Landesverfassung:Schütze Gott die holden Blüten

Schleswig-Holstein debattiert darüber, religiöse Werte in der Verfassung zu verankern. Vetreter verschiedenster Fraktion finden da zueinander.

Von Thomas Hahn, Kiel

Der Sozialdemokrat Ralf Stegner sagt, er sei ein "engagierter Parteipolitiker". Er ist Fraktionschef im Landtag von Schleswig-Holstein, Landesparteivorsitzender sowie stellvertretender Vorsitzender der Bundes-SPD. Er sieht die Welt durch die rote Brille und zieht dabei klare Kanten in den politischen Debatten, gerne auch mit etwas Theaterdonner. Insofern war die Debatte über die Einführung des Gottesbezugs in die Landesverfassung neu für ihn. Da fanden nämlich Vertreter verschiedenster Fraktionen zueinander und arbeiteten über Wochen sehr ernsthaft an der Formulierung für eine Präambel. "Das ist ein Vorgang, den ich im Parlament so in den letzten Jahrzehnten nicht erlebt habe", sagt Stegner, "bemerkenswerte Sache."

An diesem Freitag entscheidet der Kieler Landtag, in welcher Form und ob überhaupt der Gottesbezug in die Landesverfassung hineingeschrieben wird. Es ist das - vielleicht nur vorläufige - Ende einer langen Debatte über den richtigen Ton eines Gesetzestextes, der ein Bekenntnis zum Glauben abgeben soll, ohne dabei Nichtgläubige auszuschließen oder Religionen voneinander abzugrenzen. Der Ausgang der Abstimmung ist offen. Die Fraktionslinien sind praktisch aufgelöst dafür im Plenum mit den Regierungsfraktionen von SPD, Grünen, Südschleswigschem Wählerverband (SSW) und der Opposition aus CDU, FDP und Piraten-Partei. Der Innen- und Justizausschuss hat vergangene Woche beschlossen, dass er keine Empfehlung gibt. Klar ist im Grunde nur, dass es knapp wird, die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Neufassung zu erreichen.

Drei Gesetzestexte stehen zur Auswahl: Der erste stammt aus einer frühen Phase der Debatte und sieht die Verfassung in einer "Verantwortung, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen universellen Quellen gemeinsamer Werte ergibt". Der zweite ist von Kritikern des Gottesbezugs als Kompromiss verfasst und abgeleitet aus einem Entwurf, der mal für die Europäische Verfassung gedacht war: "Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas ..." Unterzeichner sind unter anderen der FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, der junge Grüne Rasmus Andresen und der alte SSW-Vorsitzende Flemming Meyer; eine fast unwirkliche Allianz, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich diese Charaktere sind.

Gründungsfest Nordkirche

Wie viel Gott braucht das Land? Feier im Dom von Ratzeburg.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Der dritte ist angestoßen von dem SPD-Duo Stegner/Martin Habersaat und unterschrieben von Abgeordneten aller Fraktionen. Er will ausdrücklich für alle da sein, ob gläubig oder nicht gläubig, und hat eine Demutsformel eingebaut: "Die Verfassung schöpft aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas und aus den Werten, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen Quellen ergeben. Dies geschieht im Bewusstsein der Unvollkommenheit menschlichen Handelns ..."

Das Parlament wollte diese Debatte erst nicht. Als es vor zwei Jahren an einer Verfassungsreform arbeitete, die unter anderem "die Aufnahme weiterer Staatsziele" bewerkstelligen sollte, stimmte der Landtag gegen den Gottesbezug. Aber das ließen prominente Gläubige um den früheren Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) nicht auf sich beruhen - und zwar Gläubige verschiedener Religionen. Nicht nur der Christ Carstensen war an der Volksinitiative "Für Gott in Schleswig-Holstein" beteiligt. Sondern auch Fatih Mutlu, Vorsitzender der islamischen Religionsgemeinschaft, und Walter Blender, Vorsitzender der jüdischen Gemeinden. Sie sammelten mehr als 42 000 Unterschriften. Der Auftrag an das Parlament war klar.

Jemand wie der Gottesbezug-Gegner Kubicki seufzt jetzt noch darüber. Er ist froh, dass die Debatte zu Ende geht, "denn sicherlich gibt es mehr politische Themen in Schleswig-Holstein, die mindestens genauso viel Engagement verdient hätten". Andere Skeptiker hingegen klingen dankbar, wenn sie auf die Auseinandersetzung zurückblicken. Sie sehen diese mittlerweile als Wertedebatte um Toleranz in einer weltlichen Gesellschaft, die manchmal etwas sehr leichtfüßig über den Glauben vieler Bürger hinwegtänzelt. "Ich finde diese Debatte unglaublich wichtig", sagt die Innenausschuss-Vorsitzende Barbara Ostmeier von der CDU, "das tut der Kirche und dem Land gut zu fragen, was bedeuten uns die Werte eigentlich."

In den Präambeln

Schleswig-Holstein ist ein Nachzügler, wenn es um den Gottesbezug geht. Einen solchen Glaubensverweis gibt es schon in den Präambeln der Verfassungen von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und auch Bayern - dort beginnt sogar die Hymne mit dem Allmächtigen ("Gott mit dir, du Land der Bayern").

Auch dem Grundgesetz ist ein Gottesbezug vorangestellt: Das deutsche Volk habe sich dieses "im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" gegeben. Im Schleswig-Holstein-Lied ist der Bezug des meerumschlungenen Landes zum Allerhöchsten schon seit Mitte des 19. Jahrhundert hergestellt: "Schütze Gott die holden Blüten, die ein milder Süd belebt" heißt es darin und: "Gott ist stark auch in den Schwachen". SZ

Auch Eka von Kalben, Fraktionschefin der Grünen, hat festgestellt, dass die Got-tesbezug-Frage nicht so altbacken ist, wie es ihr auf den ersten Blick erschien. Das Deutschland von heute ist schließlich bunt, verschiedene Glaubensrichtungen gehören dazu, und wie man diese Vielfalt so mit den Ansprüchen universeller Menschenrechte vereint, dass sich dabei jeder aufgehoben fühlen kann - das fand sie "spannend". "Es ist eine Debatte darüber, ob Religion in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen sollte." Ihre Antwort: Ja, sollte sie, denn: "Sie gibt vielen Menschen Halt."

Wie Stegner hat auch Eka von Kalben den dritten Vorschlag unterzeichnet. Sie hofft, dass der Gottesbezug damit am Freitag auch wirklich in die Verfassung kommt. Und wenn nicht? Es heißt, die AfD wolle die Gottesbezug-Debatte aufgreifen, falls sich das Parlament nicht einigt. Und das hätte dann wahrscheinlich etwas weniger mit Toleranz zu tun.

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