Landtagswahl in Brandenburg:Der Ministerpräsident, der gegen Gespenster kämpft

Dietmar Woidke

Plakat mit Dieter Woidke: Einen Wahlkampf wie diesen hat die SPD in Brandenburg noch nicht erlebt.

(Foto: dpa)

Brandenburg gilt als das rote Bollwerk im Osten, die SPD regiert hier seit 30 Jahren. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Dietmar Woidke muss sich gegen kaum greifbare Gegner verteidigen.

Von Jan Heidtmann

Auf dem Tisch liegt ein Revolver, silbern mit braunem Griff, und Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg, ist unschlüssig, ob er zugreifen soll. Kinder beobachten die Szene, vor allem aber eine Handvoll Reporter, das Fotohandy im Anschlag. Schließlich nimmt Woidke die Waffe, "wo soll ich spannen", fragt er, als es so weit ist. Der Mann neben ihm sagt nur: "Einfach durchziehen." Woidke zieht durch, und die Kinder von Jüterbog beginnen ihren "Lauf der Toleranz". Es ist gleichzeitig der Startschuss zu einem etwas verunglückten Wahlkampftermin an einem Freitagabend im August.

Einen Wahlkampf wie diesen hat die SPD in Brandenburg noch nicht erlebt. Sie regiert das Land seit der Wende, also seit fast 30 Jahren. Brandenburg, das rote Bollwerk im Osten. Zuletzt holte der Spitzenkandidat Woidke noch 32 Prozent. Einmal nur, 2004, da gab es ähnlich heftigen Gegenwind wie derzeit. Der Ministerpräsident hieß Matthias Platzeck, und die Leute waren sauer auf die SPD wegen der Agenda 2010. Auf den Marktplätzen wurden Wahlkämpfer angepöbelt, auch mal mit Bechern beworfen. Aber der Konfliktpunkt war klar: die Hartz-IV-Reformen. Nach vielem Reden mit den Leuten gewann Platzeck die Wahl deutlich. Diesmal ist es anders, Woidke kämpft gegen Gespenster.

An die hundert Menschen sind nach Jüterbog gekommen, eine gute Autostunde südlich von Berlin, einst ein preußischer Militärstandort, jetzt gehört die Stadt zum Zonenrandgebiet des Speckgürtels. Die Sonne scheint, alkoholfreie Getränke sind umsonst, die Laune unter den SPD-Sympathisanten hier ist gut. Woidke stellt sich in die Mitte der Biergartentische und hält die Rede, die er in Variationen seit vier Wochen hält. Nur, dass es im Jüterbog der Pendler nicht so sehr um Braunkohle oder die Rente geht, sondern vor allem um Nahverkehr, Schulen und Kitas. Woidke ist ein großer Mann mit kahlem Kopf und markanter Nase, bei seinen Auftritten sieht er manchmal aus wie ein stolzer Pelikan.

Woidkes Reden wirken oft ein wenig farblos

Im Munzinger-Personenarchiv steht über Dietmar Woidke, er gelte als "farblos, aber auch als verlässlich, pragmatisch, solide und bodenständig". So in etwa klingen auch seine Reden, doch was Woidke wirklich gut kann, ist auf die Menschen einzugehen. Er schlendert nach seinen Auftritten von Tisch zu Tisch, sagt "Tach auch", und man hat den Eindruck, dass die Leute sich gerne mit ihm unterhalten. Er suche die Harmonie mit den Menschen geradezu, erzählt einer, der lange Zeit mit Woidke zusammengearbeitet hat. Denn, und das sagt der Mann auch, Woidke sei im Kern konfliktscheu. Es ist ein Phänomen, das einem bei der Recherche zu diesem Ministerpräsidenten regelmäßig begegnet: Zustimmung zu Woidke gibt es nie ohne Einschränkung. Mal gilt er als "entscheidungsschwach", dann wieder als "Einzelgänger". Und immer wieder wird er an seinen Vorgängern, den Menschenfischern Matthias Platzeck und Manfred Stolpe gemessen. Zu jedem Lob gehört ein "Aber".

