Landtagswahl:Endspurt im Rennen um Nordrhein-Westfalen

Endspurt vor der NRW-Landtagswahl am Sonntag

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft beim Wahlkampfendspurt in Duisburg. Mit der Gruppe "Brings" gibt sie eine Zugabe.

(Foto: dpa)

Kraft tanzt, Laschet greift an, die Grünen zittern, die FDP lindnert. Wie die Parteien bis zuletzt um Stimmen kämpfen.

Von Matthias Kolb, Aachen, und Benedikt Peters, Duisburg

Die Bundesrepublik schaut an diesem Sonntag auf Nordrhein-Westfalen. Um 18 Uhr schließen die Wahllokale. Kurz danach wird feststehen, wer im bevölkerungsreichsten Bundesland stärkste Partei wird und damit wahrscheinlich die nächste Landesregierung anführt. Die Wahl gilt als der letzte wichtige Stimmungstest vor der Bundestagswahl im September. In der "Herzkammer der Sozialdemokratie" prophezeien Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der SPD von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Armin Laschets CDU. Aber auch für die kleinen Parteien geht es um viel. Alle haben bis kurz vor Schluss gekämpft. Die SZ ist ihnen nachgereist.

Freitag, 16 Uhr, Duisburg

Ihren stärksten Moment hat die Ministerpräsidentin, als eigentlich schon alles vorbei ist. Die Reden sind gehalten, die obersten Wahlkampfhelfer Martin Schulz und Sigmar Gabriel verschwunden, verfolgt von Sicherheitsleuten und Journalisten. Da betritt die Kölner Band "Brings" die Bühne am König-Heinrich-Platz in Duisburg. Sie spielt eine Nummer, die hier jeder kennt, klanglich irgendwo zwischen Rock und Polka. Und durch Hannelore Kraft fährt ein Stromstoß. Beine zucken, Hände klatschen. Die Ministerpräsidentin fasst sich an die Brust und singt mit:

Sulang mer noch am Lääve sin'/ Am Laache, Kriesche, Danze sin / Sulang mir noch am Lääve sin'. (Solange wir noch am Leben sind / Am Lachen, Weinen, Tanzen sind / Solange wir noch am Leben sind).

Hannelore Kraft ist auch politisch noch am Leben. Noch regiert die SPD in NRW, noch ist Kraft Ministerpräsidentin. Vielleicht noch bis Sonntagabend, vielleicht noch weitere fünf Jahre. 2012 bekam sie 39 Prozent der Wählerstimmen, in diesem Jahr drohen Umfragen zufolge deutliche Verluste. Es wird wohl sehr knapp werden im Rennen gegen die CDU. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Jetzt wird erstmal getanzt.

Beim Wahlkampfendspurt in Duisburg gelingt es der Ministerpräsidentin, zugleich kämpferisch und entspannt zu wirken. Sie kommt lange, bevor die Veranstaltung überhaupt losgeht, schlendert durch die Menge, schüttelt Hände, tätschelt Rücken. Kümmern, das kann sie, und das mögen die Menschen an ihr. Auf der Bühne teilt sie dann aus.

Kraft verteidigt ihre Entscheidung, auf den letzten Metern des Wahlkampfes doch noch eine Koalition mit den Linken auszuschließen. Die halten zeitgleich in Düsseldorf ihre Abschlussveranstaltung, bei der Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine der Ministerpräsidentin "unsoziale Politik" vorwerfen. Kraft sagt, bei den Linken sei zu viel "Wolkenkuckucksheim".

Noch kritischer redet sie über die CDU. Die verbreite im Wahlkampf Unwahrheiten, das gelte auch für Angela Merkel. Diese hatte der NRW-Landesregierung fälschlicherweise vorgeworfen, nicht alle möglichen Mittel für Straßenbau vom Bund abgerufen zu haben. "Einer Kanzlerin unwürdig", sagt Kraft.

Die, die da sind, klatschen frenetisch. Aber richtig voll ist es auf dem König-Heinrich-Platz nicht.

Samstag, 11 Uhr, Aachen

In Aachen-Burtscheid ist das an diesem Samstag anders. Die Menschen drängen förmlich auf den Marktplatz, sie sind neugierig auf die Kanzlerin. Für CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet ist es ein Heimspiel, er zeigt Angela Merkel vor ihrem Redeauftritt noch das Becken, in dem er getauft wurde.

Selbstbewusst ruft er: "Ich will Ministerpräsident werden." Die FDP zu wählen sei keine Option. Damit sich etwas ändere, müsse die CDU stärkste Partei werden. Laschet wiederholt noch einmal den Dreiklang des Wahlkampfs: Er prangert die rot-grüne Schulpolitik an, verspricht Jobs und redet über innere Sicherheit. 144 Einbrüche pro Tag in NRW, das sei viel zu viel. Laschet gilt als freundlicher Mann. Aber er hat in diesem Wahlkampf gezeigt, dass er angreifen kann.

