Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen:Bei der SPD steigt die Laune vor der Landtagswahl

Landesparteitag der NRW-SPD in Bochum

"NRW bleibt neu" steht auf dem Plakat - und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ist wieder die alte.

(Foto: Wolfram Kastl/dpa)

98,45 Prozent - mit diesem starken Ergebnis wird Hannelore Kraft als SPD-Chefin in Nordrhein-Westfalen bestätigt. Bei allem Jubel bleibt der Eindruck, die Ministerpräsidentin bastle sich ein bisschen eine eigene Welt.

Von Bernd Dörries, Bochum

Auf den Tischen in der Halle des RuhrCongress in Bochum liegen gebundene Büchlein, in denen die Erfolge von sechs Jahren SPD-geführter Landesregierung aufgelistet sind. Weil aber wohl selbst nicht alle Delegierten des Landesparteitages diese lange Abhandlung lesen, wurden in der Halle auch noch riesige Banner aufgehängt. "Mehr Tourismus als je zuvor", steht da drauf, "Mehr Geld für Bildung als je zuvor", oder auch "Mehr Miteinander als je zuvor". Man hat sich ein bisschen eine eigene Welt gebastelt, weil sich in der richtigen Welt draußen die Lage des Landes nicht ganz so großartig darstellt. In der föderalen Bundesliga steht Nordrhein-Westfalen oft an letzter Stelle. Bei den Schulden, bei vielen Bildungsindikatoren, bei der Infrastruktur und beim Wirtschaftswachstum 2015.

"Wir gingen auf eine Mission Impossible", erinnert sich die Rednerin

Das ist keine sehr gute Ausgangsposition für die Landtagswahl im Mai 2017, für die mit dem Landesparteitag in Bochum nun so langsam die Vorbereitungen beginnen. Die Regierung von Hannelore Kraft hat in den vergangenen Jahren eine gewisse Routine darin entwickelt, aus den schlechten Zahlen auch das Gute herauszulesen. Letzter beim Wachstum? "Wir haben die Lücke zum Bundesdurchschnitt geschlossen", sagt Hannelore Kraft in ihrer Rede am Samstag. Der Niedergang der Industrie? "Wir sind Mitbestimmungsland Nummer eins." Manchmal ist es ein wenig so, als stelle sie die Tabelle auf den Kopf, mache aus unten einfach oben.

"Es ist zu wenig Platz für Fakten", sagt Kraft selbst in ihrer Rede, die Diskussionen mit der AfD und in Teilen des Netzes seien geprägt durch Mythenbildung, nicht durch Wahrheit. Zu der hatte Kraft neulich aber auch ein distanziertes Verhältnis. Im Sommer zog sie durch die Redaktionen im Lande und behauptete mehrfach: "Wir haben heute im Ruhrgebiet mit 2,3 Millionen wieder genau so viele Beschäftigte wie zu den Hochzeiten von Kohle und Stahl."

Im Ruhrgebiet fragten sich die Menschen, warum die Arbeitslosenzahlen dann zwischen zehn und 14 Prozent liegen? Und nicht nahe null, wie in den Hochzeiten von Kohle und Stahl? Bei gleichzeitig schrumpfender Einwohnerzahl. Kraft kommt selbst aus dem Ruhrgebiet, ihr hätte also auch auffallen können, wie es um den Pott steht. Nach Wochen der Diskussion und Nachfragen der Rechercheorganisation Correctiv.Ruhr sowie der Opposition teilte die Staatskanzlei schließlich mit, Kraft habe die Zahl der Beschäftigten nicht im "juristisch-technischen Sinne" gebraucht. Tatsächlich gibt es im Ruhrgebiet zurzeit 1,62 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte.

Die Schlacht um die Zahlen hat bisher die größere Frage in den Hintergrund gerückt, nämlich warum die Politik von Hannelore Kraft bisher so wenig Erfolge vorzuweisen hat, zumindest in den Statistiken. Denn ihr Ansatz, massiv in Bildung zu investieren, ihr Motto "Kein Kind zurücklassen" ist bis auf die Finanzierung durch Schulden weitgehend unumstritten. Nur wirkt er offenbar nicht so, wie man sich das vorgestellt hatte. Oder wäre sonst alles noch schlechter? Oder fehlt es an der Geduld? Kraft zieht am Samstag den großen Bogen, vor zehn Jahren in Bochum wurde sie zur Landesvorsitzenden gewählt, an die Spitze einer darniederliegenden Partei. "Wir gingen auf eine Mission Impossible."

Vieles wurde möglich auf dieser Mission, erst eine Minderheitsregierung mit den Linken, dann ein stabiles Bündnis mit den Grünen. Ende des vergangenen Jahres begann man aber den Eindruck zu bekommen, dass Kraft genug habe von ihrer Mission, schlecht gelaunt schlich sie durch Düsseldorf, bei der Jahrespressekonferenz zu den anstehenden großen Projekten gefragt, kruschtelte sie in ihren Unterlagen, und sagte: "Ich finde es nicht, tut mir leid. Wir können Ihnen gern nachliefern, was noch an großen Themen dabei ist." Das war der Tiefpunkt.

Einige Monate später nun hält Kraft eine sehr solide Rede in Bochum. "NRW bleibt neu", steht über ihr auf einem Plakat. Das einzig Neue ist aber, dass die Ministerpräsidentin wieder die alte ist. Zu ihrem herausragenden Wiederwahl-Ergebnis von 98,45 Prozent (2014: 95,2 Prozent) fließen ein paar Tränen. Kraft und ihrer Umgebung ist wohl deutlich geworden, dass man mit schlechter Laune keine Wahl gewinnt, die Regierung wirkt wie von einem Defibrillator wiederbelebt.

Verkehrsminister Michael Groschek gelingt es, nach darben Jahren Milliarden für die marode Infrastruktur vom Bund zu bekommen, Wirtschaftsminister Garrelt Duin will bald eine volkswirtschaftliche Analyse veröffentlichen, die der Frage nachgeht, wo die Schwächen Nordrhein-Westfalens liegen. Es herrscht plötzlich geschäftiges Treiben. Nur auf die Frage, wie man der AfD begegnet, hat die SPD noch keine Antwort gefunden, womit sie aber nicht alleine ist. Kraft setzt beim Thema Flüchtlinge offenbar auf eine erstaunliche Bandbreite von Ansichten, je nach Publikum.

Auf dem Parteitag erzählte sie von ihren bewegenden Treffen mit Flüchtlingen und dass keiner der Hetzer denen je in die Augen geschaut habe. "Wir sehen hin, wir zeigen Haltung, wir sehen nicht den Flüchtling, sondern den Menschen." Wenn Kraft dem Menschen im Flüchtling gerade nicht selbst in die Augen schaut, sagte sie in einer Talkshow, sie sei "froh, dass die Grenzen erst mal dicht sind".

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