Landtagswahl in Baden-Württemberg:Höhepunkt in Haigerloch

Merkel German Chancellor and leader of  CDU party addresses election campaign rally in Haigerloch

Merkel für Wolf: Wahlkampf-Endspurt im baden-württembergischen Haigerloch.

(Foto: REUTERS)

Eine entspannte Kanzlerin erklärt beim Wahlkampffinale in Baden-Württemberg ihre Flüchtlingspolitik - und erlebt, wie ein Parteifreund den eigenen Spitzenkandidaten düpiert.

Reportage von Oliver Das Gupta, Haigerloch

Am Ortseingang von Haigerloch ist Winfried Kretschmann zu sehen. Das große Plakat mit dem Konterfei des grünen Ministerpräsidenten ist verunstaltet: "Volksverätter" ist dort mit schwarzer Farbe aufgesprüht, mit einem R und Doppel-T, und "Merkel raus!". Immerhin hat der Schmierfink den Namen der Kanzlerin richtig geschrieben.

Angela Merkel scheint das Plakat nicht die Laune verdorben zu haben, auch nicht das Häufchen Neonazis, das vor der Witthauhalle in Haigerloch in der Kälte friert und Fahnen schwenkt. Lächelnd geht sie durch die Halle, guckt nach links und rechts, guckt in Gesichter und zu den von Dutzenden Armen gereckten Smartphones.

Marschmusik, verzückte Menschen mit aufgerissenen Augen, Kinder zeigen mit dem Finger auf Merkel. Von den 1400 Leuten hier sind gefühlt 1329 gerührt. Der Rest sind die 70 akkreditierten Medienleute und der eine genervte Sicherheitsmann, der die JU-Mitglieder zum Spalier in Reihe bugsieren muss.

Die Stimmung ist also gut in Haigerloch, einer pittoresken alten Stadt, die eine Dreiviertelstunde mit dem Auto südlich von Stuttgart liegt. Anders als die Grundstimmung in der baden-württembergischen Union, die ist schlecht. Die Südwest-CDU, einst eine Bastion der Konservativen, erwartet ein grottenschlechtes Ergebnis bei der Landtagswahl am Sonntag: Die Umfragen prognostizieren einen knappen, aber soliden Vorsprung der Grünen. Winfried Kretschmann hat als Ministerpräsident famose Beliebtheitswerte, auch viele CDU-Anhänger wollen ihn eine weitere Legislaturperiode im Amt sehen. Vieles spricht deshalb dafür, dass sich die Landes-Union den Wahltag als Schwarzen Sonntag merken wird.

Hilfreicher Schlingerkurs - für Kretschmann

Merkel scheint trotzdem bester Dinge. Die Moderatorin fragt sie, ob sie aufgeregt sei. "Klar", sagt die Kanzlerin, "wenn man das nicht mehr ist, sollte man aufhören". Und zum Publikum gerichtet: "Schön, dass Sie nicht einkaufen gegangen sind, sondern hier sind". Dabei berlinert sie so, als ob sie heimlich im Kanzleramt bei einer Flasche Rotkäppchen-Sekt mit Gregor Gysi zusammensitzen würde.

Nicht so gelöst ist der Mann, der in Haigerloch neben der Bundesvorsitzenden auf der Bühne steht: Guido Wolf, der Spitzenkandidat bei dieser Wahl, der sich in der Flüchtlingspolitik zwischenzeitlich auch vom Kurs Merkels abgesetzt hatte. In der entstehenden Lücke hat sich Kretschmann nun breit gemacht, in den Umfragen verschoben sich die Werte daraufhin zu Ungunsten Wolfs und der CDU, hin zu den Kretschmann-Grünen. Dann sagte Wolf auch noch in einem Interview, die CDU werde nicht als Junior-Partner in eine Koalition mit den Grünen gehen - was selbst in Haigerloch einige Kretschmann-Fans unter den Christdemokraten vernehmbar wurmt.

Wolf ruderte zwar zurück: Er lobte ohne Einschränkung die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und will auch die Koalition mit den Grünen nicht mehr ausschließen. Es hilft aber nichts. Wolf ruft als erstes, er sehe "einen Saal voller motivierter Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen als den politischen Wechsel in Baden-Württemberg". Der Satz soll wohl anfeuernd wirken, doch er gerät zum Stimmungsbarometer: Der Beifall ist mau und kurz. Auch Sprüche wie "Demoskopen versuchen uns in den Keller zu rechnen" und "Schicksalswahl - diesmal stimmt's wirklich" zünden nicht. Bildungspolitik, Verkehrspolitik, die Grünen misstrauen der Polizei - Wolf liefert ein lautes Stakkato. Er versucht sich an einem Loblied auf das Handwerk und schmäht die vielen Gymnasiasten mit dem Ausdruck "Akademisierungswahn". Das gefällt vielen CDU-Anhängern spürbar weniger.

Eine 15-Minuten-Rede als großes Finale

Nach nicht einmal 15 Minuten ist die Rede des Spitzenkandidaten der Christlich Demokratischen Union in Baden-Württemberg zu Ende. Nicht einmal 15 Minuten - bei seinem eigenen Wahlkampffinale. Wolf wird an diesem Tag nicht nochmal ans Mikrofon treten, dafür ein anderer. Aber dazu später.