Angela Merkel tritt zunächst freundlich auf. Sie überreicht der örtlichen Landtagskandidatin Blumen zum Geburtstag. Auch von ihr die gleiche Botschaft: Die Nordrhein-Westfalen seien nicht dümmer als die Bayern und Hessen, sie würden nur schlecht regiert. "Im ganzen Land muss es die gleichen Sicherheitsstandards geben", ruft Merkel. Neben der Schleierfahndung fordert sie eine bessere Infrastruktur und wiederholt ihre Lieblingsstatistik: "Die Staustrecken in NRW sind so lang wie der Weg von der Erde bis zum Mond. Und das ist viel, da sind wir uns wohl einig."

Vor fünf Jahren kam die CDU auf mickrige 26,3 Prozent, nun macht sich Optimismus breit. Nach einer knappen Stunde ist alles vorbei, doch Merkel mahnt zum Ende: "Als Jürgen Rüttgers 2010 gewonnen hat, ging es um 5000 Stimmen. Vielleicht kommt es morgen auf 500 oder 50 an." Nicht nur bei den großen Parteien zählt jede Stimme. Eng werden könnte es auch bei den kleinen Parteien.

Die Grünen zittern, die FDP hofft auf Triumph

Donnerstag, 13 Uhr, Köln

Das gilt vor allem für die Grünen. Beim Wahlkampfabschluss in Köln läuft zunächst alles ziemlich gut. Die Sonne scheint auf die Fußgängerzone herab, es gibt bunte Burger und Bionade. Auf der Bühne legt sich die grüne Bundesprominenz ins Zeug. Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth werben für eine humane Flüchtlingspolitik, mehr Elektromobilität und ein klares Bekenntnis zu Europa. Sie wissen, was auf dem Spiel steht. 11,3 Prozent erhielt die Partei 2012, nun kommt sie auf etwa sieben Prozent und nimmt nicht einmal den Einzug in den Landtag als sicher an.

Das Hauptproblem der Grünen zeigt sich dann aber, als die Zuschauer Fragen stellen dürfen. "Ich weiß nicht, warum ich Sie wählen soll", sagt eine Lehrerin zu Vize-Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann. Die ist zugleich Bildungsministerin und über die Schulpolitik schimpfen fast alle in Nordrhein-Westfalen. Die Fragestellerin beklagt Lehrermangel, fehlende Unterstützung für Flüchtlingskinder und sagt, dass sie als Angestellte Altersarmut fürchte - anders als die verbeamteten Kollegen.

Die 60-jährige Löhrmann verweist auf gestiegene Investitionen und wirft der schwarz-gelbe Vorgängerregierung vor, für die Inklusion behinderter Kinder nichts vorbereitet zu haben. Aber: Von einer Ministerin, die seit 2010 regiert, klingt das wie eine Ausrede. Laut WDR sehen nur sechs Prozent die NRW-Grünen als kompetenteste Partei in Sachen Bildung an - ein Schlüssel für den Popularitätsabsturz.

Trotzdem machen sich die Grünen in Köln Mut. Zum Beispiel Robert Habeck, der bei der Wahl in Schleswig-Holstein 13 Prozent geholt hat und nun in NRW beim Wahlkampf hilft. "Die Stimmung ist zweistellig", ruft er in die Fußgängerzone. Aber das ist mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Donnerstag, 19 Uhr, Essen

Eine Bühne in der Fußgängerzone, das reicht der FDP nicht. Ein Theater muss her. Christian Lindner steht auf dem Podium des "Colosseum" in Essen, von vier Seiten angestrahlt in blau und gelb. Der Heilsbringer ist umzingelt von Liberalen, im Halbrund hinter ihm die Parteigranden, vor ihm auf den Rängen die einfachen Mitglieder. Lindner zieht den Nacken ein und kneift die Brauen zusammen. Und dann bläst er zum Schlussspurt.

Lindner keilt gegen alles, was nicht gelb ist. Den Grünen wirft er angesichts ihrer mauen Umfragewerte "panische Orientierungslosigkeit" vor. Die SPD beabsichtige nach der Wahl, "die Mittelschicht weiter im Stich zu lassen". Und die CDU solle endlich mal anfangen, die Sozialdemokraten zu attackieren. Dann hätte eine schwarz-gelbe Koalition in NRW vielleicht noch eine Chance. Tosender Applaus.

