Landtagswahl in NRW:Wenn der Kanzlerin die Partei wegbröckelt

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Nordrhein-Westfalen wählt, doch halbwegs spannend wird nur sein, ob es für Rot-Grün diesmal reicht. Während der SPD gar nichts anderes übrigbleibt als zu gewinnen, wird das Abschneiden der CDU das bestimmende Thema sein. Die von Röttgen angeführte Partei droht abzuschmieren, auch weil ihr Spitzenkandidat nie so gewirkt hat, als traue er sich einen Erfolg zu. Merkels Popularität ist ungebrochen. Sie enteilt ihrer Partei - was noch ein Problem für die Bundestagswahl wird.

Kurt Kister

Es gibt viele Ursachen dafür, dass in Deutschland die Wahlbeteiligung sinkt und Protestparteien wie früher die Linke und jetzt die Piraten Konjunktur haben. Zu den wichtigen Gründen dafür gehört auch ein weit verbreitetes Gefühl: Politisches Engagement, und sei es nur an der Wahlurne, schadet nichts. Aber es nutzt auch nichts.

Keiner ist so stark wie sie: Kanzlerin Merkel mit ihrem glücklosen NRW-Spitzenkandidaten Röttgen. (Foto: dpa)

Die Mehrheit der Deutschen lebt heute in relativ großer Freiheit und bestimmt nicht in Armut. Diese Stabilität trägt dazu bei, dass viele Menschen Politik als eine Angelegenheit betrachten, die sie eigentlich nichts angeht; etlichen sind Wahlen schlichtweg egal. Wenn sich Protagonisten der Ist-eh-wurscht-Fraktion der Mühe unterziehen, dies zu begründen, hört man oft Sätze wie: "Das machen sowieso die da oben unter sich aus" oder "Politik ist ein schmutziges Geschäft". Wäre das nicht so, hätten Nörgel-Bücher über machtgeile Politiker, vertuschende Medien und ausschließlich gierige Manager keine solche Konjunktur.

Nun ist es leider aber auch so, dass nicht wenige Politiker durch ihre tausendfach eingeübten Muster, Politik zu machen, Bürger und Wähler von der Politik entfremden. Ein Beispiel: Nach jeder Landtagswahl gibt es im Fernsehen die Runde der Generalsekretäre. Man fühlt sich stets, pardon, an eine Folge aus der Zombie-Serie "The Talking Dead" erinnert. Frau Lemke von den Grünen greift reflexartig Schwarz-Gelb an; Herr Gröhe von der CDU verbiegt jede Niederlage zum Sieg; Herr Döring von der FDP und Frau Lay von der Linken erklären, warum ihre am Abgrund balancierenden Parteien eine strahlende Zukunft vor sich haben. Die öde Inszenierung nach der dritten Hochrechnung törnt ab.

Altgrüne ohne Antworten

Auch an diesem Sonntagabend steht es wieder bevor. In Nordrhein-Westfalen wird die CDU wahrscheinlich abschmieren, auch weil ihr Spitzenkandidat Norbert Röttgen nie so gewirkt hat, als traue er sich einen Erfolg zu. Röttgen scheint zu jener Sorte Karrieremenschen zu gehören, die so viel in den Aufstieg investieren, dass ihnen dann nicht mehr genug bleibt, um an der Spitze das zu erreichen, weswegen sie eigentlich an die Spitze wollten. Die CDU wird möglicherweise ein richtiges Debakel erleben.

Der SPD bleibt angesichts des Zustandes der CDU an Rhein und Ruhr gar nichts anderes übrig als zu gewinnen; halbwegs spannend wird nur sein, ob es für Rot-Grün diesmal reicht. Die Grünen zittern, weil sie politisch und auch vom Wählerpotential her am meisten unter den seltsamen Piraten zu leiden haben. Sylvia Löhrmann, Claudia Roth oder Jürgen Trittin, die stark nach dem alten Westdeutschland riechenden Seniorgrünen, geben jedenfalls nicht die Antworten auf jene Fragen, deretwegen so viele zur Zeit den zur Partei gewordenen orangefarbenen Schwarm wählen.

Aber unabhängig von SPD und Grünen und jenseits des Schicksals der Lindner-FDP in Nordrhein-Westfalen wird das innenpolitische Thema der kommenden Tage die CDU sein. Die Union steckt im klassischen Dilemma einer Regierungspartei im Bund, die in den Ländern jene Popularität und Macht peu à peu verliert, auf deren Grundlage sie einst das Kanzleramt erobert hat.

