Landtagswahl:Die Grünen sollten von Kretschmann lernen

Baden-Wuerttemberg Prepares For State Elections

Wahlplakate in Pforzheim, Baden-Württemberg.

(Foto: Getty Images)

In Berlin beobachten viele Grüne die Erfolge des Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg mit Argwohn. Zu Unrecht.

Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Wer lebt da eigentlich in Baden-Württemberg? Ist das so eine Art gallisches Volk, eine Enklave von leicht spinnerten Mitbürgern, ausgestattet mit Superkräften, die sie einem geheimnisvollen Zaubertrank zu verdanken haben? Angerührt und zusammengebraut von einem weißhaarigen Druiden namens Winfried Kretschmann?

Es ist schon ein Phänomen. Damals, 2011, da haben die Baden-Württemberger die Grünen so stark gemacht, dass sie zusammen mit der SPD als Juniorpartner den Ministerpräsidenten stellen konnten. Ein grüner Ministerpräsident! Was für ein historisches Ereignis. Niemand hätte damals gedacht, dass dieser Erfolg wiederholt werden könnte. Stuttgart21, ein Amtsinhaber Stefan Mappus, der sich mit allerlei Affären selbst ins Off geschossen hat, dann noch der Atomunfall in Fukushima. Einiges kam damals zusammen, was diesen Ausnahmesieg der Grünen im Nachhinein als einmaliges Ereignis erklärbar erschienen ließ.

Und heute? Die Grünen stehen noch besser da als 2011. Mit 32 Prozent werden sie in zwei Umfragen taxiert. Und mit zwei bis vier Prozentpunkten vor der CDU. Wenn das so bleibt bis am 13. März die Wahllokale schließen, wäre die nächste Sensation perfekt: Die Grünen vor der CDU. In Baden-Württemberg. Im Ländle. Dem Inbegriff des Biederen und Konservativen.

Vieles hängt mit der Person Winfried Kretschmann zusammen. Er hat das Land zuverlässig und entspannt fünf Jahre lang geführt. Integer, unaufgeregt und immer bedacht, die neu gewonnenen bürgerlichen Wähler nicht mit all zu viel Aktionismus zu verschrecken. Die Steine stehen nach fünf Jahren Kretschmann durchaus noch aufeinander in Baden-Württemberg. Aber sie haben einen grünen Anstrich bekommen. Vielen Baden-Württembergern scheint zu gefallen, was sie da sehen. Kretschmann gehört zu den beliebtesten Ministerpräsidenten bundesweit. Von den Baden-Württembergern sind 69 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden bis sehr zufrieden, 57 Prozent würden ihn direkt wählen, wenn sie könnten.

Es wäre jetzt leicht für die Grünen im Bund, den Erfolg der Parteifreunde im Südwesten allein auf das Phänomen Kretschmann zu reduzieren. Vielen reicht das als Begründung. Es macht Debatten über die eigene Rolle überflüssig: Was in Baden-Württemberg klappt, funktioniert halt nicht im Bund. Oder in anderen Bundesländern.

Doch: Warum eigentlich nicht? Baden-Württemberg ist mit etwa elf Millionen Einwohnern und knapp 36 000 Quadratkilometern Fläche in beiden Kategorien das drittgrößte Bundesland. Es gibt ländliche Räume, es gibt Städte, es gibt Ballungsgebiete. Wirtschaftlich steht Baden-Württemberg gut da. Und dennoch gibt es Regionen mit großen sozialen Verwerfungen. Es gibt in Baden-Württemberg nichts, was es nicht woanders auch gäbe. Warum also sollte der Erfolg der Grünen nicht auch in Niedersachen, in Nordrhein-Westfalen, bundesweit möglich sein?

Mit Erfolg können viele Grüne nur schwer umgehen

Ein Grund liegt im Selbstverständnis der Grünen. Viele in der Partei fühlen sich in der Rolle des Underdogs ganz wohl. In den Köpfen vieler Grüner schrammt die Partei immer noch ständig an der Fünf-Prozent Hürde entlang. Mit Erfolgen können sie nur schwer umgehen. Zwischen 1990 und 2009 haben die Grünen im Bund ihre Wahlergebnisse etwas mehr als verdoppelt, von 5,1 auf 10,7 Prozent. Und nach fast jeder Wahl war das Gejammer groß, dass alles noch viel besser hätte laufen können. Selbst das als brettharte Niederlage empfundene Ergebnis von 2013 (8,4 Prozent) war gar nicht so schlecht. Nur zwei Mal haben die Grünen in ihrer Geschichte mehr bekommen. Die Linke hat dagegen 2013 den Verlust von 3,5 Prozentpunkten einfach zu einem irren Erfolg erklärt. Sie sei jetzt Oppositionsführerin, erklärte nach der Wahl 2013 Gregor Gysi mit breitem Grinsen.

