Landtagswahl in NRW:Norbert Röttgen, Kanzlerkandidat in spe a. D.

Rot-Grün glänzt wieder und die CDU verliert ihren Glanz: Bundespolitisch ist der Absturz der Christdemokraten bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen noch bedeutsamer als der rot-grüne Sieg. Wieder hat sich ein möglicher Nachfolger Merkels selbst aus dem Weg geräumt. Doch Röttgens Niederlage in Düsseldorf ist auch für die Kanzlerin gefährlich.

Heribert Prantl

Norbert Röttgen hat vor ein paar Jahren ein Buch veröffentlicht, es heißt: Deutschlands beste Jahre kommen noch. Für ihn selber gilt das nicht. Röttgens beste Jahre sind vorbei. Mit der krachenden Wahlniederlage der von ihm geführten CDU in Nordrhein-Westfalen endet der Aufstieg eines sehr talentierten, klugen, ehrgeizigen und durchaus rechthaberischen Politikers.

Bundespolitisch ist dieser Absturz der CDU noch bedeutsamer als der Triumph der tüchtigen Hannelore Kraft und ihrer SPD; er ist noch folgenreicher als der neue Glanz von Rot-Grün. Schon wieder hat sich ein potentieller Nachfolger von Angela Merkel erledigt, schon wieder hat ein möglicher künftiger Partei- und Fraktionschef sich selbst aus dem Weg geräumt. Innerhalb von acht Wochen ist aus dem glänzenden Politiker Röttgen, der viel erreicht, noch viel mehr gewollt und sich alles zugetraut hat, ein Kanzlerkandidat in spe a. D. geworden. Er hat im Wahlkampf fast alles falsch gemacht; aus seinem Stern wurde ein Unstern.

In der Heimat des Norbert Röttgen lebte und wirkte im 15. Jahrhundert der Mönch Thomas von Kempen; von ihm stammt der berühmte Satz: sic transit gloria mundi, so vergeht der Glanz der Welt. Mit der Wahl am Sonntag vergeht auch der Glanz der CDU. Vor sieben Jahren, 2005, drängte diese CDU, unter dem schon wieder fast vergessenen Jürgen Rüttgers, die SPD aus der Landesregierung.

Fast vier Jahrzehnte lang hatten die Sozialdemokraten das große Land Nordrhein-Westfalen regiert. Die Christdemokraten deklassierten damals die SPD in einem Ausmaß, dass der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder in einem Akt mutiger Verzweiflung Neuwahlen im Bund betrieb; die brachten dann Angela Merkel an die Macht. Die Kanzlerschaft der Angela Merkel begann also mit dem spektakulären CDU-Sieg in Nordrhein-Westfalen von 2005. Die spektakulär furchtbare CDU-Niederlage vom Sonntag könnte nun das umgekehrte Signal sein.

Der gute Ruf, den Merkel weltweit hat, hilft ihr wenig, wenn ihre Partei zu Hause so gewaltig verliert. Christian Lindner von der FDP hat davon profitiert. Von Röttgen verstörte CDU-Wähler sind ihm zugelaufen. Lindner hat einen konservativen Wahlkampf gemacht, um nun die FDP wieder in die Sozialliberalität zu führen. Leicht wird das nicht sein. Aber: Lindner ist vorläufig das Strahlemännchen, das Röttgen bis vorgestern noch war. Lindner hat nun den Ruf des wägend-modernen Intellektuellen, der bis vor kurzem noch Röttgen erfolgreich begleitet hat. Merkel, die CDU-Chefin, hat aber immerhin die Chance, ihre Partei in NRW bis zur Bundestagswahl neu aufzustellen. Und in Berlin hat Merkel einen nun handzahmen Minister Norbert Röttgen, dem die Allüren vergangen sind.

Nicht nur Röttgen stürzt ab

Politik ist wie das Wetter in den Bergen. Die größte Gefahr dort bringen Gewitter und plötzlich aufkommende Kaltfronten. Man bricht bei schönem Wetter zum Bergsteigen auf, es geht gut voran, selbst in der Steilwand, es gelingt auch das Schwierige; man schlägt Haken für Haken ein; und der Gipfel ist schon in Sicht. Aber auf einmal dreht sich das Wetter, man wird nervös, macht Fehler, die Zuversicht schwindet; Fehltritt, Absturz, Steinschlag. Das ist Röttgen nun passiert. Das ist gefährlich, nicht nur für den, der stürzt; das ist gefährlich auch für jene, die mit ihm unterwegs sind, auch für die Kanzlerin.

Mit Röttgen aber stürzt noch mehr ab: Die Hoffnung der progressiveren Teile der CDU, in einem Bundesland von Gewicht eine schwarz-grüne Koalition ausprobieren zu können - und so die CDU aus der koalitionsstrategischen Defensive zu bringen. Für die Zukunft der Partei ist das Ausmaß der Niederlage auch deswegen bitter, weil Röttgen eigentlich für eine moderne, aufgeklärte, grün angehauchte CDU steht - die in einer Röttgen'schen Fasson mittelfristig die Chance hätte, ihre verlorene strukturelle Mehrheitsfähigkeit wiederzugewinnen.

Nun werden die Konservativen in der CDU Oberwasser kriegen. Eine CDU freilich, die noch immer gegen Mindestlöhne ist, den Frauen Herdprämien zahlt und sich an die Finanztransaktionsteuer nicht herantraut, hat in einem Deutschland mit wachsenden halblinken Mehrheiten schlechte Chancen. Die halblinken Mehrheiten kommen derzeit nur deshalb nicht machtvoll zum Zug, weil sie auf mittlerweile vier Parteien aufgeteilt sind - SPD, Grüne, Piraten und Linkspartei. Das erleichtert es der Union, den Ernst ihrer Lage zu verkennen.

Was ist die Lehre aus den jüngsten Wahlen von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein? Die Wähler wollen Spitzenkandidaten haben, die für etwas stehen; die nicht unbedingt in der Mitte der Parteilinie schwimmen; die ihnen das Gefühl geben, dass sich jemand kümmert; die auffallen, die außergewöhnlich sind. Diese Sehnsucht (ob sie dann dauerhaft befriedigt wird, ist eine andere Frage) ist viel stärker als die Bindung an politische Lager. Daher rühren die Erfolge von Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann, von Lindner und Kubicki. Und daraus ergibt sich auch die Gefahr dieser Wahlergebnisse: dass die jeweiligen Parteien glauben, sie selbst seien erstarkt und sie könnten sich die Erfolge ihrer Spitzenkandidaten zuschreiben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: