Es ging dann doch alles schneller, als kurz nach der Landtagswahl Mitte Mai zu erwarten war. In der Woche danach hatte FDP-Chef Christian Lindner noch mit verkniffener Miene im Parlament von Düsseldorf gesessen. Trotz des klaren Wahlerfolgs seiner Partei und einer schwarz-gelben Mehrheit schien er sich einfach nicht richtig freuen zu können. "Wir sind nicht verdammt, uns zu einigen", sagte Lindner damals in die Kameras. Es sei durchaus vorstellbar, dass die Gespräche mit der CDU scheitern würden. Wenn es keinen "umfassenden Politikwechsel" gebe, dann werde die FDP in die Opposition gehen.
Nun ist klar, dass die Liberalen das nicht tun werden. Lindner und CDU-Landeschef Armin Laschet haben am Dienstagabend verkündet, dass sie sich grundsätzlich auf eine Koalition geeinigt haben. Den Vertrag wollen sie am Freitag vorstellen.
Einige Details sind allerdings schon bekannt, was unter anderem den Äußerungen von Laschet und Lindner in einer Düsseldorfer Jugendherberge zu verdanken ist. Dort trafen sich die Parteichefs mehrfach zu Verhandlungen und berichteten zwischendurch immer wieder, wie es so läuft. Lindner selbst soll die Örtlichkeit ausgewählt haben, da sie für Bodenständigkeit und Jugendverbundenheit stehe. Vielleicht tat er es auch, weil er einmal Mitglied im Kuratorium des Jugendherbergswerks war.
Nordrhein-Westfalen:"Dann gibt es eben Dissens"
CDU und FDP planen nach der Landtagswahl ihre Regierungskoalition. Für Unmut bei der SPD sorgt eine Personalentscheidung.
Sensation in der Schulpolitik
Ob es den von der FDP geforderten umfassenden Politikwechsel tatsächlich gibt, ist offen. Zumindest in der Schulpolitik gibt es eine kleine Sensation. Nach zahlreichen Beschwerden von Eltern und Schülern wird NRW weitgehend zum Abitur nach neun Jahren zurückkehren. Schulen, die die Hochschulreife nach acht Jahren beibehalten wollen, soll dies nur dann ermöglicht werden, wenn sie einen Ausnahmeantrag stellen. Damit kippen CDU und FDP eine Entscheidung, die sie 2005 noch unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers selbst getroffen hatten. Eine unerfreuliche Neuerung gibt es zudem für Studenten aus Nicht-EU-Ländern. Sie sollen an NRW-Unis künftig 1500 Euro Gebühren pro Semester zahlen. Einen anderen Kurs als die rot-grüne Vorgängerregierung will Schwarz-Gelb auch bei der Inklusion einschlagen. Lindner und Laschet haben angekündigt, sie wollten die Auflösung der Förderschulen, wo vor allem Kinder mit Behinderungen unterrichtet werden, noch vor den Sommerferien stoppen.
Gekippt werden soll auch der Kilmaschutzplan, der die Landesbehörden in NRW zur Umsetzung der Pariser Klimaschutzziele verpflichtet. Trotzdem will sich die zukünftige Landesregierung umweltfreundlich geben. Laschet will vom Nachbarland Belgien fordern, die nahegelegenen Atomkraftwerke in Tihange und Doel abzuschalten. Außerdem solle NRW "Taktgeber" bei der Entwicklung von Elektro- und Hybridantrieben werden.
Bei der Schleierfahndung kann sich die FDP durchsetzen
Mit Spannung erwartet worden waren die Verhandlungen zwischen FDP und CDU zur inneren Sicherheit. Streit gab es im Wahlkampf etwa bei der Einführung der sogenannten "Schleierfahndung", also verdachtsunabhängigen Personenkontrollen auch ohne konkreten Anlass. Laschet hatte massiv für sie geworben, Lindner dies lautstark abgelehnt. Die Liberalen konnten sich durchsetzen, die Schleierfahndung wird nicht kommen. Stattdessen wird die Polizei die Erlaubnis zur "strategischen Fahndung" erhalten. Sie darf Kontrollen auch ohne konkreten Verdacht gegen einzelne Personen immer dann durchführen, wenn es einen gerechtfertigten Anlass dafür gibt, zum Beispiel die Fahndung nach Verbrecherbanden im Grenzgebiet.
Und schließlich haben FDP und CDU eine Reihe von teuren Wahlgeschenken versprochen. Sie wollen mehr Polizisten, mehr Lehrer und mehr Hochschulpersonal einstellen, eine bisher nicht konkretisierte "Digitalisierungsoffensive" durchführen, massiv in den Straßenbau investieren und die Grunderwerbsteuer senken. Möglich ist das, weil NRW in den kommenden drei Jahren Schätzungen zufolge drei Milliarden Euro zusätzlich an Steuern einnehmen wird. Und weil es durch die Reform des Länderfinanzausgleichs ab 2020 pro Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro mehr bekommt. Bedanken müssten sich Laschet und Lindner dafür eigentlich bei der abgewählten Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Denn sie war es, die die Reform in Berlin ausgehandelt hat.
Unabhängig von den Inhalten steht der schwarz-gelben NRW-Landesregierung eine spannende Zeit bevor. Im neuen Landtag hat sie nämlich mit 100 Sitzen exakt so viele, wie für eine Mehrheit unbedingt erforderlich sind. Der designierte Ministerpräsident Laschet kann sich keinen einzigen Abweichler erlauben. Anderen Landesregierungschefs - siehe Heide Simonis in Schleswig-Holstein - ist das schon zum Verhängnis geworden.