Landtag:Die neuen Farben des Freistaats

Lesezeit: 3 min

Mehr Wähler, unerwartete Erfolge und herbe Niederlagen: Vieles ist bei der bayerischen Landtagswahl 2018 anders als sonst.

Von Detlef Esslinger

Was man Markus Söder zubilligen muss, egal, wie man von ihm denkt: Er hat am Sonntag für die CSU mehr Stimmen gesammelt als einst sein Vorvorgänger Günther Beckstein. Dieser Ministerpräsident musste 2008 zurücktreten, weil er seiner Partei ein Wahlergebnis von 43,4 Prozent und damit eine Koalition eingebrockt hatte. Jetzt muss sie zwar auch eine eingehen, aber das Interessante am CSU-Ergebnis 2018 ist: Die Partei kommt auf gut fünf Millionen Stimmen. Immerhin 400 000 mehr als mit Beckstein vor zehn Jahren.

Es ist eine Zeit, die viel weniger Menschen kaltlässt als einst. Seit ein paar Jahren steigt überall in Deutschland wieder die Wahlbeteiligung. Die einen finden, sie müssten den Etablierten einen Denkzettel verpassen und wählen AfD; das sind diejenigen, die bei den Wahlforschern von Infratest Dimap zu 100 Prozent dem Satz zustimmen: "Ich habe Sorge, dass unsere Kultur in Deutschland nach und nach verloren geht." Die anderen sorgen sich gerade wegen der Erfolge dieser Partei um die liberale Demokratie; viele von ihnen wählen grün. Daten zur "Wählerwanderung" sind stets mit Vorsicht zu betrachten; die Demoskopen sind dabei auf die präzise und wahrheitsgemäße Erinnerung derjenigen paar Tausend Wähler angewiesen, die sie vor den Wahllokalen befragen. Doch die Trends, die sie ausweisen, scheinen eindeutig zu sein. Fast 200 000 heutige AfD-Wähler hatten vor fünf Jahren gar nicht gewählt, also fast 30 Prozent. Und auch 140 000 Grünen-Wähler kommen aus dem Lager derjenigen, die damals daheimblieben; immerhin knapp zwölf Prozent ihrer diesmaligen Anhänger. Jedenfalls: Steigt die Wahlbeteiligung, also die Zahl der absoluten Stimmen, so hat dies immer Auswirkung auf das prozentuale Ergebnis. 400 000 CSU-Stimmen mehr als 2008 können demnach trotzdem ein schlechteres Wahlergebnis als damals bedeuten. Damals betrug die Wahlbeteiligung knapp 58 Prozent; nun lag sie um gut 14 Prozentpunkte höher.

Bei der SPD ist der Blick in die Details noch alarmierender als ihr Resultat insgesamt

Sind die Grünen auf dem Weg, Volkspartei zu werden? Manche bei ihnen reden sich dies gerne ein. 2,4 Millionen Stimmen, fast doppelt so viele wie die SPD; zweitstärkste Partei im Land; stärkste Partei in München sowie die einzige, die die CSU in sechs Stimmkreisen besiegen konnte, in München und in Würzburg: alles Indizien, die zur Euphorie verleiten. Aber Vorsicht. Die Infratest-Forscher haben ermittelt: 28 Prozent der Wähler mit "hoher Bildung" haben grün votiert, aber nur sieben Prozent derer mit "einfacher". (Bei der CSU betragen die entsprechenden Werte 29 und 44 Prozent.) Und es gilt weiterhin die Faustregel - wenn auch auf inzwischen relativ hohem Niveau -, dass die Grünen umso schwächer sind, je kleiner eine Kommune ist. In den Landgemeinden kamen sie am Sonntag insgesamt auf 14 Prozent, ein Plus von sieben Prozentpunkten - in den Großstädten hingegen auf 26 Prozent, ein Plus von 15 Prozentpunkten. Die Grünen bleiben vorerst also eine Milieupartei. Allerdings: Ihr Milieu wächst, und wie.

Was die SPD betrifft, ist der Blick in die Details noch alarmierender als der auf ihr Resultat insgesamt. Frühere Nichtwähler hat sie praktisch gar nicht mobilisiert. Die Forschungsgruppe Wahlen hat zudem die Wähler aller Parteien nach Altersgruppen aufgedröselt. Das Ergebnis bei der SPD: Immerhin 14 Prozent bei den über 60-Jährigen. Aber nur sieben Prozent bei den Wählern zwischen 18 und 44, neun Prozent bei den 45- bis 59-Jährigen. Was für Aussichten für die Zukunft. Falls sie in der CSU aber doch noch ins Grübeln kommen sollten, ob es wirklich so eine gute Idee ist, mit Markus Söder in die selbige zu gehen - hier wären die Daten dafür: Nur 49 Prozent der befragten Bayern halten ihn für einen guten Ministerpräsidenten. Seine 2017 abgewählten SPD-Amtskollegen Hannelore Kraft (NRW) und Torsten Albig (Schleswig-Holstein) hatten höhere Werte. Auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf liegt er hinter seinem wahrscheinlichen Koalitionspartner Hubert Aiwanger von den Freien Wählern und dem Grünen-Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann. 47 Prozent verneinen sogar die Frage, ob Söder ehrlich ist. Dass so jemand sich in seinem Amt halten kann: Das hat Züge eines Wunders.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: