Landtagswahl in Hessen:Hui und Pfui

Koch kann Ministerpräsident bleiben, auch die FDP jubelt - die SPD ist dagegen tief gefallen: Die Hessen-Wahl 2009 ist die Quittung für die Dummheit Ypsilantis - und zeigt auf, wie sich Deutschland politisch verändert.

Heribert Prantl

In der Bibel gibt es einen Hirten namens David, in Hessen einen Politiker namens Schäfer-Gümbel. Beide sind Helden des Zufalls. David der Biblische war zunächst, wie Schäfer-Gümbel, nur ein Helferlein: Er wollte seinen Brüdern Brot und Käse bringen, um sie im Kampf gegen die Philister und den Riesen Goliath zu stärken.

Landtagswahl in Hessen: Freude und Enttäuschung: Koch und Schäfer-Gümbel

Freude und Enttäuschung: Koch und Schäfer-Gümbel

(Foto: Foto: dpa)

Das war auch die subalterne Rolle Schäfer-Gümbels vor einem guten Jahr, im Wahlkampf der Ypsilanti-SPD. Dann verspielte diese ihren Beinahe-Sieg auf entsetzliche Weise. Und auf einmal stand er, der politische Zwerg, ganz vorne vor dem schwarzen Riesen - und musste sich die Lästereien des Roland Koch anhören.

Hier endet nun der Vergleich: Thorsten-David Schäfer-Gümbel konnte gegen seinen Gegner nichts ausrichten. Die Verhältnisse in Hessen sind zu komplex, die SPD ist zu zerstritten. Der Rücktritt Andrea Ypsilantis kam zu spät. Aber der Neue hat seine Partei vielleicht vor noch größerer Schmach bewahrt. Die Hessen-SPD stürzt zwar furchtbar ab, ist aber nicht völlig aufgerieben.

Sie stürzt ab wie die Koch-CDU vor einem Jahr; sie steht nun so schwach da wie die SPD im Bund - in einem Land, das einst als das "rote Hessen" galt. Die SPD hat schon lang kein Stammland mehr. Hessen war einst Vorzeigeland der SPD. Nun zeigt sich dort, wie kaputt diese Partei ist.

Aufstieg der FDP

Hessen lehrt wieder einmal, dass immer mehr frühere Stammwähler zu kritischen Wechselwählern werden. Hessen ist zweitens ein Beispiel für den Aufstieg der ehedem kleinen Parteien zu Mittelparteien; FDP und Grüne haben sich fast verdoppelt. Hessen ist drittens ein Exempel für das zunehmende Tempo der Politik: Hui und Pfui wechseln immer schneller. In Hessen zeigt sich viertens, dass auch unter der schüttersten Personaldecke ein anständiger Kandidat stecken kann: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Gümbel her.

Bundespolitisch am bedeutsamsten ist der schier unaufhaltsame Aufstieg der Liberalen. Freidemokraten und Grüne sind Liberale verschiedener Ausprägung, wurzeln aber im gleichen Milieu. Die Krise der alten Volksparteien befördert die eher rechtsliberale FDP und die eher linksliberale grüne Partei in einem Maß, das mit den Verdiensten dieser Parteien nicht zu erklären ist. Es gibt eine großliberale Kraft als gesellschaftspolitische Strömung, die nur wegen der gegenseitigen Animositäten der sie verkörpernden Parteien koalitionspolitisch nicht zum Tragen kommt. Geradezu wundersam ist der Triumph der FDP.

Die Finanzkrise schadet ihr gar nichts, die Wähler nehmen es ihr nicht krumm, dass sie den Neoliberalismus zu ihrer Glaubenslehre gemacht hatte. In immer mehr Bundesländern regiert die FDP mit, sie macht der großen Koalition im Bund via Bundesrat das Regieren schwer. Bundesgesetze erreichen nach dem Wahlsonntag in Hessen ohne die FDP nicht mehr das Bundesgesetzblatt. Der Frust der Wähler über SPD und CDU nobilitiert die FDP.

Deutschland war jahrzehntelang Zweistromland: Da gab es den schwarzen und den roten Strom, die bei ihrem Mäandrieren einen kleinen Zufluss fanden. Aus diesem Zweistromland ist ein Dreistromland geworden: Nun gibt es den roten, den schwarzen und den gelb-grünen Strom. Das könnten gute Voraussetzungen für die Bewässerung des Landes, also für ein stabiles Regieren sein. Aber das bleibt Theorie, weil und solange diejenigen zwei Parteien, die vom roten Wählerstrom, und diejenigen zwei Parteien, die vom liberalen Wählerstrom gespeist werden, sich jeweils nicht vertragen.

Ende der Kreidezeit

Landtagswahlen zeitigen neuerdings seltsame Ergebnisse: Zuletzt hat Bayern einen Ministerpräsidenten gekriegt, den keiner gewählt hat. Nun kriegt Hessen einen, den die Mehrheit der Hessen (obwohl sie CDU und FDP gewählt hat) eigentlich nicht will. Koch ist unpopulär. Deswegen ist das CDU-Ergebnis bescheiden. Koch ist eine Mischung aus einem Neoliberalen und einem Nationalkonservativen - mit einem Schuss kalkulierter Unberechenbarkeit, die er als Liberalität verkauft.

Kein anderer Unionspolitiker gilt als so maliziös. Er kann Staub aufwirbeln und später den Nachdenklichen mimen, der klagt, dass es so staubt. Zuletzt hatte er Kreide genommen, weil Demut angesagt war. Nun ist die Kreidezeit zu Ende. Diese Auferstehung Kochs könnte zu dem Fehlschluss verleiten, dass sich seine Kaltschnäuzigkeit im Wahlkampf 2007/2008 letztlich doch rentiert hat. Koch hatte damals das Thema Jugendkriminalität so infam intoniert, dass selbst Ypsilanti-skeptische Wähler nicht mehr so skeptisch waren.

Die Hessen-Wahl 2009 ist nun nicht die Rehabilitierung der damaligen Unverfrorenheit, sondern die Quittung für die Dummheit Ypsilantis. Die Wahl von 2008 wird noch lang als Beleg dafür gelten, dass Wahlkampf-Primitivität Grenzen hat. Vom Typ Landesvater bleibt Koch so weit weg wie die Erde vom Mond. Als Wirtschaftsminister in Berlin wäre er besser aufgehoben.

Für die SPD ist der Hessen-Tag noch nicht der letzte Tag zum Heulen. Der Dramatiker Edward Albee ("Wer hat Angst vor Virginia Woolf") hat gewusst, was bei solchen Tragödien zu tun ist. Sein Rat an die Sozis: Weinen, die Tränen in den Eisschrank stellen bis sie zu Eis gefroren sind - "und dann tun wir sie in den Whisky". Den trinkt allerdings die FDP.

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