Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern:Die Schweriner Koalition funktioniert gut - zu gut

NDR Wahlarena zur Landtagswahl MV

Gute Laune: Ex-Verwaltungsrichter Sellering (li.) und der ehemalige LPG-Chef Caffier

(Foto: dpa)
  • Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und Innenminister Lorenz Caffier (CDU) arbeiten in der Regierungskoalition in Mecklenburg ordentlich zusammen.
  • Auch im Wahlkampf haben sie sich kaum voneinander abgesetzt, als wollten sie nur die bestehenden Verhältnisse verteidigen.
  • Die AfD dürfte von diesem ereignis- und konturarmen Wahlkampf profitieren.

Von Thomas Hahn, Kühlungsborn

Zweifel sind gerade verboten für Lorenz Caffier, den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Und als CDU-Spitzenkandidat will er sich auch gar nicht beklagen über diesen Tag im Wahlkampf, der an der Ostsee im schönen Bad Kühlungsborn stattfindet. Dafür, dass im Ort kein Plakat auf die Veranstaltung im Raum Topas des Hotels Aquamarin hingewiesen hat, war der Besuch doch ganz ordentlich. Circa 50 Leute waren da. Und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat eine pointierte Rede über konservative Werte gehalten, die Caffier selbst so wohl nicht zustande gebracht hätte.

Trotzdem, ein bisschen nachdenklich ist Caffier jetzt schon, da der Raum sich leert und er sich etwas abseits zum Gespräch niedergelassen hat. Erreicht er die Wählerinnen und Wähler? Der Spaziergang mit Bouffier vorhin an der Strandpromenade war nicht ermutigend. "Wir haben mehr Hessen getroffen, als dass ich einheimische Wähler gefunden habe", sagt Caffier. Wie er die Tage vor der Landtagswahl empfinde? "Schwierig."

An diesem Sonntag geht der Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern zu Ende, und er wird den beteiligten Politikern in gemischter Erinnerung bleiben. Er fand in der Ferienzeit statt, was doppelt ungeschickt war: Im Tourismus-Land waren viele Menschen unterwegs, die hier gar nicht wählen dürfen. Die Wahlberechtigten wiederum hatten entweder die Hochsaison abzuarbeiten oder waren selbst im Urlaub. Auf viel Publikumsinteresse trafen die Wahlkämpfer deshalb nicht - auch nicht Erwin Sellering, der Star der SPD-Kampagne und Ministerpräsident in der rot-schwarzen Koalition.

Die Themen des Wahlkampfs passten nicht zur Lage des Landes

Noch befremdlicher ist allerdings der Umstand, dass die vorrangigen Themen des Wahlkampfs nicht gut zur Lage des Landes passten. Mecklenburg-Vorpommern ist groß und dünn besiedelt, der demografische Wandel schreitet voran, trotz Wirtschaftswachstum ist das Lohnniveau immer noch so niedrig wie nirgends sonst in Deutschland - daraus ergeben sich besondere Herausforderungen. Aber die Wahlkampf-Debatten drehten sich vor allem um Flüchtlinge und innere Sicherheit.

Noch im Frühjahr hatte Sellering gehofft, die EU-Grenzpolitik in Zusammenarbeit mit der Türkei werde den Rechtspopulisten der AfD den Wind aus den Segeln nehmen. Tatsächlich ist der Flüchtlingsstrom nach Deutschland abgebrochen. Aber das hat überhaupt nichts daran geändert, dass die AfD grandiose Umfragewerte erzielt. Dass es selbst während der größten Flüchtlingswelle kaum Probleme gab in Mecklenburg-Vorpommern? Dass der Ausländeranteil mit etwa drei Prozent der zweitniedrigste aller Bundesländer ist? Egal. Die AfD punktet mit dem Thema.

Der Wahlkampf im Nordosten zeigt, dass Rechtspopulismus unabhängig ist vom realen Geschehen. Er gedeiht in den Köpfen der Frustrierten. Er ist das Ventil für Menschen, die nach der Wende ihr Glück nicht finden konnten - darunter auch viele Kleinverdiener, die trotz hoher Arbeitsbelastung jeden Euro umdrehen müssen. Caffier und Sellering versuchen, diese Stimmung mit klaren konservativen Positionen einzufangen.

Vor allem der SPD-Mann Sellering tut das. Gerne verteidigt er seine - wie er sagt - "sanfte Kritik" an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie habe "im vergangenen Herbst den Eindruck erweckt, als müssten wir unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen, und gleichzeitig so getan, als sei jeder, der Bedenken äußerte, entweder rechtsextrem oder ein Dummkopf". Immer wieder weist er darauf hin, dass man sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge schnell abschieben müsse. Und ebenso oft mahnt er: "Es geht um die Zukunft des Landes, nicht um Bundesthemen."

