Lampedusa:Endstation Sehnsucht

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Die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die per Boot auf Lampedusa anlanden, steigt und steigt. Für die meisten erfüllt sich der Hoffnung auf ein besseres Leben nicht.

Julius Müller-Meiningen, Lampedusa

Es ist die Kaimauer, die die eine Wirklichkeit von der anderen trennt. Hinter der Mauer liegt der beigefarbene Strand mit seinen orangefarbenen und blauen Sonnenschirmen und den Touristen, die im Wasser planschen, vielleicht gerade einmal 100 Meter entfernt.

Kaimauer von Lampedusa

Die Kaimauer von Lampedusa trennt das Strandtreiben von den ankommenden Flüchtlingen

(Foto: Foto: Müller-Meiningen)

Vor der Mauer spuckt das Mittelmeer gerade wieder eine Ladung armseliger Kreaturen aus. 22 Männer und fünf Frauen aus Afrika werden vom Schiff der Küstenwache über einen Steg an Land geführt. Viele sind barfuß, einige von ihnen zittern und taumeln, weil sie zum ersten Mal seit Tagen wieder Land unter den Füßen haben. Alle sind ausgehungert und haben Durst. Der Geruch von Urin dringt aus ihren Kleidern. Niemand durfte auf der dreitägigen Überfahrt aufstehen, da das kleine Schlauchboot sonst hätte kentern können.

Weil das Meer im Sommer ruhiger ist, kommen die brüchigen Holzkähne und die wackeligen Schlauchboote aus Afrika jetzt täglich auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa an. Am vergangenen Freitag hat die italienische Regierung deshalb den nationalen Notstand ausgerufen.

In den ersten sechs Monaten des Jahres habe sich die Zahl der Flüchtlinge wesentlich erhöht, sagte Innenminister Roberto Maroni. 11.286 Bootsflüchtlinge hat das Innenministerium an den Küsten Süditaliens gezählt, davon etwa 7000 auf Lampedusa. Im ersten Halbjahr 2007 waren es an den italienischen Küsten 8106.

Lampedusa, diese nur 20 Quadratkilometer kleine, verödete Insel ist einer der südlichsten Punkte Europas. Nur gut 100 Kilometer sind es von hier zur Küste Tunesiens, doppelt so viele bis nach Sizilien. Für die Flüchtlinge aus Afrika bedeutet Lampedusa die Rettung nach einer lebensgefährlichen Überfahrt. Alle wollen sie nach Europa, um dort ihr Glück zu finden. Kaum einer findet es wirklich.

Zehntausend Menschen haben im vergangenen Jahrzehnt die Überfahrt nicht überlebt, berichtet das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Viele von denen, die ankommen, werden abgeschoben, andere müssen untertauchen und schlagen sich als fliegende Händler durch. Einige gleiten in die Prostitution oder in die Kriminalität ab. Lampedusa bedeutet Hoffnung und ist doch oft der Anfang vom Ende eines Traums.

Hunderte Menschen auf kleinen Fischerkähnen

Die EU versucht, die illegale Einwanderung einzudämmen. Die italienische Regierung will sie demnächst sogar mit Gefängnis bestrafen. Im Juni haben Ministerrat und EU-Parlament eine Richtlinie zur Abschiebung illegaler Einwanderer beschlossen, in Cannes haben Anfang Juli die EU-Innenminister über Maßnahmen zur Beschränkung der Immigration beraten. Der Zustrom aus Afrika hält weiter an.

Häufig drängen sich mehrere hundert Menschen auf kleinen, alten Fischerkähnen oder in unstabilen Gummibooten. Es reicht eine Welle, um die Schiffe zum Kentern zu bringen. Vor den Küsten Afrikas versucht die Grenzschutzagentur Frontex die Flüchtlingsschiffe zur Umkehr zu bewegen.

Diejenigen, die die Kontrollen der EU-Schiffe überwunden haben, werden von der italienischen Küstenwache vor Lampedusa aufgenommen. "Du denkst, du kennst ihre Geschichten und Gesichter nach so vielen Erzählungen der Kollegen. Aber wenn man diese armen Teufel sieht, dann trifft einen wirklich der Schlag", erzählt Gianluigi Bove.

Bove ist 29 und Kommandant auf einem der Schiffe der Küstenwache, die vor Lampedusa patrouillieren. "Wenn wir uns den Booten nähern, wirkt es, als seien die Menschen wie in Trance. Dann sehen sie uns, sind aufgeregt und wollen aufstehen. Wir sagen, sie sollen sitzen bleiben, sonst könnte das Boot kentern. Sie setzen sich, hören auf zu sprechen, den Kopf nach unten gebeugt. Nichts mehr. Sie sind wie ausgeknipst."

Die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer ist nur die letzte Etappe einer Odyssee, die aus der Armut führen soll. Fast alle der Flüchtlingsboote setzen inzwischen an der libyschen Küste ab, die als schlecht bewacht gilt. Vom ganzen Kontinent, vor allem aber aus Nigeria, dem Sudan, Eritrea und Somalia werden die Menschen in Lastwagen von Schlepper-Organisationen an die Küste gekarrt. Zwischen 1000 und 3000 Euro verlangen die Banden für den Transport.

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