Süddeutsche Zeitung

Verfassungsschutz gegen Netzpolitik.org:Kein Platz für freiheitliches Denken

Lesezeit: 2 Min.

Das eigentliche Problem der Landesverrats-Affäre ist der Verfassungsschutz. Wenn eine Bundesbehörde Strafanzeigen gegen Journalisten verschickt, um sich selbst zu schützen, steckt dahinter ein gefährliches Missverständnis.

Kommentar von Heribert Prantl

Nicht Herr Range ist das eigentliche Problem; Generalbundesanwalt Harald Range, der ohnehin am Ende seiner Amtszeit steht, hatte und hat leider, so viel Kritik muss sein, nicht die Souveränität, die man sich von einem Generalbundesanwalt wünscht. Aber das ist bekannt, das hat sich in den strafrechtlichen Angelegenheiten gezeigt, die das deutsche Verhältnis zu den USA berühren; da traute sich Range nicht heran.

Das eigentliche Problem der Landesverrats-Affäre ist der Verfassungsschutz. Ein Verfassungsschutz, der Strafanzeigen gegen Journalisten verschickt, um sich selbst zu schützen, ist ein problematischer Verfassungsschutz. Die Bundesoberbehörde, die dem Bundesinnenministerium zugeordnet ist und Verfassungsschutz heißt, hat offenbar ein eigenes, ein eigenartiges Verständnis von der Verfassung.

Unter "Verfassung" versteht dieser Apparat nicht die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger; und unter "Verfassungsschutz" versteht er nicht den Schutz eines Verfassungsstaates, der für die Menschen da ist. Der Verfassungsschutz versteht unter Verfassung offenbar den eigenen Zustand, also die Verfassung seines eigenen Apparates - die er, wenn er sich etwa durch Publikationen gestört sieht, mit den Mitteln des Strafrechts schützen will.

Freiheitliches Denken hat beim Verfassungsschutz kein Zuhause

Das ist ein gefährliches Missverständnis. Ein Verfassungsschutz ist nicht für sich selbst da, so wenig wie der Staat für sich selbst da ist; der Staat besteht wegen und aus der Freiheit seiner Menschen; aber dieses freiheitliche Denken hat in der Behörde namens Verfassungsschutz leider kein Zuhause. Das ist ein Fehler; das ist die Tragik dieser Behörde.

Der bundesdeutsche Verfassungsschutz darf kein Behörden-Selbstschutz sein; der Verfassungsschutz ist auch nicht ein besonderer Schutz für die jeweilige Politik des jeweiligen Bundesinnenministers. Er ist nicht dafür da, die eigenen Fehler und die Fehler anderer Behörden bei der Aufklärung der Verbrechen der rechtsterroristischen Terrorgruppe NSU zu vertuschen - und das Misslingen solcher Versuche dann als Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland zu deklarieren und als Landesverrat anzuprangern. Die einschlägigen Strafanzeigen dürfte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht ohne die Zustimmung seines Dienstherrn, des Bundesinnenministers, gestellt haben. Das befremdet. Der Verfassungsminister als Feind der Pressefreiheit?

Es ist gewiss eine Störung des Betriebsablaufs einer Behörde, wenn vertrauliche Papiere öffentlich werden; aber eine Staatsaffäre ist das nicht. Wenn das in gehäuftem Maß passiert, ist es allerdings ein Indiz dafür, dass etwas faul ist an der Arbeit dieser Behörde und dass das Vertrauen in diese Arbeit nicht groß ist. Mit Strafanzeigen lässt sich das nicht reparieren.

Es hat seinen Grund, warum die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, geachtet, ja geliebt wird, der Verfassungsschutz aber nicht. An der Verfassung kann letzteres nicht liegen. Es ist Zeit für eine echte Reformation des Verfassungsschutzes.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2015
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