Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Niedersachsen:Wenn Hannover einmal wichtiger ist als Berlin

Lesezeit: 3 min

Von Lars Langenau

Am Sonntag ist Hannover endlich mal wichtiger als Berlin. Bis zur Landtagswahl sind sämtliche Verhandlungen über eine Regierungskoalition im Bund auf Eis gelegt. Bei der Bundestagswahl haben die beiden Volksparteien starke Verluste erlitten, die AfD wurde drittstärkste Kraft. Hat dieses Ergebnis auch Auswirkungen auf das mit acht Millionen Einwohnern viertbevölkerungsreichste Bundesland? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wieso wählen die Niedersachsen drei Wochen nach der Bundestagswahl?

In Niedersachsen dauert die Legislaturperiode fünf Jahre - und eigentlich wären die knapp 6,1 Millionen Wahlberechtigten erst in einem halben Jahr zur Wahl aufgerufen gewesen. Doch der überraschende Wechsel der grünen Abgeordneten Elke Twesten zur CDU im August 2017 hat die Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Landesregierung zunichte gemacht. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat nach dem Verlust seiner Mehrheit schnell reagiert und Neuwahlen ansetzen lassen.

Weil und die vier Fraktionschefs des Landtags, mit denen er sich über die Neuwahlen beriet, hatten zunächst vor, die Abstimmung zusammen mit der Bundestagswahl am 24. September stattfinden zu lassen. Doch Landeswahlleiterin Ulrike Sachs sprach sich dagegen aus, wie der NDR berichtet. Sie führte "verfassungsrechtliche Gründe und Gründe einer ordnungsgemäßen Wahlorganisation" an. Sachs befürchtete, kleinere Parteien könnten nicht genug Zeit haben sich auf die Wahl vorzubereiten und könnten diese dadurch später anfechten. Sie schlug deswegen den 15. Oktober, sowie den 5. und 12. November als mögliche Wahltermine vor.

Welche bundespolitische Bedeutung hat die Wahl?

Der Ausgang der Wahl wird die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene beeinflussen: Gewinnt die CDU, stärkt das die Position von Angela Merkel in den Gesprächen mit CSU, Grünen und FDP. Wird die SPD stärkste Kraft, würde das die Position von Martin Schulz, dem angeschlagenen Chef der Sozialdemokraten, etwas stabilisieren. Schulz will jedoch auch im Falle einer Niederlage Parteichef bleiben.

Was könnte sich im Bundesrat verändern?

Niedersachsen ist im Bundesrat ein Schwergewicht. Obwohl es weniger Einwohner hat, verfügt das Land über genauso viele Stimmen wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern. Klare Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sind allerdings nicht zu erwarten, egal wie die Wahl ausgeht: Die Zeiten, in denen der Unionsblock dem SPD-Lager gegenüber stand, sind längst vorbei - und große Koalitionen gelten auch in den Ländern als Auslaufmodell. Stattdessen gibt es im Bundesrat ein Potpourri aus allen nur denkbaren Konstellationen - unter dem Strich begünstigt dies Jamaika.

Was sagen die Umfragen?

Derzeit sind vier Parteien im niedersächsischen Landtag vertreten: Die stärkste Kraft ist seit 2003 die CDU, die in der vergangenen Wahl 2013 36,0 Prozent erhielt. Die SPD erreichte damals nur 32,6 Prozent, die Grünen 13,7 Prozent und die FDP 9,9 Prozent. Die Linke schaffte die 5-Prozent-Hürde nicht und verpasste den Wiedereinzug ins Parlament. 2017 sieht die Situation anderes aus: Die CDU verlor seit August kontinuierlich in den Umfragen und liegt jetzt zwischen 32 und 34 Prozent, die SPD holte stark auf und kommt in den letzten Umfrage auf 34,5 Prozent. Die Grünen landen den letzten Umfragen zufolge zwischen 8,5 und 10 Prozentpunkten, die FDP zwischen 8 und 10, die AfD zwischen 7 und 8 - und auch die Linke wäre mit knapp 5 Prozent wieder im Landtag vertreten.

Wie wird die AfD abschneiden?

Bei der Bundestagswahl holte die AfD in Niedersachsen nur 9,1 Prozent, deutlich weniger also als auf Bundesebene. Auch in aktuellen Umfragen schneidet die Partei hier schlechter ab als in anderen Bundesländern, und liegt derzeit bei 7 Prozentpunkten. Dies liegt einerseits an der immer noch vergleichsweise starken Bindungskraft der Volksparteien CDU und SPD in Niedersachsen, andererseits an den Zersetzungstendenzen der AfD-Bundestagsfraktion seit der Bundestagswahl sowie die internen Querelen im Landesverband: AfD-Landeschef Paul Hampel ist mit der AfD-Spitzenkandidatin Dana Guth zerstritten und die Staatsanwaltschaft Lüneburg durchsuchte wegen Betrugsverdachts Hampels Wohnung. Der Anfangsverdacht bestätigte sich aber nicht, teile die Ermittlungsbehörde am Freitag mit. Das Verfahren sei "hinsichtlich aller gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingestellt" worden.

Welche Koalitionen werden möglich sein?

Regierungschef Weil würde gerne das Regierungsbündnis mit den Grünen fortsetzen, für eine erneute rot-grüne Koalition dürften die Wähler SPD und Grünen jedoch nicht genug Stimmen geben. Bleiben rechnerisch drei Optionen: Die große Koalition, Jamaika mit CDU, FDP und Grünen - oder eine Ampel mit SPD, FDP und Grünen. Eine große Koalition ist für CDU-Chef Althusmann eine Option, Weil hingegen bezeichnet sie als "extrem unwahrscheinlich". Es wird wohl darauf ankommen, wer von den beiden Parteien am Sonntag stärkste Kraft wird und damit den Auftrag zur Regierungsbildung für sich in Anspruch nehmen darf. CDU und FDP stehen einem Jamaika-Bündnis ablehnend gegenüber, zudem ist das Klima zwischen Grünen und CDU durch den Wechsel der Abgeordneten Twesten vergiftet. Mit einer Ampel-Koalition könnte die SPD sich an der Macht halten. Diese Konstellation lehnt die FDP aber bislang noch ab.

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