Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Hessen:Wenn die Kleinen nicht mitspielen dürfen

Nur zwei Prozentpunkte liegen Schwarz-Gelb und Rot-Grün vor der Landtagswahl in Hessen auseinander. Die Stimmen der Linken würden die nötige Mehrheit bringen, trotzdem hat die SPD eine Koalition ausgeschlossen - und eine Hintertür offen gelassen.

Von Carina Huppertz

Das Bundesland Hessen hat die fragwürdige Ehre, Namensgeber für eine unpopuläre politische Konstellation zu sein. Der Begriff "hessische Verhältnisse" meint eine Sitzverteilung im Landtag, bei der keine der im Wahlkampf beworbenen Koalitionen - in Wiesbaden wären das Schwarz-Gelb und Rot-Grün - eine Mehrheit hat. Die amtierende Regierung bleibt dann provisorisch, oder "geschäftsführend", im Amt, bis Neuwahlen abgehalten werden. Regieren kann sie in der Zeit nur schwer, weil sie für jede Entscheidung Stimmen aus der Opposition finden muss.

Zwei Wochen vor der Landtagswahl hat der Chef und Spitzenkandidat der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, erklärt, dass er weder mit der CDU, noch mit der Linken koalieren wolle. Die CDU sei verbraucht, die Linke nicht regierungsfähig. "Der Wechsel wird Rot-Grün sein, oder er wird nicht sein", sagte der 43-Jähige. Mit dieser Ankündigung könnte er dazu beitragen, dass im hessischen Landtag bald wieder "hessische Verhältnisse" herrschen.

Seine Wunschkoalition aus SPD und Grünen liegt in Umfragen im Moment bei 43 Prozent, die regierenden Parteien CDU und FDP kommen auf 45 Prozent. Sollte die Linke tatsächlich in den Landtag einziehen, könnte keines der Lager ohne ihre Stimmen eine stabile Regierung bilden. Nach derzeitigem Stand allerdings würde die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Das Gespenst von Andrea Ypsilanti

Schäfer-Gümbel betonte bei seiner Ankündigung, er schließe eine rot-rote Zusammenarbeit politisch, nicht aber formal aus. CDU und FDP vermuten eine Hintertür für eine Minderheitsregierung. Regierungschef Volker Bouffier (CDU) betonte: "Das Land braucht eine stabile Regierung." Die gäbe es mit seiner Partei und dem Koalitionspartner FDP. SPD und Grüne steuerten auf unsichere Verhältnisse zu, so auch der Spitzenkandidat der Liberalen, Jörg-Uwe Hahn. Auf Twitter wurde Hahn deutlicher. Seine Prognose: Schäfer-Gümbel wird sein Wort brechen und doch mit der Linken zusammenarbeiten. "Ypsilanti lässt grüßen", twitterte Hahn.

Die Causa Ypsilanti ist unvergessen im politischen Geschehen in Wiesbaden. 2008 hatte die damalige Vorsitzende die Hessen-SPD in den Wahlkampf geführt und mehrmals jegliche Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen. Doch nach der Stimmenauszählung reichte es weder für Schwarz-Gelb, noch für Rot-Grün, denn die Linke war knapp in den Landtag eingezogen. Andrea Ypsilanti kündigte an, Hessen mit einer von den Linken geduldeten Minderheitsregierung führen zu wollen. Der Bruch ihres Versprechens wurde ihr zum Verhängnis: Vier Abgeordnete aus der eigenen Partei versagten ihr die Unterstützung, die Regierungsbildung scheiterte.

Schäfer-Gümbel räumte damals Ypsilantis Scherben auf. Er ließ sich für die Neuwahlen als Spitzenkandidat aufstellen, niemand sonst wollte den aussichtslosen Job übernehmen. Die Abstimmung im Januar 2009 gewannen CDU und FDP deutlich, die SPD fiel um 13 Prozent zurück. Ypsilanti trat als Landes- und Fraktionsvorsitzende zurück, Schäfer-Gümbel übernahm auch diese Ämter von ihr.

Er räumte auf in der SPD, versöhnte die zerstrittenen Lager und gab der Partei wieder eine klare Ausrichtung. So gut, dass es in Hessen vor der jetzigen Wahl lange nach einem Regierungswechsel aussah. Noch zum Jahresbeginn lag Rot-Grün in Umfragen bei knapp über 50 Prozent.

Lieber gar nicht als mit der Linken

Die Linke hat wiederholt signalisiert, mit SPD und Grünen zusammenarbeiten zu wollen. "Das würde ja heißen, dass die politische Mehrheit, die es dann gäbe, ungenutzt bliebe", kommentierte Spitzenkandidatin Janine Wissler. Ihre Partei stünde bereit, um Schwarz-Gelb abzuwählen. Doch Schäfer-Gümbel wirbt für den Lager-Wahlkampf. "Jede Stimme für die Linke ist eine Stimme für Schwarz-Gelb", sagte er.

Der SPD-Chef verweist darauf, es gäbe "Vorkehrungen in der Verfassung", wenn keine der Wunschkoalitionen eine Mehrheit hat. Ohne die nötigen Stimmen für Rot-Grün müsse Schwarz-Gelb als geschäftsführende Regierung im Amt bleiben, so Schäfer-Gümbel. Hessische Verhältnisse eben, die Folge wären - wieder einmal - Neuwahlen. Die scheinen ihm lieber zu sein als sich mit der Linken zu arrangieren.

Alle anderen Koalitionen bereits ausgeschlossen

Neben der rot-rot-grünen hat der Sozialdemokrat auch eine große Koalition ausgeschlossen. Andere Konstellationen sind praktisch nicht möglich. Ministerpräsident Volker Bouffier sprach sich dafür aus, die schwarz-gelbe Regierung fortzuführen. Er könne alle anderen Koalitionen "im Moment nur ausschließen", so der CDU-Politiker. Eine Ampel-Koalition ist unwahrscheinlich, weil Grüne und Liberale heftig gegeneinander hetzen. Zuletzt hatte der FDP-Abgeordnete Alexander Noll die Grünen als "Ökofaschisten" bezeichnet, die von der Partei geforderte Entschuldigung blieb er ihnen schuldig.

Während am 22. September kaum jemand Überraschungen bei der Bundestagswahl erwartet, kann es in Hessen spannend werden. Eine Lösung für eine mögliche Patt-Situation hat bis jetzt niemand. Tarek Al-Wazir, Grünen-Spitzenkandidat, bemerkte nur: "Wenn es nicht reichen sollte, dann haben wir ein Problem." Die einfachste Lösung wäre jene, die die Linke wohl nicht hören möchte: wenn sie gar nicht in den Landtag einzieht. In Umfragen kommt sie seit mehreren Monaten nicht über vier Prozent hinaus. Dann gäbe es nur ein Unentschieden, wenn die beiden Wunschkoalitionen je 55 Sitze erlangen.

Mit Material von AFP und dpa.

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