Fragen und Antworten:Was Sie zur Landtagswahl in Hessen wissen müssen

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Die Zusammensetzung des Landtags in Wiesbaden könnte sich bis nach Berlin auswirken. (Foto: picture alliance/dpa)

Um welche Inhalte geht es? Wer kann künftig in Hessen regieren und was hat das für einen Einfluss auf die große Koalition in Berlin? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Philipp Saul

Etwa 4,38 Millionen Hessen sind an diesem Sonntag aufgerufen, den neuen Landtag in Wiesbaden zu wählen. Vor der Wahl gibt es laut Umfragen die unterschiedlichsten Koalitionsoptionen. Je nachdem, wie sich die Regierung in Hessen am Ende zusammensetzt, hat das auch Auswirkungen auf die Bundesregierung. Bei der letzten Wahl 2013 wählten die Hessen zeitgleich zur Bundestagswahl, wo Kanzlerin Angela Merkel vorher und nachher fest im Sattel saß. Heute hat sich das geändert und die große Koalition könnte nach der Wahl noch deutlich mehr unter Druck geraten. Lesen Sie hier, was Sie zur Hessenwahl wissen müssen.

Wer ist aktuell im Landtag?

Bislang sind im Landtag fünf Parteien vertreten: CDU, SPD, Grüne, Linke und die FDP. Dazu kommt noch die fraktionslose Abgeordnete Mürvet Öztürk, die 2015 aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Landesregierung die Grünen verließ. Hessen ist das einzige Bundesland, in dem die AfD bislang nicht vertreten ist. 2013 trat die Partei hier zum ersten Mal bei einer Landtagswahl an und erreichte nur 4,1 Prozent der Stimmen. Nach dem Einzug in das bayerische Parlament, wird es die immer noch recht junge Partei nun aber wohl auch in Hessen schaffen.

Wie wird sich das Parlament nach der Wahl verändern?

Die Großen verlieren, die Kleinen gewinnen - und werden teils selbst groß. So könnte man es in aller Kürze zusammenfassen. Die CDU verliert laut jüngsten Umfragen rund zehn Prozentpunkte und steht nur noch bei 28 Prozent. Der SPD würden 20 Prozent der Wähler ihre Stimme geben. Die Sozialdemokraten verlieren demnach zehn Punkte. Die großen Gewinner könnten AfD und Grüne werden, die jeweils deutlich zulegen und am Ende bei zwölf bzw. 20 Prozent landen könnten. Auch FDP und Linke können mit Zugewinnen rechnen und jeweils acht Prozent der Stimmen erhalten. 2013 hatten sie nur ganz knapp den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Die Umfragen vor der Wahl sind natürlich mit Vorsicht zu genießen und bilden nicht das Ergebnis der Abstimmung ab.

Welche Koalitionsmöglichkeiten gibt es?

Für ein Zweierbündnis wird es in Hessen eng. Eine sogenannte große Koalition von CDU und SPD wäre gar nicht mehr so groß, wenn es für eine gemeinsame Mehrheit reichen sollte, dann nur sehr knapp. Ob die aktuelle schwarz-grüne Koalition ihre Regierungsmehrheit verteidigen kann, ist auch noch nicht klar. Eine große Mehrheit würde aber keines der beiden Bündnisse erhalten. CDU und Grüne müssen möglicherweise auf die Unterstützung eines dritten Partners wie der FDP hoffen.

Dafür zeigen sich die Liberalen vor der Wahl offen. Weniger begeistert sind sie von der Idee, ein Bündnis mit SPD und Grünen einzugehen und dabei SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel zum Ministerpräsidenten zu machen. Das selbe Bündnis unter Führung der Grünen schließt die FDP dagegen von vorneherein aus. Mit den Grünen in einer Koalition zu sein, wäre wohl noch akzeptabel. Aber Tarek Al-Wazir zum Ministerpräsidenten machen, das wäre dann offenbar zu viel.

