Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Niedersachsen:Jubel mit Vorbehalt

Das starke Abschneiden von Ministerpräsident Weil in Niedersachsen beseelt die ganze Partei. Doch da für Rot-Grün zwei Sitze fehlen, wartet eine komplizierte Regierungsbildung.

Von Carsten Scheele und Thomas Hahn, Hannover

Einen kleinen Verlierer gab es bei der SPD dann doch, und zwar die Band, die im Keller des Alten Rathauses Swing und Blues aufspielte. Sie tat dies tapfer und sehr versiert, zunächst jedoch für sich allein, denn die SPD-Genossen bejubelten ihre plötzlich heile sozialdemokratische Welt lieber im Stockwerk darüber, wo die große Fernsehleinwand errichtet war. Da wurde umarmt und gejohlt, ein halbes Auge immer auf den Bildschirm gerichtet, ob nicht doch noch eine Hochrechnung käme, die den sehr guten Abend für die SPD zu einem fantastischen Abend machen würde.

Die letzte Wende blieb jedoch aus, und so hat die SPD die Landtagswahl in Niedersachsen zwar deutlich gewonnen, mit 36,9 Prozent der Stimmen vor der historisch schlechten CDU (33,6 Prozent), die Mehrheit mit Rot-Grün, die bis zu den verfrühten Neuwahlen ohnehin sehr knapp gewesen ist, aber verloren.

Der guten Laune konnte dies zunächst wenig anhaben; als Ministerpräsident Stephan Weil gegen 21 Uhr auf der Party einlief, herrschte Volksfeststimmung, wie sie Horst Seehofer zu besten Zeiten in einem bayerischen Bierzelt nicht besser hinbekommen hätte. Weil gab den Animator, die Menge antwortete dankbar und sang umgedichtete Fußballsongs. Später wurde auch die Band entschädigt, im Keller wurde bis tief in die Nacht getanzt, getrunken und jubiliert.

Viele konnten ihr Glück kaum fassen. Im August lag die SPD in Umfragen noch zwölf Prozentpunkte hinter der Union und deren Spitzenkandidat Bernd Althusmann, der Regierungswechsel schien ausgemacht, dann kam auch noch die für die SPD unschöne Bundestagswahl, nach der sich die Partei geschockt in die Opposition verabschiedete.

Weil und seine Leute haben jedoch weitergekämpft, "im stärksten Gegenwind", wie er am Sonntagabend feststellte. Und sie haben den Rückstand in wenigen Wochen in einen Vorsprung von drei Prozentpunkten verwandelt. Erstmals seit 1998 ist die SPD wieder stärkste Kraft im Bundesland zwischen Harz und Nordsee.

Dass es zu Rot-Grün nicht mehr reicht (es fehlen zwei Sitze) und die Regierungsbildung ziemlich schwierig wird, wurde am Wahlabend bei der SPD zunächst weggelächelt. Es ging eher darum, ein Gefühl zu leben, das viele in der SPD nach vier verlorenen Wahlen hintereinander, drei in den Ländern und einer im Bund, gar nicht mehr zu kennen glaubten. "Die SPD in Deutschland, die kann Wahlen gewinnen", rief Weil seinen selig lächelnden Parteigenossen zu, die auf Kommando ausflippten. Das sei "ein Signal, das über Niedersachsen hinausstrahlt". Und auch Weil strahlte übers ganze Gesicht.

Enttäuschung bei den Grünen

Überhaupt Weil: Er ist der Mann der Stunde bei der SPD. Mit seiner unaufgeregten Art und einem Wahlkampf, der tatsächlich nah bei den Menschen war, hat er für die Sozialdemokraten eine verloren geglaubte Wahl gedreht. Viele Siegertypen hat die Partei derzeit nicht zu bieten - Weil ist nun einer davon. Bundespolitisch dürfte er an Gewicht zulegen, und wen würde die SPD nach diesem Abend wohl als Kanzlerkandidaten nominieren, wenn die Jamaika-Verhandlungen im Bund scheitern sollten und am Ende tatsächlich Neuwahlen ausgerufen werden?

Auch beim bisherigen Koalitionspartner der SPD herrschte zunächst helle Freude, da die Grünen mit ihren 8,7 Prozent wieder die drittstärkste Kraft im Landtag sind. Dass sie dabei fünf Prozentpunkte einbüßten, schoben sie erst mal beiseite. Vor wenigen Wochen noch hatten die Prognosen von Abwahl gekündet, jetzt strahlten die Grünen im Glanz der SPD - zumindest kurzzeitig.