Der Ministerpräsident muss jetzt an den Grill, auf den zehn Metern dorthin wird er von einem Reporter aufgehalten, die nächste Umfrage: AfD 21 Prozent, SPD nur noch 17. Woidkes Mitarbeiter wollten es ihm erst nach der Veranstaltung mitteilen, in seiner Rede hatte er noch gesagt, er kämpfe um Platz eins. Nach ein paar stummen Momenten am Grill bittet ihn der Moderator des Abends um seine Tipps für eine gelungene Bratwurst. "Am besten frisch braten", sagt Woidke etwas matt. Die Gespenster haben ihn wieder eingeholt.

Das eine heißt Andreas Kalbitz und ist der Spitzenkandidat der AfD. Die Partei steht derzeit solide über 20 Prozent, wo immer Kalbitz und seine Entourage auftauchen, verrohen die Sitten - selbst für Wahlkampfzeiten. Zum Beispiel, als Kalbitz vor rund 100 Schülern im Landtag über Klimaschutz diskutiert und Greta Thunberg ein "zopfgesichtiges Mondgesicht-Mädchen" nennt. Oder an den vielen Laternenmasten, wo sich die AfD auf ihren Plakaten mit großer Dreistigkeit den Mauerfall einverleibt: "Vollende die Wende". Selbst die SPD-Ikone Willy Brandt wollen sie posthum zu ihrem Kronzeugen machen.

Woidke hat die AfD danach schärfer attackiert, aber das ist heikel und auch in seinem Wahlkampfteam umstritten. Die Rechtspopulisten verstehen sich perfekt auf die Mimikry vom Täter zum Opfer. Dazu kommt, dass Kalbitz zwar Spitzenkandidat der AfD ist, aber kaum Regierungschef werden wird. Keine der anderen Parteien will ihn stützen. "Wenn dein Hauptgegner als Ministerpräsidentenkandidat ausfällt, hat das etwas von Schattenboxen", sagt Klara Geywitz, Abgeordnete aus Potsdam, die sich nun um den SPD-Vorsitz bewerben will. "Dadurch ist es schwer für Dietmar Woidke, sich zu profilieren."

Das zweite Gespenst zeigt sich im Aufstieg der Grünen

Das zweite Gespenst ist die Umwelt. Es zeigt sich in kaum zu löschenden Bränden im Hochsommer, in trockenen Böden, also schlechten Ernten und im Braunkohletagebau in der Lausitz. Ganz konkret zeigt es sich im Aufstieg der Grünen. Seit Anfang des Jahres ist die Zustimmung für sie emporgeschossen wie eine dieser schnell wachsenden Kletterpflanzen. Bei der Europawahl legten sie sechs Prozent zu, kürzlich erklärte die Spitzenkandidatin der Grünen, Ursula Nonnemacher, auch Ministerpräsidentin werden zu können.

Beide Gespenster hat Woidke auch selbst gerufen. Seine Regierung hat die Menschen in der Lausitz zu lange im Glauben gelassen, sie könnten noch jahrelang weitergraben. Das nun beschlossene Ende bis 2038 durch den Kohlekompromiss erscheint da manchem Kumpel doppelt jäh. Ähnlich unehrlich ist das pauschale Lamento über die niedrigen Renten im Osten. "Dass die Rentenmauer in Deutschland schon länger steht als die Mauer in Deutschland, ist ein Skandal", sagt Woidke dazu bei seinen Auftritten. Kein Wort darüber, dass die Renten in Brandenburg im Durchschnitt höher liegen als in der gesamten Republik. Das schafft Unzufriedenheit, die letztendlich den Populismus-Profis von der AfD hilft.

In der Landwirtschaft wiederum steht der Agraringenieur Woidke für die konventionellen Methoden, in der Verkehrspolitik hat seine Regierung erst sehr spät reagiert. Dazu kommen handwerkliche Fehler, vor allem eine groß angelegte Kreisgebietsreform. Woidke sagte sie nonchalant vor ein paar Fernsehkameras auf einem Parkplatz ab. Fachlich war das vielleicht richtig, politisch war es ein Desaster.

