Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Bayern:Was das Ergebnis für den Bund bedeutet

  • Die herben Verluste für die CSU und das schwache Ergebnis für die SPD erschweren das Regieren für die große Koalition im Bund enorm.
  • Der Wahlerfolg der Grünen zahlt aufs Konto der neuen Parteispitze ein.
  • Die FDP muss zittern, die AfD feiert sich.

Analyse von Stefan Braun, Berlin

Nichts anderes als ein Überlebenstest steht ab sofort in Berlin an, nachdem in Bayern CSU und SPD dramatische Verluste eingefahren haben. Zusammen haben die beiden so genannten Volksparteien laut Prognosen um die 23 Prozentpunkte verloren - es ist der vorläufige Höhepunkt einer seit langem gefährlichen Entwicklung. Vernunft oder Neuwahlen - zugespitzt steht die große Koalition vor genau dieser Entscheidung.

Der Grat zwischen Vernunft und Unvernunft ist bei der CSU dabei am schmalsten. Was wird sie für Lehren ziehen aus einem Ergebnis, dass sie hat schrumpfen lassen wie nie in ihrer Geschichte? Analyse eins lautet: Die anderen sind schuld, vorneweg Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel.

Diese Erzählung gibt es schon länger, und man muss sie fürchten. Der regelrechte Hass, der sich in den Reihen der CSU breit gemacht hat, wird an diesem Wahlabend noch angestachelt. Und das, obwohl selbst bei wohlwollendster Betrachtung die CSU eine große Mitschuld daran trägt, dass das Verhältnis zwischen CDU und CSU seit drei Jahren nur noch zwischen desaströs und absurd schwankt.

Die Tonlage, die insbesondere CSU-Chef Horst Seehofer in die Flüchtlingsdebatte eingeführt hat, konnte nichts Gutes bewirken. Seine Sorgen mögen die Sorgen vieler gewesen sein; seine Attacken haben abgestoßen, auch viele CSU-Wähler. Und der Spruch von der "Herrschaft des Unrechts" zerstörte viele Brücken, über die sonst Annäherung, Verständnis, Befriedung hätten führen können.

Attacke oder Anpassung?

Aus diesem Grund gibt es auch Analyse zwei - und die könnte aus Sicht der Union manches ab jetzt besser machen. Sie besagt, dass alle Beteiligten Fehler gemacht haben - und jetzt einen vernünftigen Neuanfang brauchen. Einen, der eine kluge Sprache einführt und Schluss macht mit den gegenseitigen Attacken.

Um es an einem konkreten Beispiel fest zu machen: Es geht um einen Neuanfang, bei dem die 62 geeinten Punkte von Seehofers Migrationsplan angegangen werden - und der strittige 63. Punkt keine Rolle mehr spielen darf. Ob das gelingt? Am Wahlabend kann das niemand sagen. Gleichwohl wird es sehr viel darüber aussagen, ob CDU und CSU nochmal vernünftig zueinander finden.

Vieles hängt also jetzt an Vernunft oder Unvernunft der Christsozialen - und ob die Bayern auf ein politisches Ende von Merkel setzen. Horst Seehofer und Edmund Stoiber werden solche Ambitionen schon länger nachgesagt, weil sie glauben, dass auch die CDU mehrheitlich eher auf ein Ende der Kanzlerin hofft als auf eine Fortsetzung mit der Parteichefin.

Ob Seehofer künftig noch eine Rolle spielt, ist allerdings mindestens offen. Attacke oder Anpassung - die Frage der Fragen ist für die CSU noch nicht entschieden.

Die SPD kämpft ums Überleben

Nicht minder wichtig für die Berliner Koalition ist die Frage, was die Sozialdemokraten mit dem miserablen bayerischen Ergebnis machen. Nach diesem Abend gibt es darauf keine einfachen Antworten mehr. Ihr zuzuschauen, wie sie in der Regierung kämpft und ringt und doch wieder keine Punkte macht, tut jedem weh, der mit ihr mit bangt. Sich umgekehrt aber vorzustellen, dass die SPD jetzt im Zorn die Koalition aufkündigt und Neuwahlen den Weg bereitet, ist nicht weniger gefährlich.

Die Sozialdemokraten bräuchten dringend Erfolge. Dabei agieren sie in der großen Koalition keineswegs nur schlecht, sondern punkten zum Beispiel mit der empathischen und menschennahen Familienministerin Franziska Giffey. Der Trend aber ist nicht auf ihrer Seite - und wird auch in nächster Zeit wohl kein Genosse mehr.

Dabei ist ein Problem lange Zeit kaum beachtet, aber immer gravierender geworden: Mit einer Vernunftehe namens großer Koalition wird die SPD niemals Leidenschaft, Kampfkraft, Zukunftseuphorie auslösen. Das war früher nicht so wichtig. Aber seitdem andere - vor allem die AfD - mit viel negativer Energie auch in die SPD-Klientel hinein agitieren, wirkt der kühl-vernünftig-pragmatische Ansatz immer unattraktiver.

