Landesparteitag der FDP:Brüderle zeigt Rösler, was ein Kämpfer ist

Wer ist Wirtschaftsminister und Parteichef der FDP? Philipp Rösler? Pustekuchen! Rainer Brüderle hält auf dem Landesparteitag der Südwest-Liberalen eine lautstarke Rede. Prominente Freidemokraten fallen ihm um den Hals. Vor dem Dreikönigstreffen am Freitag liegt die Messlatte für Philipp Rösler ein gutes Stück höher. Denn Brüderle hat dem "Wegmoderierer" gezeigt, was ein Kämpfer ist.

Michael König, Stuttgart

Hans-Ulrich Rülke hat einen undankbaren Job. Nicht, weil er die "sieben Todsünden" der grün-roten Landesregierung aufzählt. Das fällt dem Fraktionschef der Liberalen im Landtag von Baden-Württemberg leicht. Sondern weil um 13:33 Uhr, mitten in seiner Rede, am anderen Ende des Saals eine Tür aufschwingt. Herein kommt Rainer Brüderle. Der Mann, auf den hier viele warten. Fünf Kameras sind auf ihn gerichtet. Rülke hat Mühe, gegen das Raunen im Saal anzureden.

Wirtschaftsminister Brüderle stellt Frühjahrsprognose vor

Rainer Brüderle: Mit badischen Kleinstädten hält sich der Fraktionschef nicht auf.

(Foto: dpa)

Brüderle wurde von Spöttern "Problembär" genannt, als er Wirtschaftsminister war. Später bezeichnete er das Atom-Moratorium nach dem Super-GAU von Fukushima als wahltaktisches Manöver und trug dazu bei, dass die FDP in Baden-Württemberg aus der Regierung flog. Als Philipp Rösler neuer Parteichef wurde, musste Brüderle das Ministeramt räumen. Beinahe hätten ihn die Jungen ganz von der Spitze geputscht. Das ist noch gar nicht lange her. Aber für einen Teil der Südwest-FDP ist es schon vergessen. Und für Brüderle wohl auch.

Beim Dreikönigsparteitag in Stuttgart wird er als Hoffnungsträger empfangen. "Auf geht's, Rainer", ruft ein Parteimitglied, als Brüderle ans Mikrofon tritt. Der hält sich nicht lange mit Grußworten auf. Ein Dankeswort an Birgit Homburger für die Unterstützung in schwerer Zeit. Dann legt Brüderle los. Und wie.

"Es gibt viele Orchideen, die bunt und farbig sind. Aber in schweren Zeiten sind klare Linien gefragt", sagt Brüderle, zum Satzende immer lauter werdend. Und dann brüllt er aus voller Kehle: "Der Weg der Freiheit ist manchmal länger, aber richtig! Lasst euch nicht irritieren, fürchtet euch nicht. Wir liegen auf dem richtigen Kurs!" Der Rest geht im Jubel unter.

Was die Dezibelstärke angeht, ist Brüderle an diesem Tag unübertroffen. Er scheint so laut sprechen zu wollen, dass seine Stimme bis Freitag nachhallt. Dann sprechen Homburger, Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, Generalsekretär Patrick Döring und Parteichef Philipp Rösler auf dem Dreikönigstreffen.

Brüderles Stärke ist die Schwäche der anderen

Brüderle darf nicht, obwohl einige in der Partei ihn vehement als Redner wollten. Es gibt sogar eine Facebook-Gruppe mit diesem Ziel. Rösler soll Brüderle als Dreikönigsredner verhindert haben, heißt es. Er scheue den direkten Vergleich. Die Debatte hat er damit nicht abwürgen können. Ob Brüderle womöglich der bessere Parteichef wäre, diese Frage wird in Stuttgart heiß diskutiert. Das liegt auch an Röslers neuem Generalsekretär.

