Landtag - Stuttgart:Grün-Schwarz vor Verteilungskämpfen

Baden-Württemberg
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Bernd Weißbrod/dpa (Foto: dpa)

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Stuttgart (dpa/lsw) - Grüne und CDU im Südwesten stehen bei ihren Koalitionsverhandlungen vor einer "Woche der Entscheidungen". Nachdem die gemischten Arbeitsgruppen ihre Vorschläge vorgelegt haben, wollen die Spitzen der Parteien um Ministerpräsident Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl von Montag bis zum Tag der Arbeit am 1. Mai darüber entscheiden, für welche Schwerpunkte sie das knappe Geld ausgegeben wollen. Die beiden Parteien wollen kräftig in den Breitbandausbau, mehr Polizei, Innovationen und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs investieren. Die Verteilungskämpfe sind programmiert.

Die finanziellen Schleifspuren der Pandemie

Kretschmann machte am Donnerstag in Stuttgart klar, dass wegen der coronabedingten Haushaltslöcher längst nicht für alles Geld da sei. "In den ersten Jahren wird das mit Sicherheit Einschränkungen geben." Der Grüne hofft auf ein Anziehen der Konjunktur. "Ich sehe dafür gute Anzeichen, dass wir wahrscheinlich relativ schnell aus der Krise rauskommen." Die Hoffnung auf einen Geldsegen durch eine Auflösung der milliardenschweren Baden-Württemberg-Stiftung dämpfte er.

Strobl sagte, diese Idee sei steuerrechtlich sehr schwer umzusetzen. "Da macht sich bei uns niemand Illusionen." Zur Finanzlage sagte er: "Corona hinterlässt tiefe Schleifspuren." Nicht alles Wünschenswertes werde finanzierbar sein. "Wir werden ganz sicher an einen Punkt kommen, wo wir Wünschenswertes von Notwendigem unterscheiden müssen", sagte Strobl.

Den beiden Parteien sind die Hände gebunden, weil sie sich schon darauf verständigt habe, an der Schuldenbremse festhalten zu wollen. Zugleich klaffen aber im Etat wegen der Folgen der Corona-Pandemie in den nächsten drei Jahren Löcher in Höhe von etwa vier Milliarden Euro. Da heißt es sparen, umschichten und Prioritäten setzen. Grünen-Landeschefin Sandra Detzer sagte, die Koalition wolle trotz knapper Kassen gestalten und den Aufbruch wagen. "Es ist nicht so, dass wir uns den Mut nehmen lassen."

Die Spitzen beider Parteien hatten schon in ihrem Sondierungspapier die Leitlinien für die künftige Zusammenarbeit ausgegeben. Dabei musste die CDU nach ihrer klaren Wahlniederlage eine Reihe von Zugeständnissen machen. Die CDU akzeptierte zum Beispiel das gesamte grüne Sofortprogramm für mehr Klimaschutz. Strobl stellte auch mit Blick auf die eigenen Reihen nochmal klar: Die Beschlüsse aus der Sondierung seien "nicht zurückverhandelbar".

Schnelles Internet auf dem Land wird schnell sehr teuer

Wie wichtig schnelles Internet ist, hat spätestens jeder im Homeoffice in der Corona-Krise gemerkt. Grüne und CDU sind der Meinung, dass der Breitbandausbau auf dem Land viel schneller vorangehen muss. Doch ein flächendeckender Glasfaserausbau kommt richtig teuer. Dem Vernehmen nach hat die Arbeitsgruppe Bauen, Wohnen und digitale Infrastruktur noch keine Zahl aufgerufen. Die Beteiligten hätten "Bauchschmerzen", ob das Geld dafür da sei. Die CDU hatte in ihrem Wahlprogramm von 1,5 Milliarden Euro gesprochen. Der Landkreistag hält 500 Millionen Euro im Jahr für nötig. Hier wird erwartet, dass die Spitzen der Koalition am Ende über Summen und einen möglichen Stufenplan entscheiden.

Häuslebauer gehen leer aus

Geld für den Breitbandausbau ja, für Familien und Häuslebauer nein. Hier verzichtet die CDU auf zwei ebenfalls kostspielige Projekte aus ihrem Wahlprogramm. Die Union hatte dafür geworben, das Baukindergeld fortzuführen, nachdem der Bund Ende März seine Förderung beendet hat. Am Ende verständigte man sich aber, darauf zu verzichten. Der Bund hatte in den vergangenen zweieinhalb Jahren Baukindergeld an Familien gezahlt, wenn diese ein Haus gebaut oder eine Immobilie gekauft haben. Pro Kind gab es 12 000 Euro, ausgezahlt in zehn Jahresraten zu je 1200 Euro. Die CDU wollte eigentlich mehr für "Häuslebauer" tun und auch die Grunderwerbssteuer von 5 auf 3,5 Prozent senken, doch auch das musste sie abschreiben.

Sparen ja, aber bitte nicht bei der Polizei

Zwar pocht Strobl bei jeder Gelegenheit aufs Sparen, doch bei der Polizei will er eigentlich keine Abstriche machen. Wenn es nach der CDU geht, soll die Einstellungsoffensive weitergehen. CDU und Grüne hätten sich darauf verständigt, dass Innere Sicherheit auch künftig Schwerpunkt der Regierungsarbeit sein solle. "Hier sind die ersten Weichen richtig gestellt", sagte der Minister. Dem Vernehmen nach pocht die CDU darauf, jährlich 1400 neue Polizisten, 200 weitere Experten für Cyberkriminalität und 200 neue Ermittlungsassistenten einzustellen. Zudem dringt sie auf einen weiteren Standort des Spezialeinsatzkommandos. Führende Grüne zweifeln, ob diese Pläne den Finanzcheck ungerupft überstehen.

Mobilitätsgarantie wird garantiert 600 Millionen Euro kosten

Doch auch die Grünen haben kostspielige Projekte eingebracht, an denen es mittlerweile finanzielle Zweifel gibt. So soll es eine Garantie für den öffentlichen Nahverkehr geben: "Dafür werden alle Orte in Baden-Württemberg von fünf Uhr früh bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein", heißt es im Sondierungspapier. Kostenpunkt: 600 Millionen Euro. Darüber hinaus soll es landesweit günstigere Tickets im Nahverkehr geben, um die Menschen zum Umstieg auf Busse und Bahnen zu bewegen. Auf dem Preisschild sollen 500 Millionen Euro stehen. Zwar sollen die Kommunen im Gegenzug eine Nahverkehrsabgabe einführen können, doch ob da genügend Geld reinkommt, selbst bei den Grünen angezweifelt.

Zwei Stimmen bei der nächsten Landtagswahl

Die Reform des Wahlrechts kostet kaum Geld, beendet aber einen langen Streit zwischen Grünen und CDU. "Baden-Württemberg wird ein neues Landtagswahlrecht bekommen. Darauf haben wir uns verständigt", bestätigte Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand. Es soll künftig ähnlich wie im Bund ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geben. Grüne und CDU wollen ein personalisiertes Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste einführen. Zudem sollen Jüngere schon ab 16 Jahre wählen dürfen. Ziel der Reform ist unter anderem, mehr Frauen ins Parlament zu bekommen. Die Parteien könnten auf ihren Listen Frauen weit vorne platzieren.

© dpa-infocom, dpa:210421-99-299522/5

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