Eine realistische Option für einen sozialdemokratischen oder einen grünen Ministerpräsidenten könnte es am Ende wohl nur in einem Linksbündnis von SPD, Grünen und der Linkspartei geben. Je nach Wahlergebnis würden dann Al-Wazir oder Schäfer-Gümbel Ministerpräsident werden.

Rot-rot-grün in Hessen? War da nicht mal was?

SPD, Grüne und Linke haben in Hessen eine ganz besondere Vorgeschichte. Vor der Landtagswahl 2008 hatte die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei kategorisch ausgeschlossen. Als nach der Wahl jedoch eine Koalition mit den Grünen keine eigene Mehrheit fand, wollte sie sich entgegen ihrer Ankündigung an der Spitze einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Das wurde ihr von vielen als Wortbruch ausgelegt. Bei der entscheidenden Abstimmung verweigerten vier SPD-Abgeordnete ihre Unterstützung und bei den folgenden Neuwahlen stürzte die SPD dramatisch ab.

Bei der Landtagswahl 2013 holten die drei Parteien genügend Stimmen für eine Koalition. In den Sondierungsgesprächen konnten sie sich jedoch nicht auf eine Zusammenarbeit einigen. Auch heute noch ist eine Koalition mit der Linken für Al-Wazir und Schäfer-Gümbel kein Wunschtraum. Aber sie würden wohl zumindest darüber verhandeln.

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Welchen Einfluss hat die Hessenwahl auf Berlin?

Auch im hessischen Wahlkampf hat die Bundespolitik eine wichtige Rolle gespielt. Zwar haben Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Schäfer-Gümbel immer betont, dass es bei der Wahl nur um Hessen gehe. Die Streitigkeiten der großen Koalition sollten außen vor bleiben. Aber ganz so einfach wird das nicht sein. Der Krach in der großen Koalition dürfte dafür sorgen, dass CDU und SPD am Ende deutlich schlechter dastehen als vor fünf Jahren.

Ob es für einen SPD-Ministerpräsidenten reicht, ist noch nicht klar. Die Partei strebt aber mindestens eine Regierungsbeteiligung an. Sollte sie noch nicht einmal dafür genügend Stimmen bekommen, droht der große Knall: Womöglich würde auch die Koalition in Berlin massiv in Frage gestellt.

Verliert die CDU den Posten des Ministerpräsidenten an SPD oder Grüne, hätte das erhebliche Auswirkungen auf die Bundespartei. Im Dezember will sich Merkel ein weiteres Mal zur Parteivorsitzenden wählen lassen. Bei einer Niederlage in Hessen könnte das schwierig werden. Und da Merkel bislang ihren Posten als Regierungschefin mit dem als Parteivorsitzende verknüpft, wäre es für den Fortbestand der Koalition in Berlin wohl am besten, wenn sich CDU und SPD auch in Hessen in eine große Koalition unter CDU-Führung retten könnten.

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Und inhaltlich? Um welche Themen ging es im Wahlkampf?

Lange unterschätzt und erst spät richtig aufgegriffen haben CDU und Grüne das Thema Wohnen. Vor allem im Ballungsraum Frankfurt steigen die Mieten und bezahlbare Wohnungen sind Mangelware. Woran es überhaupt nicht mangelt, ist der Fluglärm rund um den Frankfurter Flughafen. Im Wahlkampf ging es deshalb auch um die konsequente Durchsetzung und eine mögliche Ausweitung des Nachtflugverbots. Der größte Arbeitgeber in der Region ist für Nachbarn und Umfeld oft einfach zu laut. Ebenfalls auf dem Wahlkampfzettel der Parteien stehen die Integration von Flüchtlingen und Migranten sowie das Dauerthema Bildung, hier vor allem Inklusion und längeres gemeinsames Lernen.

Was ging schief?