Gegen halb acht war die Stimmung auf der grünen Wahlparty sogar ausgelassen, weil die Sitzverteilung auf die bewährte Einstimmenmehrheit umschlug. Aber bald pendelte sich das Ergebnis wieder knapp unter dem Strich ein und in den frenetischen Beifall für das grüne Spitzenpersonal mischte sich die bittere Erkenntnis, dass das alte Bündnis keinen Bestand mehr hatte. "Es war sauknapp", sagte der Landwirtschaftsminister Christian Meyer. Er mochte seine Enttäuschung nicht verhehlen. Und nun?

Rote und Grüne haben sich im Wahlkampf gegenseitig unterstützt, das könnte ihnen jetzt auf die Füße fallen beim Gespräch mit dem logischen Dritten im Bunde. Das Links-Bündnis schreckt die FDP ab. Jedenfalls wiederholten am Sonntagabend alle erdenklichen Spitzenkräfte der Liberalen, namentlich der Bundesvorsitzende Christian Lindner und Landeschef Stefan Birkner, dass eine niedersächsische Ampel-Koalition nicht in Frage komme.

"Es passt inhaltlich nicht", erklärte Christian Dürr, bis zu seiner Wahl in den Bundestag Fraktionschef der Niedersachsen-FDP. "Rot und Grün ist angetreten, Rot-Grün zu verlängern - was macht dann eine FDP auf der Regierungsbank? Die FDP ist keine Stützräderpartei, sondern eine Partei, die einen Neustart will."

Aber gerade bei den Grünen haben sie verstanden, wie wichtig die FDP jetzt ist. Das Spitzenduo Anja Piel und Stefan Wenzel wollte noch nicht zu konkret über den Bedarf an liberaler Mitarbeit sprechen. Dafür tat dies der agile Landwirtschaftsminister Meyer: "Wir haben große Schnittmengen, in der Flüchtlingsfrage, in Bürgerrechtsfragen, mit der FDP würde es auch nicht so ein scharfes Polizeigesetz geben wie mit der CDU." Als konstruktive Opposition sei die FDP ihm in der vergangenen Legislaturperiode aufgefallen, anders als die stets angriffslustige CDU.

Meyer fand eine Ampel-Koalition schon zu Wahlkampfzeiten sympathisch. Dabei bleibt er. "Ich hoffe, dass die FDP ihre Ausschließeritis aufgibt", sagte er, "sie hat gesagt, sie sei offen und eigenständig. Dann erwarte ich, dass sie diese Eigenständigkeit auch zeigt."

Auch bei der SPD gibt es Fans der sogenannten Ampel, etwa Doris Schröder-Köpf, die auf der Party der Landtagsfraktion an ihrem Stehtisch von links und rechts die Glückwünsche entgegennahm. Die Noch-Ehefrau von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, mit dem sie aber in Scheidung lebt, gewann ihren Wahlkreis in Hannover direkt und zieht wieder in den Landtag ein.

"Die FDP muss für sich entscheiden, was sie macht", sagte Schröder-Köpf und mühte sich, eine Brücke zu bauen. Sie arbeite seit vielen Jahren mit der FDP "Seite an Seite, und ich hatte nie das Gefühl, dass man da nicht zueinanderfinden könnte".

Lob für Weils Engagement

Dann wurde auch Schröder-Köpf von der allgemeinen Jubelstimmung erfasst, sie lobte ihren Chef energisch. "Das ist ein Sieg von Stephan Weil", sagte Schröder-Köpf: "Sie müssen sich mal vorstellen, wo wir herkommen", auch sie hatte die Umfrage aus dem August im Kopf, als die Perspektive wirklich schlecht aussah.

Weil habe die Landespartei nimmermüde aufgerichtet, die "vielleicht stärker als anderswo an sich geglaubt" hat, so Schröder-Köpf. Niedersachsen ist das Land, aus dem heraus ihr Ex-Mann seine Kanzlerschaft begann. Wenn die SPD also schon einen Neuanfang wagen muss, dann wohl in Niedersachsen.

Am Montag wird ihr Chef, Stephan Weil, zur Gratulationstour zur Bundespartei nach Berlin aufbrechen. Er wird dort sehr viel Lob erfahren, spätestens von Dienstag an muss er aber überlegen, was mit diesem so guten, aber trotzdem so schwierigen Wahlergebnis in Niedersachsen anzufangen ist. Breit vor sich hin zu grinsen reicht dann nicht mehr.

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