Düsseldorf (dpa/lnw) - Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur (Grüne) hat für einen parteiübergreifenden Konsens für einen verbilligten Industriestrompreis geworben. Die deutsche Industrie stehe in einem "scharfen internationalen Wettbewerb", sagte sie am Freitag in einer Aktuellen Stunde im Landtag. Die "schnöde Absage" von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an einen Industriestrompreis beim Unternehmertag NRW sei im Industrieland NRW als "Schlag ins Gesicht" empfunden worden.
Die SPD-Landtagsfraktion, die in NRW in der Opposition ist, zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass es zu einem Industriestrompreis kommen werde. Am Montag will die SPD-Bundestagsfraktion im Beisein von Scholz ein Konzept beschließen.
Scholz hatte beim Unternehmertag gesagt: "Ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt, oder eine Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten und wird es deshalb auch nicht geben." Grünen-Politikerin Neubaur sagte nun, die Industrie brauche "keine Gießkanne", sondern einen günstigen "Brückenstrompreis" in einer Übergangszeit während des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
In Industrie und Gewerkschaften sowie über Parteigrenzen hinweg werde ein Industriestrompreis gefordert, sagte Neubaur. Sogar aus seiner eigenen Partei erfahre Scholz Widerspruch. "Wir müssen ein klares Signal an die Industrie und Beschäftigten senden, dass wir verstanden haben, dass jetzt gehandelt werden muss." Über die Ausgestaltung des Preises werde aber noch gestritten.
Auch SPD-Oppositionsführer Jochen Ott sagte: "Die Strompreise müssen sinken." Denn Wertschöpfungsketten stünden auf dem Spiel und Arbeitsplätze seien in Gefahr. Die SPD im Bundestag, die Partner der Ampel-Regierung und der Kanzler würden "für eine gute Lösung sorgen".
Zuvor hatte die SPD im Bundestag einen Vorstoß für einen befristeten Industriestrompreis von fünf Cent pro Kilowattstunde gemacht, um die Bedenken von Kanzler Scholz gegen eine solche Staatshilfe ausräumen. Über das Konzept soll die SPD-Bundestagsfraktion am Montag bei ihrer Klausurtagung in Anwesenheit von Scholz entscheiden.
Der CDU-Abgeordnete Jan Heinisch verwies auf die Bedeutung eines günstigeren Strompreises für die Industrie in NRW. Nordrhein-Westfalen sei der "Motor der deutschen Wirtschaft". Das Land erwirtschafte das höchste Bruttoinlandsprodukt aller Bundesländer. Er erwarte, dass die SPD-Fraktion "einmal mehr innerparteilich ihren Kanzler zu Fall bringen und ihn auf den richtigen Weg zurückführen" werde.
Grünen-Fraktionschefin Wibke Brems forderte von Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mehr Einsatz für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Die Ablehnung des Industriestrompreises sei eine "lapidare Ignoranz" und "gefährlich für die Zukunft unserer Industrie, den Wirtschaftsstandort und damit für unser aller Wohlstand". Notwendig werde ein verbilligter Strompreis für Unternehmen deshalb, weil durch eine "verfehlte Wirtschafts- und Energiepolitik" schon lange vor dem Ukraine-Krieg die Abhängigkeit von Russland billigend in Kauf genommen worden sei.
Die FDP im Landtag zeigte sich skeptisch. Nach dem Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) solle der Industriestrompreis bis 2030 bis zu 30 Milliarden Euro kosten, sagte FDP-Fraktionschef Henning Höne. Das Geld für eine solche Milliarden-Subvention sei nicht da und müsste von Banken aufgenommen werden. Höne bezweifelte, dass die Unternehmen angesichts der schon angekündigten hohen Auflagen von der Staatshilfe überhaupt profitieren würden.
Die AfD im Landtag lehnte einen Industriestrompreis als "sozialistisches Rezept für den Strommarkt in Deutschland" ab. Eine solche "Dauersubvention" wäre für den Wirtschaftsstandort Deutschland "schädlich und unnötig", sagte der AfD-Abgeordnete Christian Loose. Den verbilligten Strompreis bekämen nur einige Branchen, viele Unternehmer wie Handwerker, Bäcker oder Gastronomen würden "im Stich gelassen".
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