Lafontaine erscheint zu Schröder-Auftritt:Fernduell der alten Herren

Verbunden in inniger Feindschaft: Anlässlich der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik in Göttingen finden sich Altkanzler Schröder und der ehemalige SPD-Chef Lafontaine wieder an einem Ort zusammen - als Kontrahenten.

Caspar Schlenk, Göttingen

Nur einige hundert Meter trennen die ehemaligen Kontrahenten auf dem Campus der Universität Göttingen, ökonomisch sind es Welten. Auf der einen Seite Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), als offizieller Gastredner auf der Jahrestagung der hochkarätigen Ökonomenvereinigung Verein für Socialpolitik (VfS), auf der anderen Seite der frühere Bundesfinanzminister, abtrünnige Sozialdemokrat und Ex-Chef der Linken, Oskar Lafontaine, als Gast der Gegenveranstaltung. Ein Fernduell der Extraklasse. Und beide scheinen es zu genießen.

Altkanzler Schroeder verteidigt 'Agenda 2010' Lafontaine

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verteidigt bei seinem Auftritt in Göttingen seine Reformpolitik. Die Bilanz der 'Agenda 2010' sei 'im Wesentlichen positiv'. Irgendwo in den hinteren Reihen sitzt der Linke Oskar Lafontaine und hört seinem ehemaligen Parteifreund und Rivalen zu.

(Foto: dapd)

Schröder gibt den Staatsmann. Im Hörsaal 011 referiert er über sein Lebenswerk, das in den Augen vieler Ökonomen Deutschland den Weg zum wirtschaftlichen Erfolg geebnet hat: die Arbeitsmarktreform Agenda 2010. Im Hörsaal sitzen mehrere Hundert Ökonomen, unter ihnen der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, und Bert Rürup, ein weiterer Architekt der Reform. "Deutschland kann ein Vorbild dafür sein, dass sich Reformen durchaus lohnen", sagt Schröder.

Eine halbe Stunde später, in einem kleinen Raum am anderen Ende des Campus entwirft Oskar Lafontaine ein anderes Bild: "Den Menschen in Deutschland geht es schlechter, nicht besser", sagt er. Die eine Hand steckt lässig in der Hosentasche, mit der anderen gestikuliert er. Lafontaine tänzelt vor dem Podium herum, er genießt die Aufmerksamkeit, endlich scharen sich die Kameras wieder vor ihm. Hier ist er wieder der Angreifer.

Es ist kein Zufall, dass sich die beiden Kontrahenten in Göttingen dieses Fernduell liefern. Zum ersten Mal in der Geschichte des Ökonomen-Vereins haben einige Mitglieder eine Gegenkonferenz mit alternativen Wirtschaftswissenschaftlern organisiert. 1873 gegründet, zählt der VfS heute knapp 3800 Ökonomen aus mehr als 20 Ländern zu seinen Mitgliedern, darunter etwa Bundesbankchef Jens Weidmann oder den Volkswirtschaftsprofessor Michael Burda. Die drei Tage sind in diesem Jahr überschrieben mit "Neue Wege und Herausforderungen für den Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts".

Mit dem Programm waren nicht alle Mitglieder einverstanden. Kurzerhand organisierten alternative Ökonomen um die Gruppe "Real World Economics" eine Gegenveranstaltung. "Eigentlich wollten wir keine Politiker einladen", sagt Helge Peukert, Professor an der Universität Erfurt und VfS-Mitglied. Doch man brauchte einen Kontrapunkt zu Schröders Rede. So fiel die Wahl auf Lafontaine. "Es ist auch ein bisschen unser Medientreiber", gibt Peukert offen zu.

"Sie sind nicht das einzige Alphatier, das heute Show machen will"

Der Medientreiber funktioniert, mehrere Fernsehteams sind gekommen. Der bei anderen Veranstaltungen eher locker besetzte Raum ist bis zum letzten Platz gefüllt, in einem Nebenraum wird Lafontaines Auftritt auf eine Leinwand übertragen. Kurz vor dem Auftritt hat sich das Kamerateam der Satiresendung "heute-Show" an Lafontaine gehängt. Der Reporter fragt, ob er Schröder getroffen habe.

"Er sucht keine Begegnung", erwidert Lafontaine und lächelt spitzbübisch. "Der Graben ist tiefer denn je", resümiert der Reporter. Als Gag will er Lafontaine von Schröder eine vertrocknete Blume überreichen. Der Politiker springt nicht drauf an. Als ihn der Reporter umarmen will, sagt Lafontaine: "Sie sind nicht das einzige Alphatier, das heute Show machen will."

Lafontaine redet sich in Rage, Schröder badet in der Menge

Ein wahres Wort. Alphatiere, das verbindet Schröder und Lafontaine. Freunde waren sie nie, endgültig zum Bruch kam es, als Lafontaine 1999 als Finanzminister im Kabinett von Schröder hinschmiss - und sich fortan als Kritiker der rot-grünen Regierung profilierte. 2005 engagierte er sich in der Linkspartei. Das haben ihm viele Sozialdemokraten nicht verziehen.

Arbeitskreis Real World Economics - Lafontaine

Wüten gegn Schröders Reformen: Ex-Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (früher SPD, heute Linke) bei seiner Rede in Göttingen.

(Foto: dpa)

In Göttingen geht es für die beiden um die ökonomische Deutungshoheit der Agenda 2010. Schröder spricht davon, dass Deutschland vor der Reform als "kranker Mann Europas" galt. "Nun ist es eine gesunde Frau", sagt er. Gelächter. Dies sei beispielsweise durch eine Flexibilisierung der Löhne möglich gewesen, so Schröder. "Die junge Generation ist der Reformgewinner." Den einen oder anderen Unterstützer habe man jedoch verloren.

Es ist das Thema, das die Ökonomen in Göttingen spaltet. In einer Studenten-Kneipe im Keller wütete Heiner Flassbeck einen Abend zuvor: "Der Arbeitsmarkt ist das Gebiet, in dem die Neoklassik am meisten versagt", sagte der Chef-Volkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung. Denn flexible Löhne würden die Binnennachfrage schwächen und den Aufschwung abwürgen. "Der Arbeitsmarkt ist kein Kartoffelmarkt", so Flassbeck.

Unter den Referenten sind viele Vertreter der alternativen Ökonomen-Szene, wie der Wirtschaftsweise Peter Bofinger oder der Bestseller-Autor und Professor Max Otte. Für den Verein für Socialpolitik referiert etwa der Chef der Arbeitsagentur Frank-Jürgen Weise über die Arbeitsmarktreform. Er wird wohl wie Schröder ein positives Bild zeichnen.

Während der eine spricht, schreibt der andere Autogramme

Lafontaine hat Schröders Rede verfolgt. Langsam redet er sich in Rage: Vielleicht gehe es Deutschland besser. "Den Leiharbeitern, den Rentnern geht es nicht besser." Nachweislich seien die Reallöhne gesunken. Der Mainstream der Neoliberalen habe Schröder die Reform "eingeflüstert".

Während Lafontaine noch wütet, genießt Schröder das Bad in der Menge. Jeder will ein Foto mit ihm, einige junge Ökonomen fragen nach einem Autogramm. Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, spricht in die Fernsehkameras: "Das war eine große Rede."

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