Die Grünen im Bund würden gerne alleine die Agenda der Partei bestimmen. Als im Bundesrat gegen die Grünen plötzlich keine Mehrheiten mehr zustande kommen konnten, waren in der Parteizentrale viele der Ansicht, die Länderkammer sei der verlängerte Arm der Bundespartei. Enttäuscht und erschrocken haben die grünen Vorleute reagiert, als dann Winfried Kretschmann in den Verhandlungen um das erste Asylpaket plötzlich der Ausweitung der sicheren Herkunftsländer auf einige Balkanstaaten zustimmte. Für einen Kompromiss übrigens, der die Lage der Asylbewerber im Land erheblich verbessern sollte.

Kretschmanns Ansehen im Land hat sein pragmatischer Politikansatz sehr geholfen. Statt sich aber Kretschmanns Erfolgsformel mal genauer anzusehen, wird er von vielen Grünen im Bund misstrauisch beäugt. Verrat an grünen Idealen werfen ihm manche vor.

Regieren bedeutet Kompromisse machen

In der Bundespartei vergessen manche gerne, welche Aufgabe Parteien haben: Parteien formulieren Interessen, gerne auch an Idealen orientiert. Parteien wirken an der Meinungsbildung mit. Aber Parteien regieren nicht, sondern Regierungen. Meist in Form von Koalitionen. Und immer sind Kompromisse nötig. Der Kompromiss ist teil des Kerngeschäftes einer Demokratie, in der es immer und überall um den Ausgleich von Interessen geht.

In der Oppositionsrolle lassen sich Ideale leicht formulieren und einfordern. In der Regierung aber kann es nur darum gehen, möglichst viele der eigenen Positionen in Kompromisse verpackt umzusetzen.

Kretschmann verbindet das mit ein paar als grundbürgerlich verstandenen Werten wie Anstand, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und strenger, fast protestantischer Verfassungstreue. Dabei ist er Katholik.

Wenn Kretschmann mit seinen Landes-Grünen vor der CDU landet, dann wird das auch die Grünen insgesamt verändern. Wenn sie nicht als ewige Irgendwas-um-zehn-Prozent-Partei weiterwurschteln wollen, werden sie im besten Sinne bürgerlicher werden müssen, pragmatischer, kompromissbereiter. Ideale sind in so einem Modell keine Dogmen, sondern lediglich Leitplanken. Baden-Württemberg kann - wenn die Grünen das wollen - zu einer Blaupause für die gesamte Partei werden.

"Nicht links, nicht rechts, sondern vorn."

Notwendig wäre das. Vor allem Angesichts der strukturellen Schwäche der SPD, einst die natürliche Koalitionspartnerin der Grünen. Diese Schwäche führt dazu, dass zumindest im Bund rot-grüne Mehrheiten in nächster Zukunft nahezu ausgeschlossen sind. Selbst mit der Linken dürfte es schwer werden. Mal abgesehen von den großen inhaltlichen Differenzen. Die Grünen werden also neue Strategien entwickeln müssen, um ihr Potential besser zu nutzen, wenn sie sich aus der Abhängigkeit von der SPD befreien wollen. Es reicht da nicht, sich für Bündnisse mit der CDU zu öffnen. Das ist ohnehin notwendig. Und möglich, wie die schwarz-grüne Koalition in Hessen zeigt.

Die Grünen können weit stärker werden, als sie es heute sind. Nur wird links der Mitte der Platz langsam eng. Die SPD ist da, die Linke, zum Teil Merkels CDU. Die Grünen sind in der Lage ihre Fühler weit ins bürgerliche Lager auszustrecken. Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung, ein so verstandener grüner Konservatismus kommt auch dort gut an. Und würde die eigene Klientel kaum verschrecken. Kretschmann macht vor, wie das geht. Und wenn sein grüner Landwirtschaftsminister Alexander Bonde im Trachten-Janker um den ländlichen Raum wirbt, ist das nur konsequent.

Zu den Gründungsmythen der Grünen gehört dieser Satz: "Nicht links, nicht rechts, sondern vorn". Ein Rückbesinnung auf diesen Satz könnte die Partei in neue Höhen führen.

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