"Wahlarena" in Brandenburg:Unglaubwürdiger Saubermann von der AfD

Spitzenkandidaten in der rbb-Wahlarena vor Landtagswahl in Brandenburg

Die Spitzenkandidaten von links nach rechts: Andreas Kalbitz (AfD), Dietmar Woidke (SPD), Ingo Senftleben (CDU), Kathrin Dannenberg (Linke), Hans-Peter Goetz (FDP) und Ursula Nonnemacher (Grüne).

(Foto: dpa)

Einer gibt sich betont moderat, ein anderer rühmt sich für vergangene Taten: Vor der Landtagswahl in Brandenburg präsentieren sich sechs Spitzenkandidaten in einer TV-Debatte. Am Ende wird Protest laut - von den Zuschauerrängen.

TV-Kritik von Camilla Kohrs

Es wäre nicht Brandenburg, wenn in der Wahlarena nicht leidenschaftlich über den Kohleausstieg diskutiert werden würde. Kein Wunder, denn die Zukunft der Lausitz, des Braunkohletagebaugebietes in Brandenburg und Sachsen, ist das große Thema im Wahlkampf und so auch in der "Wahlarena" des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), in der Zuschauer den sechs Spitzenkandidaten der stärksten Parteien Fragen stellen durften.

Brandenburgs derzeitiger Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) spricht sich während der Sendung für einen "stufenweisen Ausstieg" aus der Braunkohleverstromung in der Lausitz aus. "Wir leben, auch hier im Studio, vom Strom aus der Lausitz, das sollten wir nicht vergessen", sagt Woidke. AfD-Kandidat Andreas Kalbitz warb dagegen für einen Ausstieg "mit Augenmaß". Der Ausstieg solle erst vollzogen werden, wenn es einen Zukunftsplan gebe. Einem Zuschauer kommt das fahrlässig vor: An dem Kohlekompromiss hängen Milliarden Euro Fördergelder, wieso wolle die AfD darauf verzichten. "Irgendwann müssen wir ja aus der Braunkohle aussteigen, wer soll es denn dann bezahlen?", fragt der Mann aus dem Publikum. Kalbitz entgegnet, die AfD wolle erst den Strukturwandel, dann den Ausstieg.

Der Kohlekompromiss sieht vor, dass die Kohleregionen für den Ausstieg Fördergelder bekommen, um den Strukturwandel zu gestalten. Woidke kündigte in der Sendung an, dass das Strukturstärkungsgesetz wohl noch vor der Wahl durch das Bundeskabinett gehen solle. Dieses sehe vor, dass die Region um Cottbus andere Standbeine bekomme, wie Forschungsinstitute, zudem sollen dort neue Industriearbeitsplätze geschaffen werden. FDP-Spitzenkandidat Hans-Peter Goetz forderte clevere Lösungen, mit denen Brandenburg ein Vorbild für andere Regionen sein kann. Er machte allerdings keinen Vorschlag, wie diese konkret aussehen könnte.

Das Publikum nimmt dem AfD-Mann seinen Saubermann-Versuch nicht ab

Vor der Landtagswahl am 1. September zeichnet sich in den Prognosen eine historische Niederlage für die SPD ab. Die regiert das Bundesland durchgehend seit 1990. Nach der jüngsten Umfrage von Forsa für die Märkische Allgemeine lag die AfD mit 21 Prozent als stärkste Kraft vor der CDU mit 18 Prozent und der SPD mit 17 Prozent. Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, werden die Sozialdemokraten massiv an Stimmen verlieren, AfD und Grüne hingegen deutlich gewinnen. Selbst wenn es nur um die 20 Prozent werden: Die AfD als stärkste Kraft in einem Bundesland, das ist ein Novum in Deutschland.

Doch das, sowie mögliche Gründe für den hohen Zuspruch der Wähler für die AfD, ist kaum ein Thema. Es wird lieber lange über die Feuerwehr und Handynetzabdeckung diskutiert. Dabei sticht kein Politiker wirklich hervor. Weder Ministerpräsident Woidke, der in der Runde am meisten zu verlieren hat, noch die Kandidatin der Grünen, Ursula Nonnemacher, die zumindest zu Beginn der Sendung sehr unsicher wirkte und einen der wichtigsten Wahlkampfpunkte ihrer Partei, die Forderung nach einem vorzeitigen Kohleausstieg, nicht vorbrachte. Der CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben war so aufgeregt, dass er sich stetig verhaspelte.

AfD-Kandidat Kalbitz gibt sich an diesem Abend zurückhaltend. Er gehört zum radikalen Teil der Partei und hat sich bisher im Wahlkampf vor allem an der Seite des thüringischen Landeschefs Björn Höcke gezeigt. Erst am Montag war er mit einem derben Spruch gegen einen Brandenburger Schüler aufgefallen. Der hatte Kalbitz bei einer Diskussionsveranstaltung gefragt, was er von Höcke halte, der "ziemlich offen ein Nazi sei". "Tut mir leid, dass Sie da so verblendet sind durch die Dauerrotlichtbestrahlung, die Sie medial an der Schule bekommen", hatte Kalbitz geantwortet. In der Wahlarena hat er es offenbar auf eine andere Klientel abgesehen. Er spricht davon, dass die AfD das Grundrecht auf Asyl wahre, den Verfassungsschutz aufstocken wolle, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen.