Nach ihm ist die Kanzlerin dran. Merkel berlinert nun nicht mehr so stark, sie spricht langsam und pointiert. Ihr Ton ist freundlich, nicht alarmistisch wie der Wolfs. Sie stichelt gegen die Grünen: In der Bildungspolitik "entsteht vielleicht etwas, das nicht gut ist", Leistung werde hintangestellt. Unter Grün-Rot seit in Baden-Württemberg mehr "Substanz verzehrt" worden, als dazugekommen sei. Kretschmann gibt sie eine mit, ganz auf Merkel-Art: Das "Zusammenleben" mit dem Grünen sei für sie ja ganz angenehm, weil seine Landesregierung so wenig Bundesmittel für Infrastrukturmaßnahmen abgerufen oder gefordert habe. Sie wünsche sich aber trotzdem Wolf als Ministerpräsidenten, damit er dem Bund wie frühere CDU-Landesväter "die Hölle heiß macht, weil Baden-Württemberg Geld braucht". Es ist wohl der größte Applaus, den Wolf an diesem Tag bekommt.

Wichtiger als Wolf sind die Flüchtlinge

Dann beginnt Merkel den zweiten, längeren Teil ihrer Rede, in dem sie den Namen des CDU-Spitzenkandidaten nicht mehr erwähnt. Denn jetzt geht es nicht um Landespolitik, sondern um Flüchtlinge, es geht um Angela Merkel.

Sie erklärt, warum sie im Herbst Tausende Flüchtlinge, die in Ungarn festsaßen, nach Deutschland ließ. Sie pocht darauf, dass Menschen, die vor Krieg, Terror und Not fliehen, "hier Schutz finden". Und dass Wirtschaftsflüchtlinge nicht bleiben sollten, aber ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen. Merkel spricht davon, dass in den Flüchtlingslagern im Libanon und in Jordanien die Versorgung im vergangenen Jahr drastisch eingeschränkt wurde, weil viele Länder ihre zugesagten Beiträge nicht an die Vereinten Nationen gezahlt hätten. Sie rechnet vor, warum sie den Deal mit der Türkei für richtig hält: "Alles, was bei uns passiert, ist teurer."

Die Neuankömmlinge, die in Deutschland bleiben könnten, müssten die deutsche Sprache lernen und sich integrieren. Wer die Werte des Grundgesetzes nicht akzeptiere und etwa Frauen nicht gleich behandele, für denjenigen sei die Bundesrepublik das falsche Land.

Die Halle folgt Merkels Unbeirrtheit

Merkel formuliert das unbeirrt, sachlich, eindringlich. Als ob es selbstverständlich wäre. Und so wirkt es auf die Halle. Es gibt kein Gemurre, keine Zwischenrufe. Zwischendurch lästert sie noch über SPD und Grüne, weil diese die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer hinausgezögert hätten.

Am Ende macht sie das, was Helmut Kohl auch so gerne tat: Merkel lupft den Mantel der Geschichte. Sie stellt sich in eine Reihe mit den Säulenheiligen der CDU. Adenauer habe die Kriegsgefangenen aus der UdSSR nach Hause geholt, er habe das kaputte Land aufgebaut und mit Frankreich ausgesöhnt, es in Europa verankert. Und Kohl habe stets an der Einheit festgehalten und sie dann verwirklicht. "Wir hatten darauf gehofft", sagt sie. Und heute stehe sie hier in Haigerloch, "als Produkt der deutschen Einheit" und sieht die große Herausforderung ihrer Zeit, daran lässt sie keinen Zweifel, in der Flüchtlingskrise. Über Atomausstieg, Energiewende oder Euro-Krise spricht sie überhaupt nicht.

Dabei geht Merkel nicht auf die Obergrenzen-Diskussion ein, auch nicht auf die AfD. Sie spart auch aus, dass in Deutschland Flüchtlingsheime brennen. Und für die Fans von Horst Seehofer und potenzielle Orbanisten streut sie noch ein, dass das "Einzäunen in der Geschichte" noch nie zu einer guten Entwicklung geführt habe.

Retourkutsche von Wolfs altem Rivalen

Merkel ist durch, sie moderiert sich ab. Großer Applaus, Standing Ovations. Wolf kommt auf die Bühne, dazu die Stimmkreis-Kandidatin, ein paar Funktionäre und Jung-Unionisten. Winke, winke, ein paar Selfies mit der Kanzlerin - jetzt ist die Veranstaltung gleich vorbei.

Ist sie noch nicht, denn es folgt noch die Thomas-Strobl-Show. Der wollte selbst Spitzenkandidat werden, unterlag Wolf aber. Nun, da sich abzeichnet, dass Wolf nicht gewinnen wird, düpiert er den Parteifreund auf besondere Art: Strobl geht noch einmal zum Mikrofon und redet los. Er lobt Merkel mit vielen Worten, sagt, "Du kannst dich auf uns verlassen" und kehrt damit heraus, dass er die Kanzlerin duzt - im Gegensatz zu Wolf.

Vergiftete Lobeshymnen auf den Spitzenkandidaten

Dann preist Strobl Wolf, mit vielen Worten, er flicht ein, dass dieser einen "Rückschlag verdauen musste", wobei es unklar bleibt, ob er die Umfragen meint oder den Tod von Wolfs Vater vor einigen Tagen. Das Gesicht des Spitzenkandidaten rötet sich unter der Strubbelfrisur, ab und zu flüstert er mit der Kanzlerin.

Merkels Lächeln ist nun nicht mehr so gelöst, Hände in Rautenstellung. Vielleicht erinnert sie sich daran, wie sie Horst Seehofer viele Minuten auf der Bühne bei einem Extra-Monolog lauschen musste. Strobl redet einfach weiter. Zusammen mit seinem Grußwort zum Auftakt kommt er nun auf deutlich mehr Redezeit als Spitzenkandidat Wolf.

Der klatscht am Ende auch nicht mehr für seinen Parteifreund. Stattdessen schaut er zwischenzeitlich entrückt in die Halle. Dann lächelt er wieder. Es ist zwar ganz und gar nicht nett, was Strobl da macht. Aber so ist Politik.

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