Landtag - Düsseldorf:Schüler zwischen Sicherheit und Freiheit: Streit um Maske

Bildung
NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) gibt eine Pressekonferenz. Foto: David Young/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Das Aussetzen der Maskenpflicht im Unterricht hat im nordrhein-westfälischen Landtag einen heftigen Grundsatzstreit über Gesundheits- und Freiheitsschutz ausgelöst. Während SPD und Grüne die seit Dienstag geltende Maskenfreiheit am Sitzplatz für ein unverantwortliches Risiko halten, sehen die Regierungsfraktionen darin einen notwendigen Schritt, den Schülern Grundrechte und ein Stück Normalität zurückzugeben.

Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) verteidigte die Lockerung am Freitag als angemessene und mutige Entscheidung. "Unsere Schulen sind sichere Orte", sagte sie in einer von der SPD-Opposition beantragten Aktuellen Stunde des Landtags. "Das Infektionsgeschehen an unseren Schulen ist weiterhin stabil und unter Kontrolle."

SPD und Grünen gehen hingegen davon aus, dass das angesichts steigender Neuinfektionszahlen bald kippen wird. Dies zeichne sich in NRW bereits ab, warnte die Schulpolitikerin der Grünen, Sigrid Beer: "In der Woche vor den Herbstferien waren 11 940 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne, in der Woche nach den Herbstferien 21 025." Leidtragende seien vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten. "Wer Präsenzunterricht will, darf die Schutzstandards nicht herunterfahren."

In die gleiche Kerbe schlug der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE). "Wenn die Quarantänefälle in den Schulen wieder deutlich zunehmen, sollten auch die Schutzmaßnahmen wieder erhöht werden", teilte der Landesvorsitzende Stefan Behlau mit. "Letztlich wäre die Maske die geringere Zumutung im Vergleich zum Unterrichtsausfall."

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hält den Verzicht auf Mund-Nasen-Schutz für riskant. "Sichere Präsenz heißt aktuell auch, die Maskenpflicht in der Schule beizubehalten", argumentierte ihre Landesvorsitzende Ayla Çelik in einer Mitteilung. Auch der Krisenstab der Bundesstadt Bonn hält die Aufhebung der Pflicht für falsch und appellierte - unter ausdrücklichem Verweis auf wissenschaftliche Expertisen - an Schülerinnen und Schüler, freiwillig Masken in Klassenräumen zu tragen.

Die Befreiung komme zur Unzeit, kritisierte SPD-Fraktionsvize Jochen Ott. Nachdem die Regierung schon vor den Herbstferien das Aussetzen der Maskenpflicht avisiert habe, habe sie sich in eine Situation manövriert, nicht mehr ohne Gesichtsverlust umschwenken zu können. Das könne wohl nicht die "konzentrierte Wachsamkeit" sein, die der neue Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) angemahnt habe.

In der heftig ausgetragenen Debatte, die teilweise auch die Intervention des Landtagspräsidiums erforderte, ging es ans Eingemachte. Sowohl die SPD als auch die Grünen setzten eine empfindliche Messlatte für die - auch in der Eltern-, Schüler- und Ärzteschaft - umstrittene Maskenentscheidung. "Sie tragen die Verantwortung für das, was in den nächsten Wochen auf uns zukommt", warnten sie. Der FDP-Abgeordnete Henning Höne wies Unterstellungen einer Mitschuld der Regierung an Covid-Infektionen als "das Allerletzte" zurück.

Gebauer erklärte, die aktuelle Lage sei nicht mit dem Beginn der Pandemie zu vergleichen. Inzwischen seien deutlich über 90 Prozent der Lehrkräfte in NRW und die Hälfte der 12- bis 17-Jährigen gegen das Coronavirus geimpft. Zudem teste kein anderes Bundesland in seinen Schulen so intensiv, anlasslos und professionell.

Angesichts der vielfältigen Schutzmaßnahmen wirkten Schulen keinesfalls als Drehscheiben, sondern "eher als Bremsscheiben". Corona sei vor allem "eine Pandemie der ungeimpften Erwachsenen", der Älteren und Vorerkrankten, zeige aber kaum schwere Infektionen bei Kindern und Jugendlichen, sagte die Schulministerin.

Eine Umfrage in allen Universitätskliniken Nordrhein-Westfalens habe ergeben, dass sich - Stand Donnerstag - kein einziger Minderjähriger im Alter von 5 bis 18 Jahren wegen Covid-19 in stationärer intensivmedizinischer Behandlung befunden habe. Kinder dürften nicht länger von einer Normalität ferngehalten werden, die für Erwachsene in weiten Bereichen längst gelte, sagte die CDU-Abgeordnete Claudia Schlottmann.

Rückmeldungen aus den Schulen zeigten aber, dass sich viele Kinder entschieden, freiwillig weiter Maske am Sitzplatz zu tragen, hielt Ott dagegen. "Die Kinder in Nordrhein-Westfalen übernehmen mehr Verantwortung als die gesamte Landesregierung."

Die AfD sieht solche Selbstbeschränkungen dagegen als Ergebnis ideologischer Beeinflussung. "Die sind schon so konditioniert", sagte der AfD-Abgeordnete und frühere Gymnasialdirektor Helmut Seifen. Die Maske habe keinen medizinischen Zweck.

Nach mehr als einem Jahr Maskenpflicht ist diese in NRW auf den Sitzplätzen im Klassenraum seit Dienstag landesweit abgeschafft. Schulen dürfen keine abweichenden Grundsatzbeschlüsse fassen. Allerdings können Schüler freiwillig einen Mund-Nasen-Schutz im Unterricht tragen. Im übrigen Schulgebäude besteht weiterhin Maskenpflicht. Für den Außenbereich war sie schon vor einiger Zeit abgeschafft worden. Für Lehrkräfte entfällt die Pflicht, solange ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden kann.

Nach den Erfahrungen des VBE schwankt die Stimmung in den Schulen seitdem zwischen "Freude über den persönlicheren Austausch bis zur Sorge um die eigene Gesundheit". SPD und Grüne verwiesen auf die Entscheidung des bayerischen Kabinetts, die Maskenpflicht an Schulen zur Eindämmung stark steigender Neuinfektionszahlen vorübergehend wieder einzuführen. Das stehe NRW auch bevor: "Ein Hin und Her, ein Hü und Hott", prognostizierte Beer.

© dpa-infocom, dpa:211105-99-878322/4

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