Landtagswahl in Niedersachsen:Wie 335 Hildesheimer Schwarz-Gelb hätten retten können

Wie knapp der Wahlsieg von SPD und Grünen wirklich war, zeigt sich am Beispiel Hildesheim: Dort hätte der CDU-Kandidat nur wenige Hundert Stimmen mehr gebraucht, um Christdemokraten und Liberalen im Hannoveraner Landtag die Mehrheit zu sichern. Auch mit dem Wahlverfahren hatte Rot-Grün Glück.

Von Tobias Dorfer

Man kann nicht sagen, Frank Thomas Wodsack hätte sich nicht ins Zeug gelegt. Am vergangenen Samstag um zehn Uhr stand der CDU-Landtagskandidat noch vor der Ratsapotheke in der Hildesheimer Fußgängerzone und gab Linsensuppe, Schmalzkuchen und Glühwein aus. Dann ließ er sich bei der Jahreshauptversammlung der Gartenfreunde Bockfeld blicken, bei der Diakonie und zog schließlich, am Abend, weiter zur Freiwilligen Feuerwehr Itzum.

Doch der Einsatz des 47 Jahre alten Juristen wurde nicht belohnt. Wodsack musste im Wahlkreis Hildesheim seinem SPD-Kontrahenten Bernd Lynack den Vorzug lassen. 335 Stimmen mehr - und Wodsack hätte den Wahlkreis gewonnen.

335 Stimmen sind nicht viel, insgesamt gingen am Sonntag im Wahlkreis Hildesheim 43.245 Menschen an die Urnen (davon waren übrigens 684 Erst- und 581 Zweitstimmen ungültig). Doch die 335 Stimmen, die dem Kandidaten Frank Thomas Wodsack fehlten, schmerzen nicht nur ihn - sondern die gesamte CDU: Denn hätte Wodsack über die Erststimmen den Einzug in den Landtag geschafft, hätte es für Schwarz-Gelb gereicht, sagt Wilko Zicht von der Infoseite Wahlrecht.de.

Hildesheim ist der Wahlkreis in Niedersachsen, den die SPD mit dem geringsten Vorsprung bei den Erststimmen gewonnen hat. So dürften Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel ein dickes Dankeschön an ihren Kandidaten Bernd Lynack schicken. 335 Stimmen weniger - und es wäre nichts geworden mit dem Sieg bei der Landtagswahl. Dann wäre nicht Frank Thomas Wodsack der Pechvogel des Abends sondern Lysack und seine Sozialdemokraten.

Fest steht: Es war knapp in Niedersachsen. Sehr knapp sogar. Erst kurz nach 23:30 Uhr gab die Wahlleitung bekannt, dass es im Landtag von Hannover für Rot-Grün reicht - eine Mini-Mehrheit von gerade einmal einem Sitz.

Hätte, wäre, wenn - das Ergebnis steht fest. Aber das Beispiel Hildesheim zeigt, dass minimale Veränderungen gravierende Folgen haben können. Konkret bedeutet das: Ein Erfolg von Frank Thomas Wodsack in Hildesheim hätte der CDU einen weiteren Sitz im Landtag und damit insgesamt 55 Sitze gebracht, sagt Wilko Zicht von Wahlrecht.de. Aufgrund der Zweitstimmenverteilung hätten den Christdemokraten aber nur 53 Sitze zugestanden - die Folge wären zwei Ausgleichsmandate gewesen: Eines für die SPD, das zweite für die FDP nach dem in Niedersachsen angewendeten D'Hondt-Wahlverfahren.

Die Sitzverteilung im Landtag von Hannover hätte dann folgendermaßen ausgesehen:

  • CDU: 55 Sitze
  • SPD: 49 Sitze
  • Grüne: 20 Sitze
  • FDP: 15 Sitze

Schwarz-Gelb hätte dann mit 70 Sitzen die Mehrheit gehabt.

Auch in diesen Wahlkreisen war das Ergebnis sehr knapp

Allerdings lässt sich der knappe Wahlerfolg von Rot-Grün nicht nur an dem Ergebnis von Hildesheim festmachen. Denn es gab weitere Wahlkreise, in denen es bei den Erststimmen ziemlich eng zuging. In Wilhelmshaven hatte SPD-Kandidat Holger Ansmann gerade einmal 406 Stimmen Vorsprung auf den CDU-Mann Jörn Felbier. Und in Osnabrück-Ost fehlten Anette Meyer zu Strohen 508 Stimmen, um ihren Wahlkreis für die CDU zu verteidigen.

Doch auch die Christdemokraten haben einige Wahlkreise nur knapp gewonnen. Petra Joumaah hatte in Bad Pyrmont nur 231 Stimmen Vorsprung auf Ulrich Watermann von der SPD. Und in Lehrte gewann Hans-Joachim Deneke-Jöhrens, weil er 277 Erststimmen mehr hatte als SPD-Kandidat Hans-Jürgen Licht.

Auch bei den Zweitstimmen wurde es eng. Wären weitere 1399 Zweitstimmen von der SPD zur FDP gegangen, hätten die Sozialdemokraten ihr eines Ausgleichsmandat nicht bekommen - es wäre an die FDP gegangen, sagt Wilko Zicht von Wahlrecht.de. Auch dann hätten die Liberalen zusammen mit der CDU eine Mehrheit gehabt.

Mit dem Wahlverfahren hatten SPD und Grüne ebenfalls Glück. Nur mit dem D'Hondt-Verfahren, das in Niedersachsen zur Berechnung der Landtagssitze dient, ist Rot-Grün möglich gewesen, so Zicht. Die anderen gängigen Verfahren nach Sainte-Laguë, das unter anderem bei der Bundestagswahl, der Europawahl sowie etlichen Landtagswahlen (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und andere) angewendet wird, sowie Hare/Niemeyer (unter anderem Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Bayern) hätten eine Sitzmehrheit für CDU und FDP ergeben.

Ein paar Hundert Erststimmen hier, knapp 1400 Zweitstimmen dort, das Wahlrecht - es gibt viele Stellschrauben, die das Ergebnis hätten ändern können. Frank Thomas Wodsack, der CDU-Kandidat aus Hildesheim, wird sich wahrscheinlich über die knappe Niederlage besonders ärgern. Für Wahlrechts-Fachmann Wilko Zicht ist die Tatsache, dass Niedersachsen künftig wohl von SPD und Grünen regiert wird, aber vor allem eines - "ein glücklicher Zufall".

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