Süddeutsche Zeitung

Lafontaine oder Bartsch:Linke ficht verschobenen Machtkampf aus

West gegen Ost, Radikale gegen Reformer, Lafontaine gegen Bartsch: Beim Führungsstreit der Linken geht es um mehr als Personalien - es geht um die Richtung der Partei.

Daniel Brössler, Berlin

Wenige Minuten, bevor Oskar Lafontaine eintrifft, singt die Gemeinde "Dank sei Dir, Herr". Für die Konferenz "Neue Kraft voraus! Für eine starke Linke" hat der Verein "Freiheit durch Sozialismus" einen Saal der Berliner Stadtmission gemietet. Nebenan in einer kleinen Kapelle wird, unbeirrt von den Sozialisten, Gottesdienst gefeiert.

Im Konferenzsaal erklärt Wolfgang Gehrcke derweil den gut 300 trotz herrlichen Frühsommerwetters versammelten Linken, warum sie zusammengetrommelt wurden. Man wolle, sagt er, "Rat abhalten in einer schwierigen Situation für die Partei".

Gehrcke ist ein freundlicher älterer Herr, der in jungen Jahren die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend und die Deutsche Kommunistische Partei mitbegründet hat. In der Linkspartei gehört der Bundestagsabgeordnete zu den zentralen Figuren des linken Flügels. "Wir machen", ruft Gehrcke in den Saal, "überhaupt keinen Hehl daraus: Wir wünschen uns Oskar Lafontaine wieder an der Spitze."

Das Timing ist wohl Zufall, aber just in diesem Augenblick betritt der Saarländer zusammen mit seiner Partnerin Sahra Wagenknecht den Saal. Frenetischer Beifall ertönt. Die Versammelten erheben sich. Es erschallen "Oskar, Oskar"-Rufe. Nachdem das Paar in der ersten Reihe Platz genommen hat, fährt Gehrcke fort. Lafontaine brauche, um seine Positionen bekannt zu machen, die Linke nicht. "Ich weiß aber, dass die Partei Die Linke Oskar braucht."

Genau darum geht es beim sonntäglichen Treffen. Die Linken unter den Linken scharen sich im Machtkampf zwischen Lafontaine und Dietmar Bartsch, dem anderen Anwärter auf den Parteivorsitz, hinter ihr Idol. Ein Stück "Ermutigung" für Lafontaine solle von dem Treffen ausgehen, sagt Gehrcke. Was danach kommt, fügt sich in das atemberaubende Spektakel, das die Linken seit einiger Zeit geben.

"Radikal sein - eine Auszeichnung"

Er dränge ja nicht danach, erläutert Lafontaine, wieder Spitzenkandidat zu werden und Parteivorsitzender. Er sei aber dazu bereit, "noch einmal zu kandidieren, wenn es gelingt, sich auf eine kooperative Führung zu einigen, in der alle aufs gegnerische Tor schießen und nicht auf das eigene". Es müsse aufhören, dass "etwa zehn bis 15 Personen" ununterbrochen nur Personaldebatten führten.

"Wer sonst nichts beizutragen hat, außer, dass unsere Partei schlecht ist, der soll doch lieber in Urlaub fahren". Lafontaine ist, das wird schnell klar, in Kampfeslaune. Er redet sich und seine Leute in Rage, stellt die Eigentumsfrage und ruft: "Radikal sein ist nicht ein negativer Stempel. Das ist eine Auszeichnung."

Emotionen sind das, die sich vor allem gegen den einstigen Bundesgeschäftsführer Bartsch richten, der von seiner Kandidatur nicht lassen will. Bartsch ist Leitfigur der ostdeutschen Reformer und Hassbild der Parteilinken. Sie unterstellen ihm, für ein bisschen Regierungsbeteiligung die linke Seele zu verkaufen. Die Ost-Reformer wiederum sind empört, dass Lafontaine eine Kampfkandidatur ablehnt.

"Einfachste demokratische Gepflogenheiten werden auf den Kopf gestellt", analysiert der stellvertretende Chefredakteur des parteinahen Neuen Deutschland, Wolfgang Hübner, im Blog "Lafontaines Linke". Wer so denke wie Lafontaine, "erpresst und entmündigt die Partei und betrachtet sie als seine Beute".

Fünf Jahre nach der Fusion aus WASG und PDS wird nun jener Machtkampf ausgetragen, der damals verschoben wurde. Die Reformer wollen nicht länger zurückstecken und verweisen darauf, dass in der Partei 41.484 Mitgliedern (Ost) nur 26.716 Mitglieder (West) gegenüberstehen. Im Westen seien überdies 19,3 Prozent der Genossen mit ihren Beiträgen im Rückstand; im Osten nur 6,6 Prozent.

Auf dem Parteitag in knapp zwei Wochen in Göttingen werden 272 Delegierte aus den Ost-Verbänden auf 228 Delegierte aus den West-Verbänden treffen. Die Übermacht des Ostens ist zur Stärkung der neuen Landesverbände im Westen deutlich abgemildert worden - was im Osten mittlerweile einige für einen Fehler halten, weil "die Großzügigkeit der PDS bei der Vereinigung missbraucht" und die Bedeutung des Ostens für die Partei gering eingeschätzt werde.

Andersherum wird ein Schuh daraus - zumindest beim Linkentreff in der Stadtmission. Die Vize-Vorsitzende Sahra Wagenknecht legt dar, dass die Partei nur gesamtdeutsch, ergo unter Führung Lafontaines, eine Überlebenschance habe. Die Krise betreffe Ost wie West und sei "existenziell". Der Niedergang habe "objektive Gründe", etwa eine angeblich "fast flächendeckende Medienblockade". Aber, versichert Wagenknecht, "das hätte uns nicht kaputt gemacht".

Krisentreffen von Lafontaine und Bartsch

Schuld seien vielmehr "selbstzerstörerische" Debatten. "Es war ein bestimmter Flügel der Partei, der sich gegen die ganze Partei profiliert hat", klagt Wagenknecht das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) an, in dem sich die Reformer, überwiegend aus dem Osten, sammeln. So sei der Eindruck entstanden, die Linken seien "ein zerstrittener Haufen, der seine Führung für Deppen hält". Nun, da Lafontaine seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt hat, werde das "miese Spiel" fortgesetzt.

Wagenknecht spricht von einem strategischen Konflikt, den sie aus der Spätzeit der PDS kenne. Den Reformern sei es schon damals "unter Preisgabe linker Positionen um ein Andocken an den Mainstream" gegangen. Nur mit klaren Positionen aber könne die Linke bestehen - auch und gerade in Abgrenzung zu den Sozialdemokraten. "Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen", wettert Wagenknecht, "dass man sich einer Partei, die uns so behandelt, andient?" Sie meint natürlich Bartsch.

Lafontaine verfolgt Wagenknechts Rede konzentriert und angetan. Er ist höchstens bereit, Bartsch als Stellvertreter zu akzeptieren, keinesfalls aber als Geschäftsführer. Für den Abend war er mit dem Ostdeutschen, der an seiner Kandidatur festhält, zu einem Treffen im kleinsten Kreis verabredet. Es ging um die Suche nach einem Kompromiss. Die Chancen dafür galten als trübe. Wie die Berliner Zeitung unter Berufung auf führende Parteikreise berichtet, soll es bei dem Krisentreffen denn auch zu keiner Einigung gekommen sein. Nach ARD-Informationen sagte Bartsch nach dem Gespräch, die Kandidatenfrage werde erst auf dem Parteitag am 2. und 3. Juni in Göttingen entschieden.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2012/gal
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