Süddeutsche Zeitung

Landtag - Erfurt:Ramelow-Regierung nach Neuwahl-Debakel auf Mehrheitssuche

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Erfurt (dpa/th) - Thüringens rot-rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) muss nach der geplatzten Landtagswahl für jedes ihrer Projekte im Landtag um Unterstützung der Opposition werben. CDU-Fraktionschef Mario Voigt sieht seine Fraktion nach der abgesagten Landtagsauflösung, die von Linke, SPD, Grünen und CDU gemeinsam betrieben worden war, nicht als Mehrheitsbeschaffer. "Wir sind nicht dafür da, die Politik einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung abzusichern", sagte Voigt der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt.

Die Übergangsvereinbarung mit Rot-Rot-Grün, die die Auflösung des Landtags zum Ziel hatte, laufe mit Beginn der parlamentarischen Sommerpause aus, bekräftigte Voigt. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Astrid Rothe-Beinlich, befürchtet dennoch keine Regierungskrise. Der Landesvorstand der Linken rief alle Fraktionen auf, den Einfluss einer extrem rechten AfD auf Parlamentsentscheidungen einzudämmen.

Der Vorstand der Linken verwies am Samstag zugleich auf große Probleme bei der "Mehrheitsfindung im demokratischen Lager", die dafür gesorgt hätten, den Antrag auf Landtagsauflösung am Freitag zurückzuziehen. Die Entscheidung trafen Linke und Grüne, weil sie die nötige Zweidrittelmehrheit jenseits von AfD-Stimmen nicht für gesichert hielten.

Ramelows Dreierkoalition fehlen vier Stimmen im Landtag - die Legislaturperiode läuft bis 2024. Die AfD mit ihrem Rechtsaußen Björn Höcke an der Spitze stellt nach der Linken die zweitgrößte Fraktion im Parlament in Erfurt.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen forderte die CDU auf, "jetzt nicht nur am Spielfeldrand zu stehen und zu pöbeln". Auch sie müsse Vorschläge machen, wie die Sacharbeit im Landtag fortgesetzt werden könne. Größte Herausforderung sei der Haushalt 2022. "Im Zweifel müssen wir ein Bündnis eingehen mit denen, die Verantwortung übernehmen wollen", sagte Rothe-Beinlich der dpa. Letztlich seien es einzelne Abgeordnete, die die Sacharbeit leisteten. "Alle Demokraten sollten sich darauf besinnen. Das ist unser Job."

Im Gegensatz zu Rothe-Beinlich rechnet der CDU-Fraktionschef mit wachsenden Problemen für Rot-Rot-Grün im Landtag. "Das ist eine Situation, wo Stillstand drohen kann." Voigt schloss aber eine punktuelle Unterstützung seiner Fraktion nicht aus, wenn es um politische Vorhaben gehe, die auch die CDU verfolge.

Zudem verwies Voigt auf die FDP, die ihre Ablehnung einer Landtagsauflösung mit der konstruktiven Atmosphäre im Parlament begründet habe. "Das schien mir so etwas wie ein Heiratsantrag zu sein."

Der Linke-Landesvorstand bekräftigte, er hielt und hält die Neuwahl des Thüringer Landtages für die einzig mögliche politische Reaktion auf den Tabubruch vom 5. Februar 2020, als CDU und FDP zusammen mit der AfD Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) wählten. Kritik übte der Vorstand an der CDU, die entgegen ihren Beteuerungen die nötigen Stimmen für die Landtagsauflösung "nicht glaubhaft beibringen" konnte. Vier CDU-Abgeordnete, aber auch zwei der Linken wollten aus unterschiedlichen Gründen nicht zustimmen.

Der Verein Mehr Demokratie forderte angesichts der schwierigen Lage die Hürden für Bürgeranträge von 50.000 auf 5000 Unterschriften per Verfassungsänderung zu senken. "Nichts ist in der Thüringer Politik mehr gewiss, außer dass nichts gewiss ist. In einer solchen Situation braucht es ein deutliches Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass ihr Mitwirken notwendig und erwünscht ist", begründete ihr Sprecher Ralf-Uwe Beck die Forderung.

Per Bürgerantrag könnten Vorschläge in den Landtag eingebracht werden, über die die Abgeordneten dann entscheiden müssten. Kämen Mehrheiten im Landtag nicht zustande, könnten wichtige Reformvorhaben von den Bürgern mit Volksbegehren angestoßen und per Volksentscheid durchgesetzt werden. Auch dafür seien die Hürden zu hoch, kritisierte Beck. Reformvorschläge der rot-rot-grünen Koalition und der CDU lägen auf dem Tisch des Verfassungsausschusses.

© dpa-infocom, dpa:210717-99-416801/3

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210717-99-416801
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Direkt aus dem dpa-Newskanal