Seit fast sechs Wochen ist Woidke jetzt im Wahlkampf unterwegs, sechs Tage in der Woche, 14, manchmal 16 Stunden am Tag, fast jeden Abend eine Veranstaltung. Dazu das Arbeitspensum als Ministerpräsident. Zum Joggen kommt er zurzeit nicht, sagt er, er meditiert auch nicht, dafür betet der Protestant Woidke zweimal am Tag. Sein wichtigstes Verkaufsargument ist Stabilität für Brandenburg: "Das Land braucht eines nicht und das sind Experimente." Sein wichtigstes Instrument wiederum sei das Zuhören, erklärt Woidke. "Ich rede mit den Menschen, höre zu, versuche, die Erwartungen zu erfüllen."

Das Blöde beim Zuhören ist nur, dass es einen ganz eigenen Sog entwickelt. Je mehr einer bereit ist, zuzuhören, desto mehr beschweren sich die Menschen. Selbst die, die es gut meinen mit Woidke. Beim Auftritt in Altdöbern, Lausitz, ist es die geplatzte Kreisgebietsreform, die eine Zuhörerin verärgert hat; in Falkensee beschweren sich zwei Lehrerinnen, dass die neu eingestellten Kolleginnen nicht ausreichend qualifiziert seien. Auch in Forst, der Heimatstadt von Woidke, kann er offenbar nichts richtigmachen. "Wenn jemand aus der Stadt Ministerpräsident ist, dann muss hier auch etwas passieren", beschreibt die parteilose Bürgermeisterin Simone Taubenek einen Teil der Stimmung. "Dann muss es hier aussehen wie in Potsdam."

Die wirtschaftliche Lage im Land ist deutlich besser als die Stimmung

Die Kampagne der SPD lautet "EIN Brandenburg". Unterwegs mit Woidke hat man jedoch den Eindruck, dass es zahllose Brandenburgs gibt. Etwa genauso viele wie das Land Einwohner hat: 2,5 Millionen. Und jedem einzelnen passt irgendetwas nicht. Es ist das Gespenst Nr. 3, gegen das Woidke zu kämpfen hat. Sein Vorgänger Platzeck hat es kürzlich in einem Interview so umschrieben: "Eine Grundstimmung, die sich ein Stück von den Daten und Fakten gelöst hat."

Denn Brandenburg geht es tatsächlich ganz gut, besser jedenfalls als je zuvor seit der Wende. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit liegt bei 5,7 Prozent, die rot-rote Regierung hat Polizisten und Lehrer eingestellt, die Bahn baut ihr Streckennetz aus. Für das Braunkohlerevier in der Lausitz hat Woidke mitausgehandelt, dass der Strukturwandel mit 40 Milliarden Euro gefördert wird. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett das Gesetz dazu beschlossen. Mit dem höchsten Lob der Brandenburger könnte es nun heißen: "Kann man nicht meckern." Warum geschieht es dann trotzdem ständig?

Woidke mag darüber nicht lange räsonieren, er ist jetzt voll im Wahlkampfmodus, da ist das vermutlich zu viel verlangt. Es geht um den Endspurt. "Wir kämpfen um Platz eins", sagt er wieder einmal. Laut den jüngsten Umfragen könnte der SPD das sogar gelingen. Nach diesem Wahlkampf würde Woidke dann trotz enormer Verluste fast wie ein Sieger dastehen.

In seinem Arbeitszimmer in der Staatskanzlei in Potsdam hängt ein etwas düsteres Gemälde vom Bug eines Fischerboots, das gerade gegen eine riesige Welle ankämpft. Es stammt von dem Brandenburger Künstler Manfred Zèmsch, und Woidke sagt, für ihn stehe das Motiv "sinnbildlich für die Arbeit in der Politik". Seine Spannung bezieht das Bild jedoch daher, dass die Lage an Bord ungeklärt ist: Schafft das Boot die Welle oder wird es vom Wasser verschluckt?

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