Landtage:Wahl-Thriller in Zeiten der Flüchtlingskrise

Selten waren so viele hin- und hergerissen wie bei diesen Landtagswahlen. Fast die Hälfte der Bürger ist noch unentschieden. Kann die AfD das ausnutzen?

Von Detlef Esslinger

Bisher sind es nur Umfragen, von denen die Kanzlerin auf die Stimmung im Volk schließen kann - am Sonntagabend hingegen wird sie Wahlergebnisse bekommen; die zuverlässigsten Daten, die es in der Politik gibt.

In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt entscheiden die Bürger über die Zusammensetzung der Landtage. Und dass es dabei gewiss nicht nur um Schulen, Mittelrheinbrücken und Windparks geht, spiegelt sich auch in den Beobachtungen, welche die Wahlforscher machen. Michael Kunert, Geschäftsführer von Infratest Dimap, sagt: "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir innerhalb so kurzer Zeit noch solche Änderungen bei den Zahlen hatten." Merkels Flüchtlingspolitik wühlt das Land auf, viele Bürger sind hin- und hergerissen, ob und wen sie wählen sollen.

In den Umfragen der vergangenen Wochen ist die CDU in Baden-Württemberg von den Grünen überholt worden - obwohl sie vor Weihnachten noch einen Vorsprung von zwölf Prozentpunkten hatte. In Rheinland-Pfalz ist Merkels Partei von der SPD inzwischen mal eingeholt, mal überholt worden - hier sind es acht Prozentpunkte Vorsprung, die sie verloren hat. In Baden-Württemberg und vor allem in Sachsen-Anhalt hingegen ist es vor allem die SPD, die diesen Sonntag fürchten muss: Dort stürzte sie in den Umfragen immer weiter ab. Im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen kam sie am Donnerstagabend in Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt noch jeweils auf 14 Prozent. In Sachsen-Anhalt läge sie damit deutlich hinter der AfD; diese wird dort inzwischen mit 18 Prozent gehandelt.

Wahlentscheidung

SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen

Stimmungen können sich ändern

Vielleicht klammert sich der eine oder andere nervöse Wahlkämpfer ja an jene Zahlen, die Wahlforscher immer mitliefern. Sie stellen den Anteil derjenigen Bürger dar, die noch nicht genau wissen, ob und wen sie wählen sollen. Dem Politbarometer vom Donnerstag zufolge sind 44 Prozent der Wähler in Baden-Württemberg, 35 Prozent in Rheinland-Pfalz und 43 Prozent in Sachsen-Anhalt noch unschlüssig; drei Tage vor einer Wahl sind das durchaus übliche Werte. Zeigt das nicht, wie viel Bewegung immer noch möglich ist, wie vorsichtig die Umfragezahlen betrachtet werden müssen?

Ja und nein. Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, zuckt immer, wenn jemand seine Umfragen als "Prognose" liest. Der Trugschluss mag naheliegen, weil er (und seine Konkurrenten auch) ihre Ergebnisse gern unter der Überschrift "Wenn schon heute Wahl wäre" publizieren. Jung aber sagt: "Eine Prognose geben wir immer am Wahlabend um 18 Uhr heraus. Jetzt liefern wir eine Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage."

Wie groß ist das Potenzial der AfD?

Und Stimmungen können sich noch ändern; das ist ja gerade die Erkenntnis der zurückliegenden Wochen. Bürger können am Sonntag doch anders abstimmen, als sie es den Demoskopen gesagt haben; es mögen welche zu Hause bleiben, die eigentlich ihre Teilnahme angekündigt haben, oder doch noch zur Wahl gehen, obwohl sie die ganze Zeit unsicher waren.

Michael Kunert von Infratest Dimap sagt: "Wie groß diese Veränderungen sind, lässt sich vorher nicht sagen und hängt insbesondere von der Mobilisierung am Wahltag ab." Jedenfalls wird kein Wahlkämpfer die Illusion hegen, 44 Prozent unentschlossene Bürger in Baden-Württemberg kämen für ihn einem Potenzial in dieser Höhe gleich. Entscheidungen in letzter Sekunde - für oder gegen die Wahlteilnahme, für oder gegen eine Partei - verteilen sich in der Regel auf alle Parteien; auf die einen mehr, auf die anderen weniger.

"AfD-Wähler sind in ihrer Entscheidung am sichersten"

Unterschiedliche Ansichten herrschen unter Wahlforschern in der Frage, wie groß das tatsächliche Potenzial der AfD ist. Die einen nehmen an, dass die Partei ihre Wähler paritätisch aus sämtlichen Lagern einsammelt, inklusive dem der Nichtwähler. Andere glauben zudem, dass der Erfolg bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag in Hessen der Partei zusätzliche Wähler verschaffen wird - nach dem Motto, dass nichts so erfolgreich ist wie der Erfolg.

Manfred Güllner wiederum, der Chef des Instituts Forsa, sagt, unter den Wahlberechtigten insgesamt sei die AfD nach wie vor "eher schwach verankert". Er befragte im vergangenen Jahr Bürger, die bei der Bundestagswahl 2013 noch CDU wählten, dies jetzt aber nicht mehr tun würden. Das Ergebnis: Jeder Zweite gab an, ins Lager der Nichtwähler zu wechseln - aber nur 13 Prozent zur AfD.

Das könnte darauf hindeuten, dass das Potenzial der AfD begrenzt ist. Es heißt aber auch, dass das Ausmaß ihres Erfolgs nun abhängt von der Wahlbeteiligung. Seine Umfragen in den drei Ländern führen Güllner zum Schluss: "AfD-Wähler sind in ihrer Entscheidung am sichersten, die der SPD am unsichersten."

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