Längere Nationalhymne:Auferstanden aus Ruinen

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Deutschland könnte sich zum 60. Geburtstag eine zweite Strophe zur Nationalhymne schenken. Es böte sich die erste Strophe der früheren DDR-Hymne an.

Heribert Prantl

Ein paar Wochen vor einem großen Jubiläum ist es Zeit, sich ein Geschenk zu überlegen; praktisch soll es sein, auch ein wenig symbolträchtig. Das Geschenk soll etwas zu tun haben mit dem Fest, das gefeiert wird und mit den Ereignissen, derer man gedenkt: 60 Jahre Grundgesetz, 60 Jahre Bundesrepublik, später 20 Jahre Mauerfall. Deutschland feiert seine Gründung, sein Grundgesetz und seine Wiedervereinigung. Es sind Großereignisse, Wendemarken der Geschichte.

Deutsche Fußballfans singen bei einem Spiel der Nationalmannschaft bei der EM 2008 gegen Portugal die Nationalhymne. (Foto: Foto: dpa)

Das Land könnte sich selbst beschenken - mit einer zweiten Strophe zur Deutschlandhymne. Bisher gibt es nur eine einzige: "Einigkeit und Recht und Freiheit". Daran könnte man eine zweite anhängen: "Auferstanden aus Ruinen, und der Zukunft zugewandt". Es ist dies die erste Strophe der alten DDR-Hymne; die durfte dort seit 1973 nicht mehr gesungen werden, weil darin von "Deutschland, einig Vaterland" die Rede ist; das passte den DDR-Machthabern nicht. Diese Losung wurde aber dann ein Treibsatz der friedlichen Revolution von 1989.

Die von Johannes R. Becher geschriebene Hymne ist mit der DDR untergegangen; der bescheidene, optimistische, unideologische Text hat diesen Untergang nicht verdient. Er braucht nicht die alte Melodie, er kann auf die Haydn'sche Melodie (die österreichische Kaiserhymne) des Deutschlandliedes gesungen werden. Dem griechischen Ursprung des Wortes Hymne macht die Kombination alle Ehre: Hymnos leitet sich ab vom Wort für "nähen". Wenn die West- und die Ost-Strophe zusammengenäht werden, kann diese Hymne Einheit stiften und zum Ausdruck bringen, was vor zwanzig Jahren viele gern als Staatsziel in die Präambel des Grundgesetzes geschrieben hätten: "Das Bestreben, die innere Einheit Deutschlands zu vollenden."

Landauf, landab fragen die Moderatoren bei einschlägigen Podiumsdiskussionen: Was wünschen Sie dem Grundgesetz zum Geburtstag? Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, hat geantwortet, sie würde die Einschränkungen der Grundrechte rückgängig machen: Mit dem Asylkompromiss ist das Asylgrundrecht verkürzt und mit dem großen Lauschangriff das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung beschnitten worden. Limbach möchte die alte Reinheit wiederherstellen. Das ist ein frommer, schöner, aber utopischer Wunsch, weil man dafür eine Zweidrittelmehrheit bräuchte.

Franz Müntefering, der SPD-Vorsitzende, hat vor kurzem daran erinnert, welche Chancen bei der Wiedervereinigung versäumt wurden: Damals hätte man das Grundgesetz verbessern und, verstärken können; und dann hätte das Volk in Ost und West darüber abstimmen können. Damals, nachdem die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 beschlossen hatte, gab es zwar eine Verfassungskommission, die das Grundgesetz, wie es der Einigungsvertrag vorsah, zwei Jahre lang prüfte. In Wahrheit war sie ein Institut zur Beerdigung von Reformanträgen; es kam wenig heraus. Das kann man heute beklagen, wie es Müntefering mit Blick auf ostdeutsche Vereinnahmungsgefühle tat; aber die versäumte Besinnung am Beginn des gemeinsamen Weges - die lässt sich nicht einfach heute nachholen.

Korrigieren lässt sich aber ohne weiteres die Entscheidung, die mit einem Briefwechsel zwischen Bundespräsident von Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl getroffen wurde: Darin wurde 1991 ausschließlich "Einigkeit und Recht und Freiheit" zur Nationalhymne erklärt, also die dritte Strophe des "Lieds der Deutschen" von Hoffmann von Fallersleben. Um diese Entscheidung zu korrigieren, braucht man keine Grundgesetzänderung, auch kein Gesetz: Es genügt ein Briefwechsel zwischen der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten.

Schon 1990, bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag, hatte Lothar de Maizière, der letzte, der demokratisch gewählte DDR-Ministerpräsident darum gebeten, "Einigkeit und Recht und Freiheit" mit dem "Auferstanden aus Ruinen" zu verbinden". Aber damals galt im Westen alles als schlecht, was sich mit der DDR verband. Der Westen lehnte brüsk ab, im Gestus: Was wollen wir mit eurer Hymne? Es war der Überheblichkeitsgestus: Ihr könnt froh sein, dass ihr nicht mehr die alten Lieder singen müsst. In Helmut Kohls "Erinnerungen" (1990 bis 1994, Seite 193) steht über die Bitte zu lesen: "Ich war empört, als ich davon hörte."

Auferstanden aus Ruinen: Das ist kein Satz, der zur Empörung Anlass gibt. Er ist die Antwort auf die Hybris von "Deutschland, Deutschland über alles", der heute zu Recht verpönten ersten Strophe des Gedichts von Hoffmann von Fallersleben. Die Auferstanden-Strophe hat, zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR, nichts mit DDR-Nostalgie zu tun. Sie passt zum ganzen Land, zu seiner Geschichte, zur Wiedervereinigung, zum Gedenken an die Gründung der Bundesrepublik; und singen lässt sie sich auch gut. Eine Nationalhymne, so schreibt Rechtsprofessor Peter Häberle in seinem Buch über die Nationalhymnen der Welt, lässt die "Identitätselemente" erkennen, die ein Volk "im Innersten" zusammenhalten. Diese Identitätselemente finden sich in beiden Liedstrophen. Die alten Lieder erhalten zusammengefügt eine neue Bedeutung: Der Zukunft zugewandt.

© SZ vom 21.04.2009/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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