Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern:Warum Sellering die Frustrierten nicht erreicht

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  • Erwin Sellering hat mit seiner SPD die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern gewonnen.
  • Zufrieden kann er mit dem Ergebnis - vor allem mit dem Erfolg der AfD - trotzdem nicht sein.
  • Obwohl es dem Land gar nicht so schlecht geht, hat Sellerings solide Politik viele Wähler nicht mehr erreicht.

Von Thomas Hahn, Schwerin

Während des Wahlkampfs hat Erwin Sellering in die Gesichter des Frusts geschaut. Zum Beispiel in Rostock-Toitenwinkel, bei einer schlecht besuchten Veranstaltung im örtlichen Stadt- und Begegnungszentrum. Der SPD-Ministerpräsident trug wieder seinen eleganten dunklen Anzug mit Krawatte. Er wirkte agil und zugewandt. Auf einem der Stühle im Raum saß ein Mann Mitte vierzig, der wohl aus einem der grauen Wohnblöcke des Stadtteils stammte. Er war nachlässig gekleidet, hatte eine düstere Miene aufgesetzt, und der wortreiche Auftritt des feinen Herrn Sellering ging ihm offensichtlich auf die Nerven. Der Mann meldete sich und begann mit einem kleinen unfreundlichen Monolog: "Blabla. Toll. Es geht um uns, die kleinen doofen Bürger ... Es ist alles ein Schwachsinn, ein Wahnsinn ... Nehmen wir mal Ausländer, das Problem darf man ja gar nicht nennen ... Keiner ist für nichts verantwortlich ... Ehrenamt statt Arbeitsplätze ... Aber über die DDR schimpfen ..."

Sellering behielt die Fassung. Er antwortete freundlich und bestimmt. Aber er versuchte nicht lange, den Mann auf seine Seite zu ziehen. "Ich glaube, wir haben einen ganz großen Unterschied wir beide", sagte Sellering, "Sie sind so ganz allgemein sehr enttäuscht und finden alles scheiße. Und ich als Politiker versuche, ein kleines Problem nach dem anderen zu lösen." Wenig später gingen der Ministerpräsident und der Frustrierte wieder auseinander, jeder auf seinem Weg.

Eigentlich geht es dem Land gar nicht so schlecht

Welche Schlüsse wird Erwin Sellering ziehen aus seinem Sieg bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern? Wird er die gut 30 Prozent SPD-Mehrheit so deuten, dass er weitermachen kann wie bisher? Oder wird er den Umstand an sich heranlassen, dass auch er, der joviale, beredte Landesvater, viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erreicht hat? Dass er etwas ändern muss an seiner Politik, die so solide ist, dass manche Menschen ihre Vorzüge nicht mehr sehen?

Der Erfolg der AfD muss Sellering das Gefühl geben, dass ihm und den anderen etablierten Parteien Teile der Bevölkerung entglitten sind in den vergangenen Jahren. Denn so richtig zu begreifen ist es ja nicht, dass so viele Menschen sich mit den rechtspopulistischen Parolen der AfD identifizierten, die sich stark um die vermeintlichen Gefahren der Flüchtlingssituation und Fragen der inneren Sicherheit drehten. Das wirkt nicht nur deshalb schräg, weil es in Mecklenburg-Vorpommern so wenige Ausländer und so wenige Probleme mit Flüchtlingen gibt wie in wenigen anderen Bundesländern. Sondern vor allem deshalb, weil es dem Land eigentlich gar nicht so schlecht geht.

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Damit wäre die Partei nicht im neuen Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten. SPD-Ministerpräsident Sellering kann sich ein Bündnis sowohl mit der CDU als auch mit der Linken vorstellen.

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Die Wirtschaft wächst. Die Arbeitslosigkeit ist mit neun Prozent so niedrig wie noch nie. Bei Touristen ist das Land beliebt. Vor allem in den Städten kann man die glänzende Seite der Nach-Wende-Entwicklung beobachten. Sellering hat nicht Unrecht, wenn er darauf verweist, dass seine rot-schwarze Regierungskoalition seit 2006 einiges erreicht hat, um die Entwicklung des hohen Nordostens voranzutreiben. Und außerdem war Erwin Sellering gut darin, den Menschen nach dem Mund zu reden.

Sellering, 66, der frühere Verwaltungsrichter aus dem Ruhrgebiet, lernte Mecklenburg-Vorpommern erst 1994 bei einem Kurzurlaub kennen. Heute tritt er als entschlossener Vertreter ostdeutscher Interessen auf. Auch im Wahlkampf 2016 gab er wieder sein Bekenntnis ab für die Angleichung der Ost-Renten auf West-Niveau als Anerkennung für die Lebensleistung. Er warb für Tauwetter im Verhältnis zu Russland, das für das Ostseeland immer ein wichtiger Wirtschaftspartner war. "Ich möchte nicht, dass wir an der Eskalationsschraube drehen", sagte Sellering, "sondern dass wir auf Augenhöhe mit Russland verhandeln."

Für jene, die es in der Flüchtlingsfrage gerne etwas konservativer haben, kritisierte er Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer Politik der offenen Tür im vergangenen Herbst. Stellte sich immer wieder gegen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge bzw. machte sich für deren schnelle Abschiebung stark. Und indem er ständig den Appell wiederholte, seine Landesregierung nicht abzustrafen für die Politik der großen Koalition in Berlin, bot er sich letztlich auch jenen Protestwählern an, die sich als Kritiker der Bundesregierung verstehen.

Aber das alles hat die heftige Zustimmung für die AfD nicht verhindern können. Sellering muss sich eingestehen, dass es im Land doch sehr viele Leute gibt, die mit Verdrossenheit auf das Wirken seiner Regierung schauen. Der Frust sitzt vor allem bei Kleinverdienern, Rentnern und Hartz-IV-Empfängern tief. Er ist seit der Wende und durch viele enttäuschende Erfahrungen mit der Marktwirtschaft gewachsen. Er hat sich wie eine Mauer um die Seelen der Enttäuschten geschlossen. Natürlich konnte Sellering sie nicht binnen eines Wahlkampfes wegmeißeln. Allerdings lindert seine relativ ideenlose, straff durchgerechnete Politik den Frust auch nicht gerade.

Mecklenburg-Vorpommern hat das niedrigste Lohnniveau

Vor allem bei den Menschen mit kleinem Gehalt im ausgebluteten ländlichen Raum kommt sie wie ein fortwährender lähmender Sparkurs an. Dabei weiß der Sozialdemokrat Sellering natürlich sehr wohl, was geschehen muss, damit die Wutbürger wieder zufriedener werden: Das Lohnniveau in Mecklenburg-Vorpommern ist so niedrig wie sonst nirgends in Deutschland, das muss sich ändern. "Das ist das wichtigste Thema, das wir haben", hat Sellering im Wahlkampf gesagt.

Als selbstbewusster, standhafter Landesvater ist er in den vergangenen Wochen durchs Land gereist. "Wir müssen aufpassen, dass wir dieses Land nicht schlechtreden", hat er dabei immer wieder gesagt. Aber Erwin Sellering muss auch ein bisschen darauf aufpassen, dass er die Zeichen nicht schönredet, die ihm die Wähler mit auf den Weg in die nächste Legislaturperiode gegeben haben.

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