Es sind auffällig viele junge Leute zum "außerordentlichen Parteitag" gekommen, zu dem die FDP an diesem Abend eingeladen hat. Junge Mütter um die dreißig, Studenten, Schüler. Lindner lächelt zufrieden, und man kann auch verstehen, warum. Die Liberalen können im Westen auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen, ein Umfrageinstitut sah sie zuletzt bei 13 Prozent. Lindner betont zwar auch an diesem Abend, dass nicht er allein für das Umfragehoch verantwortlich sei. Hinter ihm stünden viele Leute mit vielen guten Konzepten. In Essen aber feiern sie ihn trotzdem wie einen Messias.

Am Ende verabschieden die Liberalen ihren Wahlaufruf durch eine Abstimmung mit Knicklichtern. Sie fordern darin etwa mehr Tempo bei der Digitalisierung, weniger Staus und "weltbeste Bildung". Ein gelbes Meer wogt durch das Halbdunkel des Theaters, keine Gegenstimmen. Dann dröhnen Technobeats aus den Boxen . "Ich freue mich auf Sonntag", sagt einer.

Wie die AfD im Revier der SPD wildern will

Donnerstag, 19:30 Uhr, Bottrop

Die Botschaft an die AfD ist klar. Unter dem Motto "Bottrop. Bunt statt Braun" demonstrieren 200 Bürger gegen den Auftritt von Spitzenkandidat Marcus Pretzell und Bundessprecherin Frauke Petry. Studenten halten Schilder mit dem Gesicht von Schlagersänger Wolfgang Petry in die Höhe: "Wenn wir was von Petry hören wollen, dann auch nur vom Original." Am schlimmsten, sagt einer, sei der Veranstaltungsort: "Es ist die Willy Brandt-Gesamtschule. Der dreht sich doch im Grab um."

Elf Mal blickt der SPD-Ehrenvorsitzende von den Wänden der Aula, in der sich 350 Menschen zum "Informationsabend" versammeln. Ihre Meinung haben sich viele schon gebildet. "Die Altparteien sind satt", klagt ein Mann mit "Pitbull Germany"-Shirt. 2012 erhielt die SPD-Kandidatin hier 55 Prozent, aber viele im Ruhrgebiet sind frustriert von den Sozialdemokraten. "Wo sind die denn? Erst wenn Wahlkampf ist, tauchen sie auf und verteilen Rosen", sagt einer.

Das Ruhrgebiet gilt als Herzkammer der Sozialdemokratie, und genau dort will die AfD der SPD Stimmen abjagen. Dabei soll vor allem ein Mann namens Guido Reil helfen. "Der Steiger kommt" steht auf dem AfD-Minivan, denn der 47-Jährige ist Bergmann und war 26 Jahre lang Genosse. Unter den Augen Willy Brandts erzählt er, dass er die SPD verlassen habe, weil 700 Flüchtlinge im armen Essener Norden untergebracht wurden. Reil ist mittlerweile zum Medienstar geworden (hervorzuheben ist diese Reportage des Tagesspiegels).

Er verdammt die angeblichen "No-Go-Areas", fordert Grenzkontrollen und kritisiert "Gutmenschen", die die Diskussion scheuten. Er nennt die SPD "realitätsfremd" und wirft ihr vor, die "Malocher" und kleinen Leute zu ignorieren. Dass die AfD im Westen derzeit nur zwischen sechs und sieben Prozent liegt, erklärt er so: "Die Medien schweigen uns tot."

Auch Landeschef Marcus Pretzell stellt sich als Opfer dar. Jede Veranstaltung werde von "hasserfüllten Demonstranten" begleitet, überhaupt werde seine Partei von Behörden gegängelt. Für den 43-Jährigen und seine Frau Frauke Petry geht es um viel: Bleibt das Ergebnis erneut einstellig, dann schwächt das ihren relativ moderaten Kurs innerhalb der Partei (mehr in dieser SZ-Analyse). Petry wirbt dafür, dass die AfD von 2021 an im Bund regierungsfähig sein müsse; ähnlich argumentiert Pretzell für NRW. Zuvor verspricht er: "Wir sind die einzig echte Opposition, wir schulden niemand etwas."

Nach fünf Jahren im Landtag chancenlos: Die Piraten

Glaubt man den Umfragen, dann werden nach der Wahl sechs Parteien im Düsseldorfer Landtag sitzen: Für die Grünen wird es wieder reichen, die Linke nach fünf Jahren Abstinenz zurückkehren, die AfD wird erstmals vertreten sein. Rausfliegen werden die Piraten: 7,8 Prozent waren es 2012, doch nun ist ihr Absturz ebenso steil wie der Aufstieg vor fünf Jahren.

Die Hochrechnungen, Impressionen von den Wahlpartys in Düsseldorf und Berlin sowie zahlreiche Analysen finden Sie am Sonntagabend auf SZ.de, wo wir auch mit einem Live-Blog berichten werden.

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