Patrick Döring hatte jüngst in einem Interview gesagt, Rösler sei "kein Kämpfer", sondern ein "Wegmoderierer". Vor Brüderles Ankunft ist es - neben der Affäre Wulff - das meistdiskutierte Zitat in der Stuttgarter Liederhalle. Hinter vorgehaltener Hand empören sich viele Liberale über diese "Dummheit". Andere geben Döring recht und spötteln, man solle aufpassen, "dass uns Rösler nicht wegmoderiert".

Brüderles Stärke ist die Schwäche der anderen. Es ist nicht schwer, an diesem Tag herauszustechen. Zwar hat sich die Landesvorsitzende Birgit Homburger am Morgen schon bemüht, ihrer Partei Selbstbewusstsein einzuimpfen. Aber die Art und Weise lässt manch einen im Saal die Stirn runzeln.

"Es geht nicht um Kleinkram"

Zwar liege ein "enttäuschendes Jahr" hinter der FDP, "aber auch in schweren Zeiten können wir Erfolg haben", sagt Homburger. Und nennt als Beispiel dann Claudia Felden, Mitglied im Landesvorstand, die "völlig überraschend" zur Bürgermeisterin in der Stadt Leimen gewählt worden sei, "weil ihre Arbeit geschätzt wird".

Die Stadt Leimen, Geburtsort von Boris Becker, hat knapp 30.000 Einwohner. Den Oberbürgermeister stellt die SPD. Ein Bürgermeister-Posten dort muss für die FDP schon als Erfolg herhalten.

Homburger sagt auch, zwei Organisationen hätten Erfahrung mit der Wiederauferstehung: die katholische Kirche und die FDP. Von Stuttgart müsse die "Trendwende" ausgehen. "Ziehen Sie den Kampfanzug aus dem Schrank", fordert Homburger. "Und dann: Attacke!" Ihre Rede dauert 62 Minuten, ihr Applaus zwei Minuten.

Bei Brüderle ist das anders. Mit badischen Kleinstädten hält sich der Fraktionschef nicht auf. "Es geht nicht um Kleinkram, sondern um die Zukunft eines ganzen Kontinents. Dafür stehen wir, als Liberale!", ruft der Fraktionschef. Gemeint ist die Politik in der Eurokrise. Brüderle warnt in gewohnter Manier vor Eurobonds, vor dem massenhaften Ankauf von Staatsanleihen kriselnder Staaten durch die Europäische Zentralbank.

"Stellen Sie sich vor, Sirtaki-Siggi Gabriel von der SPD und 'Ich war mal eine Dose'-Trittin von den Grünen würden regieren. Dann hätten wir längst eine Schuldenunion", sagt Brüderle. "Wir sind hilfsbereit, aber nicht blöd. Wir helfen anderen Staaten auf die Beine, aber sie müssen auch ihren Teil tun, und sie müssen ihr Hinterteil hochkriegen."

"Ich habe nie aufgehört zu kämpfen"

Brüderle redet wie ein Wirtschaftsminister und erntet Reaktionen wie ein Parteichef. Es scheint ihm Spaß zu machen. "Die FDP kann nur einer besiegen: das sind wir selbst", sagt er. Das könnte direkt auf Döring und Rösler gemünzt sein, aber Brüderle sagt dazu nichts. Stattdessen fordert er von dem Dreikönigstreffen am Freitag ein Signal für mehr Schwung für den "Rest von Deutschland" und verabschiedet sich spöttelnd mit einem traditionell sozialdemokratischen Gruß: "Glückauf!"

Die Delegierten antworten mit langem Applaus. Homburger, Niebel und Südwest-Fraktionschef Rülke stehen Schlange, um sich zu bedanken. Der stellvertretende Landesvorsitzende Hartfrid Wolff macht eine Ausholbewegung, um ihm auf den Rücken zu klopfen. Mittendrin bremst er ab, sodass aus dem Klopfen eher ein Streicheln wird.

Brüderle genießt es sichtlich. Er setzt die Brille ab und spielt mit seinem Smartphone. Eine seiner Spitzen gegen Rösler kursiert bei Twitter: "Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, aber ich habe nie aufgehört zu kämpfen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: