Landtagswahlen:Wie Prognosen und Endergebnisse voneinander abweichen

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Eine Wahlhelferin in Stuttgart bereitet in einer Außenstelle des Statistischen Amtes Kisten zur Sortierung von Wahlbriefen vor. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Wahlforscher hatten davor gewarnt, sich bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu sehr auf ihre 18-Uhr-Prognosen zu verlassen. Zu Recht, wie die Ergebnisse zeigen.

Von Markus C. Schulte von Drach, München

Für die Wahlforschungsinstitute war die wichtige 18-Uhr-Prognose am Wahltag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz diesmal eine besondere Herausforderung. Schon im Vorfeld hatten die Experten gewarnt, dass diese Vorhersagen, die auf sogenannten Exit Polls beruhen, mit größerer Unsicherheit behaftet sein würden als sonst. Denn diese Wählerbefragungen finden vor den Wahllokalen statt, unmittelbar nachdem die Menschen ihre Stimme abgegeben haben. Aufgrund der Corona-Pandemie haben diesmal aber deutlich mehr Menschen die Möglichkeit der Briefwahl genutzt als bei vorherigen Wahlen.

Die Datengrundlage für die Fachleute war deshalb geringer als sonst. Darüber hinaus mussten sie berücksichtigen, dass die Wähler der verschiedenen Parteien bislang ein sehr unterschiedliches Interesse an Briefwahlen gezeigt haben. So ist etwa bekannt, dass Anhänger der AfD eher dazu neigen, an der Urne abzustimmen, während der Anteil der Briefwahlstimmen für die Grünen und die Union erfahrungsgemäß größer ist als für die anderen Parteien.

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Für ihre 18-Uhr-Prognose - und auch für die ersten Hochrechnungen, die noch ohne tatsächlich ausgezählte Briefwahlstimmen auskommen müssen - hatten die Wahlforscher alle diese Faktoren zu berücksichtigen versucht.

Trotzdem wichen die ersten Vorhersagen und Hochrechnungen teils deutlich von den Endergebnissen ab. In Baden-Württemberg gestanden die 18-Uhr-Prognose und die Hochrechnungen der Forschungsgruppe Wahlen der AfD bis 19 Uhr deutlich mehr als zwölf Prozent der Wählerstimmen zu. Kurz vor 22 Uhr stimmten die Hochrechnungen dann mit dem Endergebnis überein: Die Partei kam auf nur 9,7 Prozent.

Infratest Dimap hatte für die AfD um 18 Uhr immerhin 11,5 Prozent der Stimmen vorhergesagt. Auch hier lagen die Expertinnen und Experten also näher am tatsächlichen Ergebnis, aber immer noch deutlich daneben.

Für die Grünen hatte die Forschungsgruppe Wahlen 31,5 Prozent berechnet, Infratest Dimap 31 Prozent. Am Ende stimmten 32,6 Prozent für die Partei des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen etwa mit der Union wäre es also trotz der Prognosen spannend geblieben. Aber die CDU lag in Baden-Württemberg so deutlich zurück, dass der Sieger der Wahl schnell feststand. Immerhin dauerte es bis in die Nacht, bis klar war, dass den Grünen und der SPD im Parlament zusammen ein Sitz fehlen wird, um gemeinsam allein zu regieren.

Auch in Rheinland-Pfalz lagen die Prognosen und das Endergebnis für einige Parteien deutlich auseinander. Die SPD von Ministerpräsidentin Malu Dreyer kam am Ende mit 35,7 Prozent auf 2,2 Prozentpunkte mehr als von der Forschungsgruppe Wahlen um 18 Uhr vorhergesagt, genauso groß war der Unterschied bei der Union. Die AfD hätte der Prognose zufolge auf 10,5 Prozent der Wählerstimmen hoffen können, erhielt aber tatsächlich 2,2 Prozentpunkte weniger.

Infratest Dimap lag bei der CDU immerhin um 1,7 Prozentpunkte unter dem Endergebnis, und bei der AfD um 2,2 Prozentpunkte darüber.

Deutliche Abweichungen gab es auch 2016

Der hohe Anteil an Briefwahlstimmen dürfte die Prognosen demnach wohl tatsächlich deutlich verzerrt haben, auch wenn sich nicht eindeutig sagen lässt, wie groß dieser Effekt für sich genommen tatsächlich war. Denn Abweichungen zwischen den 18-Uhr-Prognosen und dem Endergebnis gab es in einer ähnlichen Größenordnung bei einigen Parteien in beiden Ländern auch schon bei den Wahlen 2016.

So hatten die Fachleute bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 bei der Vorhersage für die AfD sogar um 2,6 Prozentpunkte zu niedrig gelegen, bei den Grünen dagegen um 2,2 Prozentpunkte (Forschungsgruppe Wahlen) beziehungsweise 1,7 Prozentpunkte (Infratest Dimap) zu hoch.

Auch in Rheinland-Pfalz war der Stimmanteil der AfD zu niedrig angesetzt worden (2,6 Prozentpunkte von der Forschungsgruppe Wahlen, 1,6 Prozentpunkte bei Infratest Dimap).

Allerdings waren die Ursachen ganz andere. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen zufolge war hier die Dunkelziffer bei rechten Wählern zu niedrig eingeschätzt worden - das heißt, die Bekenntnisbereitschaft derjenigen, die für die AfD gestimmt hatten, war noch geringer, als die Wahlforscher angenommen hatten.

Welche Lehren lassen sich nun aus diesen Beobachtungen ziehen? Zuerst einmal haben die Fachleute es richtig gemacht, dass sie das hohe Risiko von Abweichungen der Prognosen und ersten Hochrechnungen vom Endergebnis so deutlich betonten. Außerdem wird es zunehmend wichtig, vorab zu klären, ob Menschen auf dem Postweg abstimmen werden, um die Ergebnisse der Exit Polls richtig einordnen zu können. Mit der zuvor beobachteten Zunahme von einigen Prozent mehr Briefwählern pro Jahr kommen die Fachleute auch klar. Sie hoffen nun, dass sich eine solche extreme Ausnahmesituation, wie sie ihnen das Coronavirus nun beschert hat, nicht wiederholt.

Und klar ist: Sicherheit gibt es erst, wenn das Endergebnis da ist.

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