Besonders kurz vor der Wahl war der Diesel in den Blickpunkt geraten. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden ordnete für Frankfurt Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge ab Februar 2019 an, um die Schadstoffbelastung zu senken. Das will Ministerpräsident Bouffier verhindern, wobei ihn Kanzlerin Merkel mit ihrem Vorstoß unterstützte: Fahrverbote seien unverhältnismäßig, wenn die Grenzwerte für Stickstoffdioxid nur leicht überschritten würden, sagte die Kanzlerin und brachte flugs ein Maßnahmenpaket auf den Weg.

Offenbar war dieser Vorstoß aber nicht mit Bouffier abgestimmt. Denn der hatte erst kurz zuvor einen Brief nach Berlin geschrieben und mitgeteilt, dass die Werte in Frankfurt teilweise nicht nur leicht, sondern deutlich über der Grenze liegen. Bouffier wollte damit Umtauschprämien und Nachrüstungen für Diesel-Fahrer in der Region herausschlagen, konterkarierte aber Merkels Vorstoß.

Wie wird in Hessen überhaupt gewählt?

Der hessische Landtag wird alle fünf Jahre gewählt. Insgesamt werden mindestens 110 Abgeordnete in den Hessischen Landtag einziehen, wovon 55 Sitze über die Wahlkreise nach Wiesbaden gesandt werden. Die Wähler haben zwei Stimmen: Die Erststimme für die Wahlkreiskandidaten und die Zweitstimme für die Landeslisten. Im Gegensatz zur Bayernwahl sind die Plätze auf den Landeslisten von den Parteien festgelegt und können durch den Wähler nicht verändert werden. Einzelne Kandidaten können auf dieser Liste nicht noch weiter vorrücken.

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Wer kandidiert?

Der Wahlausschuss hat insgesamt 23 Landeslisten zur Wahl zugelassen. Darunter sind natürlich CDU, SPD, Grüne, Linke, FDP oder AfD, aber auch kleinere Listen wie das Bündnis Grundeinkommen, die Partei der Humanisten oder die Violetten. Über die Landeslisten kandidieren insgesamt 691 Bewerber, bei denen eine Gruppe klar dominiert: die Männer. Weniger als ein Drittel (212) der Kandidaten ist weiblich.

Den höchsten Frauenanteil hat die Tierschutzpartei. Dort nehmen Frauen sechs von neun Listenplätzen ein. Dahinter folgen Grüne, Linke, die Menschliche Welt und die V-Partei³, wo jeweils die Hälfte aller Startplätze von Frauen besetzt sind. Komplett männerdominiert sind dagegen die Listen der Partei für Gesundheitsforschung und der Bürgerrechtsbewegung Solidarität. Unter den jeweils fünf Kandidaten findet sich keine Frau. Und auch in den 413 Bewerbern in den Wahlkreisen sind die 115 Frauen ebenfalls unterrepräsentiert.

Was ist sonst noch wichtig?

"Die Todesstrafe ist abgeschafft." So steht es in Zukunft in der hessischen Verfassung - wenn eine Mehrheit dafür stimmt. Die Bürger wählen nämlich nicht nur die Abgeordneten für ihr neues Parlament, sondern stimmen auch über mehrere Verfassungsänderungen ab. In den vergangenen Jahrzehnten gab es zwar immer mal wieder kleinere Änderungen an der Landesverfassung, aber keine so umfassende Reform wie diesmal. Die Parteien im Landtag haben sich in der vergangenen Legislaturperiode darauf verständigt, den Wählern insgesamt 15 Änderungen vorzuschlagen, über die einzeln abgestimmt wird. So sollen Kinderrechte und die Gleichberechtigung von Mann und Frau ebenso in die Verfassung aufgenommen werden wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ein Bekenntnis zur Europäischen Union. Außerdem soll die Hürde für ein Volksbegehren gesenkt und mehr direkte Demokratie möglich gemacht werden.

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