Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl im Saarland:Unter Schock

Eine schockierte CDU erlebt an der Saar nach zehn Jahren den Verlust der absoluten Mehrheit und muss auch Schwarz-Gelb abschreiben. Nun liegt es an den Grünen, ob sie mit SPD und Linken regieren wollen.

Ch. Hickmann, Saarbrücken

Seine Frau ist bei ihm, sie halten sich an den Händen, gehen diesen Weg zusammen, der wohl der schwerste ist im bisherigen politischen Leben des Peter Müller.

Es ist halb sieben am Sonntagabend, als Müller und seine Frau sich ihren Weg in die Saarbrücker Congresshalle bahnen, und in diesem Augenblick ist klar, dass er der Verlierer dieser saarländischen Landtagswahl ist. Seine absolute Mehrheit ist weg, nicht einmal für die angestrebte Koalition mit der FDP wird es reichen.

Er kommt an die Barriere des improvisierten Fernsehstudios, lässt seine Frau los, lässt sich pudern, stellt sich neben den Moderator. Dann schaut er nach unten und schweigt.

Es ist ein Wahlergebnis, das neben dem klaren Verlierer Müller und seiner CDU auch klare Sieger hat, allen voran die Linkspartei mit ihrem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine. Auch die FDP hat gewonnen, doch am seltsamsten ist wohl die Situation der SPD an diesem Abend, was man ihren Spitzenvertretern ansieht, die um diese Zeit bereits in der Congresshalle aufgetaucht sind.

Vor dem großen Feilschen

Sie haben verloren, es wird ein historisch schlechtes Ergebnis für sie - und doch könnten sie in einigen Wochen den Ministerpräsidenten stellen. Es reicht theoretisch für ein rot-rot-grünes Bündnis, und die SPD-Leute in der Congresshalle machen in ersten Gesprächen sehr klar, dass sie versuchen werden, es zu schmieden. Und dass sie zuversichtlich sind.

Das Feilschen wird zwar erst beginnen, denn theoretisch ist ein Bündnis zwischen CDU, FDP und Grünen ebenso drin, außerdem eine große Koalition. Diese Variante allerdings wirkt an diesem Abend doch sehr theoretisch, wenn man etwa Reinhold Jost zuhört, dem Generalsekretär der Saar-SPD.

Sein Gesichtsausdruck ist weit weg vom Stadium der Euphorie, eine Mischung aus äußerster Anspannung, Erleichterung und Erschöpfung, doch als jemand vorbeigeht und "Glückwunsch" sagt, lächelt er. Danach gefragt, ob man ein solches SPD-Ergebnis denn feiern dürfe, antwortet er: "Man darf den Politikwechsel feiern."

Dies ist ihr Stichwort an diesem Abend, ihr Schlagwort, auch Astrid Klug benutzt es, die stellvertretende Landesvorsitzende. Sie sagt außerdem: "Ich glaube, dass die übergroße Mehrheit der SPD-Wähler es der SPD nicht verzeihen würden, wenn wir noch mal Peter Müller wählen würden." Das ist, obwohl sie hinzufügt, dass man ein Angebot der CDU zu Sondierungsgesprächen selbstverständlich annehmen würde, recht deutlich gegen eine große Koalition gerichtet. Stattdessen reden sie vom Politikwechsel, was nichts anderes ist als die Verbrämung und damit Vorbereitung einer Koalition mit Linkspartei und Grünen.

"Deutliche Abfuhr für Schwarz-Gelb"

Auch Heiko Maas benutzt dieses Wort, jener Mann, der noch einmal schlechter abgeschnitten hat als bei der für ihn so desaströsen Landtagswahl 2004 - der aber nun die Macht zum Greifen nah sieht. Trotz der CDU-Kampagne gegen Rot-Rot gebe es keine schwarz-gelbe Mehrheit, daraus ergebe sich der "Auftrag zu überprüfen, ob es in diesem Land auch andere Mehrheiten geben kann".