Dann wird Linken-Kandidatin Kathrin Dannenberg laut: "Er verkauft sich hier als Saubermann", ruft sie rein. "Sie haben sich in Cottbus mit Höcke hingestellt und haben da Reden geschwungen, von Messerstechern und gewalttätigen Flüchtlingen." Die AfD bemühe sich nicht um eine gute Integration. Als Kalbitz ihr daraufhin vorwirft, "schwarz-weiß zu malen" und sagt, dass die AfD keine Ängste und Sorgen schüre, gibt es lautstarke Reaktionen aus dem Publikum, das ihm sein gemäßigtes Auftreten an diesem Abend wohl nicht abkauft.

Lebensnahe Zugänge und aufgeregte Schüler

Woidke betont in seinen Beiträgen vor allem die Errungenschaften der vergangenen Legislaturperiode und überschreitet dabei immer wieder seine Redezeit. Als ihn der Moderator zum wiederholten Mal darauf hinweist, antwortet er schnippisch: "Ich kann nichts für Ihr Konzept, Herr Langebeck." Vor allem gegen die Grünen bringt er sich in Stellung. Man müsse den Klimawandel sozial denken und die Menschen mitnehmen. "Ein Klimaschutz, der ein Klimaschutz der Reichen ist, wenn sich Menschen ihr Auto nicht mehr leisten können, wird scheitern."

Während der Ministerpräsident sich oft sehr allgemein äußert, bemüht sich CDU-Kandidat Senftleben um lebensnähere Zugänge. So erfahren die Zuschauer beispielsweise, dass er vor Kurzem auf dem Jugendfeuerwehrfest war oder in Treuenbrietzen vor Ort, als dort der Wald brannte. Er machte von allen Spitzenkandidaten am meisten konkrete Zusagen: Kein Dorf dürfe mehr für den Kohleabbau weichen; Förderschulen müssen erhalten werden; bis Ende 2020 sollen überall im Land Funkmasten aufgestellt werden, die die zahlreichen Funklöcher stopfen, fordert Senftleben. Letzteres Versprechen sei nicht zu erfüllen, macht Woidke daraufhin deutlich.

Ursula Nonnemacher betonte als Reaktion auf eine Zuschauerzuschrift, dass Klimapolitik keine Panikmache, sondern Verantwortung sei. Zudem sprach sie sich für ein Bleiberecht für gut integrierte Flüchtlinge aus. "Es ist idiotisch, Menschen abzuschieben, die seit fünf Jahren hier sind und was leisten", sagte Nonnemacher. Dem stimmte auch FDP-Mann Goetz zu.

Am Ende gibt es noch Protest auf den Rängen: Eine Gruppe Schüler ist sauer, dass das Thema Bildungspolitik nicht konkret genug besprochen wurde. Gleich mehrere von ihnen beschwerten sich vor der Kamera. Der Einzige, der dazu was gesagt habe, sei Kalbitz gewesen. Das finden die Schüler nicht gut.

Protest gab es auch außerhalb der Wahlarena: Die Freien Wähler demonstrierten während zur Ausstrahlung vor dem RBB-Studio in Potsdam-Babelsberg. Nach Meinung der Partei hätte ihr Landeschef Péter Vida in der Runde dabei sein müssen. Der RBB hatte die Parteien eingeladen, die die größten Chancen haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden und in den Landtag einzuziehen. Die Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freien Wähler, die in Prognosen derzeit um die drei bis vier Prozent erhalten, zählte der Sender nicht dazu. Bei der Wahl 2014 errangen die Freien Wähler allerdings ein Direktmandat und zogen daher über eine Grundmandatsklausel mit drei Abgeordneten in den Landtag ein. Das könnte auch diesmal gelingen.

Laut Prognosen wird sich nach der Wahl wohl eine Koalition von mindestens drei Parteien finden müssen. Was die Wähler da erwarten kann, dazu war von den Kandidaten nichts zu hören. Die Linke Dannenberg und die Grüne Nonnemacher nannten im Abschlussstatement zwar ähnliche Vorhaben und CDU-Mann Senftleben schloss eine Zusammenarbeit mit der AfD rigoros aus. Die große Vision aber, wie die Parteien nach der Wahl mit der AfD als stärkster Fraktion umgehen werden und Wähler wieder für sich gewinnen wollen, bleibt jedoch aus. Und so zeichnet sich im brandenburgischen Landtag ein unklares Bild ab. Egal ob mit oder ohne Freie Wähler.

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