Landtagswahl in Schleswig-Holstein:Die Ampel steht auf Rot-Grün-Blau

Erstmals strebt die Partei der deutschen Dänen in Schleswig-Holsteins Regierung, sehr zum Ärger der CDU. Deren Spitzenkandidat Jost de Jager hatte den SSW im Wahlkampf als "Steigbügelhalter" für ein "Linksbündnis" bezeichnet. Doch die Minderheitenvertretung bleibt bei ihrem Credo: "Wir wollen den Wechsel."

Ralf Wiegand, Kiel

Sieben Jahre sind eine lange Zeit, aber jetzt, da sie dort oben im Norden einer Wiederholung der Geschichte immer näher kommen, erwacht die Erinnerung an jenen 17. März 2005. An die tonlose Stimme des Landtagspräsidenten, der Wahlgang um Wahlgang ausrufen musste, weil es einfach keine Mehrheit geben wollte. An die unterm Tisch verwelkenden Blumen für die alte und vermeintlich neue Ministerpräsidentin Heide Simonis. An die Tumulte im Kieler Landeshaus, wenn wieder eine Stimme fehlte. An das Gedränge im Foyer, wo Journalisten ihre Redaktionen beruhigen mussten: Text kommt später. Und schließlich an das Ende einer Regierungsidee, die zum damaligen Zeitpunkt das Mutigste gewesen wäre, was es in Deutschland bis dahin je gegeben hatte - eine von einer Minderheitenvertretung tolerierte Minderheitsregierung, die eine Stimme Vorsprung gehabt hätte.

Landtagswahlkampf in Pinneberg

SPD-Kandidat Torsten Albig will mit Hilfe des SSW in Schleswig-Holstein regieren.

(Foto: dapd)

Jetzt, sieben Jahre später, sind alle vorsichtiger beim zweiten Versuch. SPD, Grüne und der SSW haben sich fest für eine Koalition verabredet, falls die Sitzverteilung nach der Wahl am kommenden Sonntag sie zulassen sollte. "Wir haben 2005 und auch jetzt in Nordrhein-Westfalen lernen müssen, dass die Tolerierung einer Regierung in Deutschland nicht zum Alltag gehört", sagt Anke Spoorendonk, die Spitzenkandidatin des SSW. Deshalb habe ihre Partei entschieden: Wenn schon, denn schon. Für wechselnde Mehrheiten, wie sie in skandinavischen Parlamenten üblich sind, seien deutsche Abgeordnetenhäuser "noch nicht reif". Also muss der SSW koalieren, würde diesmal sogar ein Ministeramt beanspruchen - die Partei der dänischen Minderheit ist zum Machtfaktor geworden.

Am Streit um eine mögliche Regierungsbeteiligung des SSW in Schleswig-Holstein sind alle Fairnessversprechen im Wahlkampf zerbrochen, die sich die Parteien zuvor gegeben hatten. Vor allem die CDU hat mit einer scharfen Kampagne per Flugblatt und auf Plakaten den SSW als "Steigbügelhalter" für ein "Linksbündnis" zum Schreckgespenst stilisiert und die Angst vor einer "Dänen-Ampel" geschürt.

Verschuldung, Abschaffung der Gymnasien, Auflösung kleiner Gemeinden - dafür stünde dieser Pakt, suggerierte Jost de Jager, Wirtschaftsminister und CDU-Spitzenkandidat, zuletzt wieder im TV-Duell mit SPD-Bewerber Torsten Albig. Mindestens fünf Mal erwähnte de Jager dabei das Schlagwort "Dänen-Ampel", als regierten die Dänen demnächst tatsächlich das Land zwischen den Meeren. Sie wären aber die mit Abstand kleinste Kraft in diesem rot-grün-blauen Dreier-Bund.

Am Status des SSW, politische Vertretung für etwa 50.000 Dänen mit deutschem Pass, scheiden sich in Schleswig-Holstein immer wieder die Geister. Etwa deshalb, weil die Partei mit ihren rund 3700 Mitgliedern zwar im deutsch-dänischen Grenzgebiet zum politischen Alltag gehört, in Flensburg etwa den Oberbürgermeister stellt, aber umso weniger wahrgenommen wird, je weiter man gen Süden Richtung Hamburg fährt. "Wir machen aber Politik für das ganze Land", sagt Spoorendonk, "und wir haben uns auch nie neutral verhalten." Auch das schwang im Wahlkampf mit: Der SSW, als Minderheitenvertretung von der Fünf-Prozent-Klausel befreit, solle zwar mitmachen dürfen im Landtag, aber nicht nach der Macht streben.

"Wir wollen den Wechsel"

Die neuerliche Debatte ist ein Beleg dafür, wie eng es im Wahlkampf an der Küste diesmal zugeht. Keine der großen Parteien kann sich ihres Machtanspruchs sicher sein, es ist offen, ob CDU oder SPD stärkste Partei wird. Und keine der kleineren Parteien kann sich darauf verlassen, bei einer Regierungsbildung gebraucht zu werden: Die große Koalition gilt als gangbarer Weg aus allen Farbspielen.

Durch den Boom der Piraten, die auf acht bis neun Prozent taxiert werden, ist das noch vor einem halben Jahr so sichere Bündnis zwischen SPD und Grünen fast unmöglich geworden. Erst dadurch hat sich der SSW zu seiner Koalitionsaussage durchgerungen: "Wir wollen den Wechsel", sagt Anke Spoorendonk, schon weil das der Gemeinsame Rat der dänischen Minderheit - eine Art Dachorganisation aller dänischer Einrichtungen und Organisationen in Deutschland und damit die Basis des SSW - so beschlossen habe: "Dagegen können wir uns nicht stellen."

Hintergrund ist die Sparpolitik der in Kiel amtierenden schwarz-gelben Koalition, die unter anderem dazu führte, dass der SSW jüngst erstmals in 25 Jahren einem Landeshaushalt nicht zugestimmt hat. "In Skandinavien ist es üblich, dass sich die Parteien über den Haushalt streiten, ihm dann aber zustimmen. Das haben wir auch immer gemacht, aber diesmal war es nicht mehr möglich." Vor allem wegen der Einschnitte in den Sozialetats und der Aufhebung der finanziellen Gleichstellung deutscher und dänischer Schulen: "Für diese Gleichberechtigung haben wir jahrelang gekämpft, das hatte eine hohe Symbolkraft" - und jetzt eine hohe Sprengkraft, als den dänischen Schulen Mittel gekürzt wurden.

Bisher hatte der SSW mit allen Parteien kooperiert, die Beziehung zur CDU sei seit dieser "unterirdischen Kampagne" belastet, sagt Spoorendonk. Für die CDU bleibt wegen ihrer eigenen Schwäche und jener der FDP nur der Weg in die große Koalition - und der führt nur über ein Scheitern rot-grün-blauer Träume. Allerdings trübt der Krach um die Dänen auch schon die Beziehung der Union zur SPD: Dort rätseln die Strategen jetzt, wie sie die sozialdemokratische Basis überhaupt noch in ein Bündnis mit einer solchen CDU führen sollen, die die Schlachten der Vergangenheit schlägt.

Immerhin darf die Union noch auf die Schatten der Vergangenheit hoffen: Der SSW fürchtet sich vor knappen Ergebnissen wie damals, als der nie gefasste "Heide-Mörder" zuschlug und dem Bündnis seine Stimme verweigerte. "Wir haben das als ernstes Problem erkannt", sagt Anke Spoorendonk. Wenn es eng wird, "dann müssen wir noch einmal sehr, sehr intensiv beraten". Zu wach ist die Erinnerung an den 17. März 2005.

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