Es habe eine "deutliche Abfuhr für Schwarz-Gelb" gegeben, sagt Maas, der schon am Donnerstagabend erste Signale an die Grünen ausgesandt hatte. Bei der Abschlussveranstaltung der SPD im Wahlkampf, am Ende seiner Rede, hatte er in die Halle gerufen, die Grünen seien "in der Vergangenheit immer ein verlässlicher Partner" gewesen. "Und wenn sie den Politikwechsel wollen, dann kriegen sie ihn. Aber nur mit uns."

Spaziergang auf der "Rasierklinge"

Lafontaine wiederum hatte sich solcher Töne zwar enthalten, dafür aber geschwiegen, was die Grünen anging. Auch dies war schon ein Zeichen gewesen. Vor Wochen hatte er eine Kampagne gegen sie geführt, hatte getönt, er wolle sie aus dem Landtag "kegeln", wohl aus dem Kalkül heraus, allein mit der SPD eine Mehrheit erreichen zu können - und wahrscheinlich aus Sorge, die Grünen könnten im Fall des Falles doch ein Bündnis eingehen mit CDU und FDP.

Im Wahlkampf hatten sie keinerlei Präferenz erkennen lassen, was ihr bevorzugtes Bündnis anging, stattdessen hatten sie strengstens darauf geachtet, in keinem der beiden Lager potentielle Wähler mit einer eindeutigen Aussage zu verprellen.

Von einem Spaziergang auf der "Rasierklinge" hatte Landeschef Ulrich kurz vor der Wahl gesprochen, von einer "ganz heißen Kiste" am Sonntag.Ganz so heiß allerdings wurde es dann ja doch nicht, stattdessen wird Ulrich in den nächsten Tagen ein sehr begehrter Mann sein. Von seiner Entscheidung dürfte es nun abhängen, wer der nächste Ministerpräsident wird.

Am Sonntagabend lässt er weiterhin keine Präferenz erkennen, sagt aber, das Experiment habe funktioniert, sich auf keine der beiden Seiten zu schlagen. Und er wiederholt seine Forderung, die Studiengebühren abzuschaffen - darunter werde man es nicht machen. Außerdem betont Ulrich, wie wichtig die Bildungspolitik sei, und sagt, es gehe darum, dass das Saarland sozialer werde. Dies alles kann man als Aussagen Richtung Rot-Rot-Grün werten, auch wenn als Hemmnis bleibt, dass es persönliche Verwerfungen zwischen ihm und Vertretern der Linkspartei gibt, auch mit solchen, die im nächsten Landtag sitzen.

Deshalb wird es nun erst losgehen, werden die nächsten Tage entscheidend sein. Man darf davon ausgehen, dass Heiko Maas im Lauf dieser Tage nicht immer so entspannt aussehen wird wie am Sonntagmorgen, als er erst einmal einen Apfel aß. Da hatte er gerade fünf Kilometer am Ufer der Saar hinter sich gebracht, eine Art öffentlicher Frühsport mit Unterstützern. In eher gemächlichem Tempo waren sie gelaufen, weshalb Maas, der sich im vergangenen Jahr als Triathlet betätigt hatte, nicht angestrengt aussah, als er in seinen Apfel biss.

In roter Radlerhose und im roten Laufhemd stand er vor einem Stand seiner Parteifreunde und redete über den Wahlabend vor fünf Jahren, als schon zuvor klar gewesen war, dass er nicht einmal in die Nähe der Macht kommen würde. Damals hätten sie nachmittags schon die Erklärung für den Auftritt als Verlierer vorbereitet, sagte Maas, während man sich in diesem Jahr "mindestens auf zwei Situationen vorbereiten" müsse.

Über mögliche Sondierungsgespräche redete er da zwar bereits, doch er ging in diesem Augenblick davon aus, dass es knapp würde, weshalb er auch über die Möglichkeit "Schwarz-Gelb" sprach. Sein Generalsekretär Jost verabschiedete sich dann, er wollte zum Knödelfest, doch Maas sagte grinsend, dass es ihm nun reiche - zu viele Feste hatte er in den vergangenen Wochen besuchen und dort zu viele Hände schütteln sowie zu viele Biergläser heben müssen, was in dieser Kombination nicht unbedingt seine liebste Beschäftigung ist. Dann doch lieber Gespräche im Hinterzimmer - immer die Staatskanzlei im Blick.

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Quelle:
SZ vom 31.8.2009/plin
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