Gut möglich, dass auf der Zuschauertribüne im Dresdner Landtag einige insgeheim auf ein ähnliches Spektakel gehofft haben wie in Erfurt. Dort hatte der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler das Parlament am vergangenen Donnerstag mit seiner parteiischen Blockadehaltung ins Chaos gestürzt. Erst ein Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofs stellte die Ordnung wieder her. In Dresden zeigte Wolf-Dietrich Rost von der CDU am Dienstag hingegen von Beginn an, wie die konstituierende Sitzung eines Landtags ablaufen sollte. Diese als Alterspräsident zu leiten, sei ihm eine Ehre, sagte der 71-Jährige. Den frisch gewählten Abgeordneten wünschte er „viele gute Ideen, Kraft, Ausdauer, Leidenschaft und Erfolg“.
Bei der Wahl vor einem Monat hätten so viele Bürger ihre Stimme abgegeben wie noch nie seit der Wiederbegründung des Freistaats Sachsen im Jahr 1990. „Eine Wahlbeteiligung von fast 74 Prozent ist ein deutliches Zeichen einer lebendigen Demokratie“, sagte Rost. Mit CDU, AfD, BSW, SPD, Grünen und der Linken sind nun sechs Fraktionen im Landtag vertreten. Da sei Konsens „mit Sicherheit nicht die Regel“, so der Alterspräsident, und das Parlament ein Ort, den Streit um politische Argumente auszutragen, allerdings mit Fairness und Anstand. Rost leitete die Sitzung ruhig und souverän.
Um das neue Amt des vierten Vizepräsidenten gibt es Streit
Nachdem er zum Landtagspräsidenten gewählt wurde, übernahm CDU-Politiker Alexander Dierks die Sitzungsleitung. Mit 36 Jahren ist er bisher jüngster sächsischer Abgeordnete in diesem Amt. Dierks, zuvor Generalsekretär der sächsischen Union, erhielt 97 Stimmen von 119 gültigen Stimmen. 14 Abgeordnete stimmten gegen ihn, acht enthielten sich. Dem Plenum stellte er sich als „demokratischer Überzeugungstäter“ vor. In Zeiten großer Zerrissenheit in der Gesellschaft hätten die Abgeordneten eine Vorbildwirkung: „Wir sind Mitbewerber, in harten Debatten auch mal Gegner – aber niemals Feinde.“ Sein Anspruch sei es, Demokratie mit Freude zu vertreten und ebenso mit Freude auf sie aufzupassen: „Mit Pessimismus erreicht man nichts.“
Grund zur Freude gab es bei der konstituierenden Sitzung auch für die AfD, deren Kandidat André Wendt (84 Ja-Stimmen) hinter der CDU-Politikerin Ines Saborowski (95 Ja-Stimmen) zum zweiten Vizepräsidenten gewählt wurde. Bereits in der vergangenen Wahlperiode hatte die AfD in Sachsen einen Vize-Landtagspräsidenten gestellt. In Thüringen war die Partei daran am Samstag noch gescheitert, hatte dort aber auch die wegen Betrugs am Landtag verurteilte Wiebke Muhsal zur Wahl gestellt – eine denkbar große Provokation.
Frust herrschte in Dresden zwischendurch auch beim BSW. Deren Parteivize Jörg Scheibe sortierte erst einmal den vor sich liegenden Papierstapel und zwang sich zu einem freudlosen Lächeln, als ihm Dierks sagte, er habe im ersten Wahlgang mit 59 Ja-Stimmen die nötige Mehrheit (61) verpasst, um sein dritter Stellvertreter zu werden. Noch härter traf es nur den SPD-Abgeordneten Albrecht Pallas, der zunächst lediglich 48 Ja-Stimmen erhielt.
Ob es zur „Brombeerkoalition“ kommt, das liegt noch in weiter Ferne
Das dürfte aber weniger an Pallas gelegen haben als an dem Posten an sich. Noch vor der Wahl Dierks’ zum Landtagspräsidenten hatten die Fraktionen für eine neue Geschäftsordnung gestimmt und dadurch erst den Posten des vierten Vize-Landtagspräsidenten überhaupt geschaffen. Zuvor waren es drei. Deshalb brachte die AfD-Fraktion einen Änderungsantrag ein, um die Stelle des vierten Vizepräsidenten zu verhindern. „Dessen praktische Bedeutung geht gegen null“, sagte AfD-Generalsekretär Jan Zwerg. Sein Kollege André Barth rechnete vor, dass die zusätzliche Stelle den Steuerzahler pro Jahr fast eine Million Euro koste. SPD-Fraktionsvorsitzender Dirk Panter hielt dagegen, die Debatte begrenze sich auf die finanziellen Aspekte. Das sei zu kurzsichtig. Zwar fanden die entsprechenden Änderungsanträge keine Mehrheit. Doch stimmten auch nur CDU, BSW und SPD für die neue Geschäftsordnung. AfD, Linke und Grüne enthielten sich.
Im Fall von BSW-Vizechef Jörg Scheibe ging es hingegen auch um einen Test für die Einigkeit von CDU, BSW und SPD, die aktuell über eine mögliche Brombeerkoalition verhandeln. Vergangene Woche fanden bereits zwei Gespräche statt, ausdrücklich, um sich kennenzulernen, noch nicht, um zu sondieren. Vor dem zweiten Treffen hatte ein Interview von Sahra Wagenknecht für Unruhe gesorgt. Darin sagte sie, ihre Partei bestehe auf einem Corona-Untersuchungsausschuss in Thüringen und Sachsen. Zudem habe sich in bisherigen Gesprächen gezeigt, „dass es mit der SPD vielfach nerviger ist als mit der CDU“.
Vor diesem Hintergrund scheiterten nun Scheibe und Pallas im ersten Wahlgang – obwohl ihre beiden Parteien mit der CDU auf eine Mehrheit von 66 Stimmen kommen. Das heißt: Einige Abgeordnete aus ihrer Mitte haben sie nicht gewählt. Bei Scheibe klappte es im zweiten Anlauf (71 Ja-Stimmen), Pallas brauchte sogar einen dritten, ehe er als vierter Vizepräsident gewählt war, mit 60 Ja-Stimmen, 51 Abgeordneten stimmten mit Nein, fünf enthielten sich. Im Vergleich zur konstituierenden Sitzung in Erfurt ging es in Dresden gesittet zu. Auch in Sachsen scheint die Regierungsbildung aber noch in weiter Ferne zu sein.