Die Bindestrichländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind gute Beispiele für diese Entwicklung. Sicher, hier wie dort gab (oder gibt es noch) ungeeignete, weil unvermittelbare CDU-Spitzenleute wie Mappus oder Röttgen. Und ja, Grün-Rot kam in Stuttgart auch als Folge von Fukushima an die Macht. "Sondereffekte" nennt man so etwas im Quartalsbericht einer Firma. Dennoch ist die über Jahrzehnte sicher geglaubte CDU-Bastion im Südwesten zerbröselt; am Sonntag wird sich weisen, dass im Westen die große Mehrheit der Leute alles Mögliche von SPD bis Piraten wählt - aber eben nicht die CDU.

Die SPD profitiert im Bund keineswegs stark von der Abmagerung der CDU. Ihre Werte steigen mäßig, sie bleiben hinter den hochfliegenden Hoffnungen der Sozialdemokraten zurück, auch wenn die Generalsekretärin und ihr als Sigi Selbstbewusst agierender Parteichef das Gegenteil behaupten. Der SPD ist es nicht gelungen, einer für sie hinreichenden Zahl von Wählern klarzumachen, was sie von jener SPD unterscheidet, die 2009 bei der Bundestagswahl mit dem katastrophalen 23 Prozent auf die Bretter geschickt wurde. Dies bedeutet auch, dass die SPD 2013 wohl nicht aus eigener Stärke, wenn überhaupt, das Kanzleramt übernehmen wird.

Eine dritte Amtszeit?

Es ist eine fast paradoxe Situation: In Berlin regiert eine Koalition, die viele gravierende Fehler macht, auch solche, die einer erfahrenen Kanzlerin nicht passieren dürften (jüngstes Beispiel: das Chaos um die Zukunft der Solarförderung). Dennoch zeichnet genau diese Regierung auch für eine wirtschaftliche Lage verantwortlich, die gerade im europäischen Vergleich sehr gut ist. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie schon lange nicht mehr, die Steuereinnahmen sprudeln und es gibt Lohnzuwächse. Gewiss ist das alles nicht das alleinige Verdienst der Regierung, aber natürlich hat die Wirtschafts- und Finanzpolitik einer Regierung viel mit dem grundsätzlichen Zustand der Wirtschaft in einem Land zu tun. Angela Merkels Popularität bei vielen Bürgern ist ein Beweis dafür, dass auch die Wähler das ähnlich sehen.

Allerdings unterscheidet sich die Wertschätzung der Öffentlichkeit für die Kanzlerin immer deutlicher von der öffentlichen Wahrnehmung der CDU. Die Parteichefin enteilt ihrer Partei. Dies mag kurzfristig unproblematisch sein, zumal dann, wenn es Merkel gelingt, mit ihrem persönlichen Bonus der Union zu einem höheren Stimmenanteil zu verhelfen. Mittelfristig aber ist diese Situation problematisch.

Nicht zuletzt, weil Merkel sich taktisch klug und vom Zufall unterstützt so gut wie aller innerparteilichen Konkurrenten entledigt hat, verfügt die Union über kein Tableau von Führungspersönlichkeiten mehr. Außer Thomas de Maizière und vielleicht Ursula von der Leyen sind die meisten anderen entweder gestrandet, zu alte Fahrensleute oder Fürsten der Mittelmäßigkeit.

Weil die SPD bisher nicht so recht aus den Puschen kommt, könnte es Merkel 2013 sogar noch einmal gelingen, ihr Büro im Kanzleramt besetzt zu halten - dann wieder als Chefin einer großen Koalition. Diese Kontinuität könnte eine gewisse Stabilität bedeuten - und dies in einer Zeit, in der die Verhältnisse in Europa eher noch schwieriger sein werden, als sie dies heute sind. (Die Jahre um die Jahrtausendwende waren die Zeit der Integration in der EU. Jetzt steuert man eher auf eine zumindest ökonomisch bedingte Disintegration zu.)

Andererseits bedeutete eine dritte Kanzlerschaft Merkels wohl auch so etwas wie die Annäherung an einen Status der politischen Lähmung. Am Ende einer neuerlichen großen Koalition würden CDU und SPD auf Zustimmungsraten zurückgestutzt werden, wie dies anderswo in Europa bereits vielen einst großen Volksparteien passiert ist. In Deutschland werden Revolutionen weniger von der Wut als vielmehr von anhaltender Langeweile befördert.

© SZ vom 12.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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