen aufgeben zu müssen. Für Dogmatiker ist das ein Albtraum; für Demokraten eine besonders reizvolle Aufgabe.