Aus diesem Grund wird der Druck auf Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz dramatisch wachsen, nicht einfach so weiter zu machen. Aussteigen? Neue Themen setzen? Provokationen ausprobieren? Nichts davon ist einfach - und nichts davon ist eine Garantie dafür, dass das Leben danach besser wird.

Die Grünen dürfen sich freuen - und könnten bald einigermaßen nüchtern aufwachen. Noch ist nicht ausgeschlossen, dass sie in eine Regierung kommen. Die Wahrscheinlichkeit aber ist relativ gering, weil die CSU viel bis alles tun wird, um den Grünen keinen Raum und keine zusätzliche Legitimation durch eine Regierungsbeteiligung zu geben.

Damit steigen die Chancen, dass die großen Wahlsieger wieder nur als Opposition im Landtag sitzen. Die Euphorie, ausgelöst durch ein sehr gutes Ergebnis, muss also mühsam konserviert werden, weil sie nicht direkt in mehr Macht mündet.

Für die Grünen im Bund ist das - noch - nicht spürbar. Die neue Parteispitze hat in ihrer ersten Landtagswahl mit einem satten Zuwachs gepunktet, das wird sie fürs erste noch stärker machen. Zumal sie durchaus berechtigt hoffen kann, dass der bayerische Erfolg in den nächsten zwei Wochen zusätzlichen Aufwind für die Wahl in Hessen liefert.

Dort wird am 28. Oktober ein neuer Landtag gewählt - und wenn man die bisherigen Umfragen ernst nehmen kann, fehlen der dortigen Koalition aus CDU und Grünen noch ziemlich viele Stimmen, um weiter regieren zu können. Eine heikle Situation, weil nach Lage der Dinge für die Grünen auch in Hessen trotz eines guten Resultats bald Schluss sein könnte mit dem Regieren.

Bislang liegen die Sozialdemokraten noch deutlich vor den Grünen und könnten Schwuppdiwupp in die Rolle des Juniorpartners der CDU von Volker Bouffier schlüpfen. Aus diesem Grund werden die vom Wahlkampf in Bayern erschöpften Bundes-Grünen ab Montagmorgen alles versuchen, um den Schwung aus Bayern nach Hessen zu tragen.

Die FDP sollte sich nicht zu früh freuen

Die Liberalen werden nach diesem bayrischen Wahltag voraussichtlich mit gemischten Gefühlen nach Hause gehen. Knapp über der Fünf-Prozent-Hürde - sollte das so bleiben, wäre das auf alle Fälle ein Erfolg, wenn man bedenkt, dass die FDP in den letzten fünf Jahren gar nicht mehr im Landtag war. Aber gemessen an den Ansprüchen eines selbstbewusst-stolzen Christian Lindner entspricht das kaum den Zielen, die der Berliner Parteichef für seine Partei erreichen möchte.

Das gilt insbesondere, wenn man sich bewusst macht, wie wenig die FDP von der Schwäche der CSU profitiert hat. Vor zehn Jahren noch war das ganz anders; damals blühte die FDP regelrecht auf, als die CSU schwächelte. Dieses Mal haben andere abgesahnt, und das muss der FDP zu denken geben.

Vor allem das spektakuläre Ergebnis der Grünen wird die Liberalen beschäftigen. Jedenfalls dann, wenn sie sich bewusst machen, dass die so genannte Öko-Partei keineswegs nur mit Öko-Themen punktete, sondern mit ihrem Kampf für eine liberale, weltoffene Gesellschaft. Wenn die FDP ernsthaft über Konsequenzen aus dieser Wahl nachdenkt, wird sie an dieser Stärke der Grünen und ihrer eigenen Schwäche nicht vorbei kommen.

Die AfD feiert sich laut und ärgert sich insgeheim

Die AfD wird sich auch nach diesem Wahlsonntag öffentlich feiern - und intern ein klein wenig ärgern. Feiern wird sie sich, weil sie im CSU-Stammland auf Anhieb mehr als zehn Prozent erreicht hat. Das gefällt den Rechten der Partei ganz besonders. Entsprechend lautstark werden sie sich selbst loben.

Zugleich wird keiner von ihnen öffentlich einräumen, dass sie natürlich davon träumten, auch die Grünen zu überflügeln. Deren Erfolg ist ein Wermutstropfen für die rechtspopulistische, teils rechtsradikale Partei.

Feiern freilich wird sie trotzdem. Mit diesem Wahltag kann sie sich weiter etablieren; auch in Bayern wird sie künftig eine erkleckliche Summe aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten. Fürs erste dürfte das für sie das wichtigste sein. Unabhängig davon, ob das Thema Flüchtlinge und Migration ihr auch künftig so in die Hände spielen wird wie im Jahr 2018.

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