Sellering und Caffier, das leibhaftige Wessi-Ossi-Klischee

Eine spannende Debatte der Spitzenkandidaten hätte helfen können, die Akzente richtig zu setzen. Aber die haben Sellering und Caffier nicht hingekriegt. Dabei sind die beiden durchaus unterschiedlich: fast das leibhaftige Wessi-Ossi-Klischee. Hier der frühere Verwaltungsrichter Sellering aus dem Ruhrgebiet, 66, eine elegante Erscheinung mit Mutterwitz. Dort der eher spröde Caffier aus Sachsen, 61, ausgebildeter Forstfacharbeiter, zu DDR-Zeiten Leiter der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft in Lichtenberg. Aber seit acht Jahren sind sie Partner in einer funktionierenden Koalition, die so humorlos wie ordentlich ihre Regierungsarbeit verrichtet: die keine Schulden macht, die Arbeitslosenquote auf neun Prozent verringert, in Breitbandnetze und Windkraft investiert, Gerichte und Theater trimmt.

Weder Sellering noch Caffier lassen sich gerne stören in ihrem wirkungsvollen, fast mechanischen Regierungsstil. Sellering mag seine Macht, Caffier mag die Freiheit, die Sellering ihm als Innenminister gewährt. Und so machen beide in diesem Wahlkampf den Eindruck, als wollten sie im Grunde nur die bestehenden Verhältnisse verteidigen.

Beim Fernsehduell im NDR trugen sie teilweise fast wortgleich ihre Positionen vor. Dass Caffier einen eigenen Spitzenbeamten für das strukturschwache Gebiet Vorpommern will und Sellering nicht, war fast schon der Gipfel der Auseinandersetzung. Außerdem will Caffier 550 neue Polizistenstellen schaffen, Sellering dagegen ein Gutachten zu dieser Personalfrage abwarten. Aber da beschwichtigte Sellering schon wieder: "Wir sind da nicht so weit auseinander, wie Sie jetzt vielleicht denken und tun." Schon sein Wahlslogan wirkt wie ein Plädoyer fürs Bestehende: "Gemeinsam auf Kurs." Und Caffier? Will er wirklich Ministerpräsident werden? Er weicht der Frage aus und antwortet: "Für mich ist das Wichtigste, dass wir mit zwei Fraktionen in diesem Land regieren können."

Für die Opposition passt dieses wachsweiche Partnerschaftsduell ins Bild einer Koalition, die zu solide ist, um kreative Lösungen zu finden für die Problemgebiete jenseits der Städte: für die weiten Wege dort, die ausbaufähige Infrastruktur, die Menschen, die sich in staatlichen Sparkursen gefangen fühlen. Bei allem, was die Koalition tut, hat sie die Schuldenbremse im Kopf, die 2020 verbindlich wird - für Helmut Holter, den Spitzenkandidaten der Linken, erwachsen daraus zu wenige Perspektiven für Normalbürger. "Diese Regierung denkt vom Geld her", sagt er, "wir müssten aber mal vom Bedarf her denken." Auch die Grünen, die nach ihrer ersten Legislaturperiode im Landtag um den Wiedereinzug ringen, vermissen rot-schwarze Visionen. Auch sie sehen die Brüche hinter den renovierten Fassaden im schönen Urlaubsland. "Wir haben zehn Jahre große Koalition", sagt Spitzenkandidatin Silke Gajek, "und das heißt, verwalten, nicht gestalten."

Caffier ist zwar ein Kämpfer, mag aber nicht polarisieren

Dabei wird es wohl bleiben. Rot-Rot-Grün wäre zwar eine Option und einigen Sozialdemokraten sicher willkommen. Aber Sellering ist kein Fan der Grünen, und in den Umfragen sieht es so aus, als könne er weitermachen wie bisher. Die Verluste dürften zwar deutlich ausfallen nach dem Erfolg von 2011 mit 35,6 Prozent. Aber die SPD hat die CDU wieder überholt nach Platz zwei im Juni. Der Union wiederum muss etwas bange sein. Eine Prognose des Instituts Insa sieht sie mittlerweile hinter der AfD, was die verbreitete Anti-Merkel-Stimmung im Land spiegeln würde - und den Umstand, dass der Innenminister mit seinen Botschaften nicht durchdringt.

Lorenz Caffier kämpft. Dass er für Burka-Verbot und gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ist, hat die Runde gemacht. Einhellig ist das Lob dafür, wie sein Haus vergangenes Jahr die Erstaufnahme der Flüchtlinge organisierte. Aber sein Naturell gibt einfach keine allzu harte Haltung gegen Sellering her. "Ich bin nicht der Typ, der früh am Kabinettstisch sitzt und nachmittags allen erzählt, dass der andere ein Vollidiot ist", sagt Caffier. Und polarisieren wie der AfD-Kollege und frühere Radiomoderator Leif-Erik Holm kann er auch nicht. Immerhin, über eines darf sich Caffier schon freuen: Der nächste Wahlkampf dürfte wieder ergiebiger werden. Die Landesregierung hat per Verfassungsänderung sichergestellt, dass in Zukunft mit Abstand zur Urlaubssaison gewählt wird.

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