Süddeutsche Zeitung

Ladenöffnungen:Die Versuchung lebt in der Pfalz

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Ein Outlet-Center lockt Saarländer - das missfällt deren Minister­präsidenten.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Die Völker- beziehungsweise Saarländerwanderung ist bislang ausgeblieben - über die Landesgrenze gen Osten, auf der Autobahn A 8 durchs pfälzische Zweibrücken, an der Ausfahrt Contwig runter und rein ins Shoppingvergnügen. Augenzeugen berichten zwar von einer Menschenschlange mit dem gebotenen Abstand kurz vor der Öffnung am Montag um elf Uhr - aber auch von leeren Parkplätzen und viel Platz in der sich auf mehr als 21 000 Quadratmeter erstreckenden Kunstwelt des "Zweibrücken Fashion Outlet". "Es ist noch relativ ruhig", sagt Torsten Wiegelmann, der Sprecher des Outlet-Centers. Aber sie lebt, die Versuchung, in die ein solches Fabrikverkaufsgelände Menschen offenbar führen kann. Im Saarland müssen die Europa-Galerie und das Saarpark-Center geschlossen bleiben, wenige Kilometer weiter aber, in Rheinland-Pfalz, hat das Zweibrücker Outlet-Center geöffnet, eins der größten in Deutschland. Das zieht nun einigen Ärger nach sich - wie überall, wo, wie einst in der Zeit der deutschen Kleinstaaten, strenge und weniger strenge Gesetze aufeinandertreffen.

Ministerpräsident Hans warnt vor einem "Überbietungswettbewerb an Lockerungen"

Dabei hat die neue Offenheit im Fashion-Outlet Grenzen. An diesem Dienstag haben nur 25 der 120 Geschäfte geöffnet, von elf bis 17 Uhr; bis zum Wochenende sollen allerdings alle Läden offen sein, die Gastronomie ausgenommen. Es gibt einen Rundweg mit nur einem Eingang und einem Ausgang. Pro zehn Quadratmeter ist nur ein Kunde erlaubt, 2100 sind das in der gesamten Mall. Desinfektionsmittel steht bereit, Warnhinweise sind geklebt, Masken werden empfohlen. "Die Erlaubnis zur Öffnung kam am Freitagabend um viertel vor sieben", sagt Outlet-Sprecher Wiegelmann, "seitdem haben wir Stress - das hat uns doch überrascht". Denn eigentlich hatten sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass Läden mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern vorerst geschlossen bleiben müssen. Die Mainzer Landesregierung aber legte den Beschluss auf ihre Weise aus: Nicht die Größe des gesamten Centers entscheidet, die Flächen der einzelnen Geschäfte müssen unterhalb der Maximalgröße bleiben.

Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) reagiert nun verärgert auf den Schritt der Nachbarregierung unter Malu Dreyer (SPD). Die Erlaubnis sei ein Fehler, sagt er, so würden "all unsere Bemühungen konterkariert, große Menschenaufläufe zu verhindern" - und das auch noch zum Schaden der saarländischen Wirtschaft. Er warnte vor einem "Überbietungswettbewerb an Lockerungen", der dazu führe, "dass sich die Menschen in falscher Sicherheit wiegen". Dass der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen CDU im Mainzer Landtag, Christian Baldauf, die Sache genauso sieht, kann man noch als naheliegend ansehen - und auch den Konflikt insgesamt als wenig überraschend: Auf der Laschet-Söder-Skala der Seuchenbekämpfung ist Malu Dreyer näher beim liberalen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten angesiedelt, Tobias Hans tendiert zum strengen bayerischen Regierungschef. Allerdings haben auch parteiübergreifend die Verwaltungschefs der Städte Saarbrücken, Neunkirchen, Homburg und Saarlouis die Öffnung scharf als "zurzeit lebensgefährlich" kritisiert. Und selbst der Zweibrücker SPD-Oberbürgermeister Marold Wosnitza klingt nicht begeistert: Man müsse nun mit der Öffnung leben, sagte er dem SWR. Ein Regierungssprecher verteidigt dagegen das Vorgehen: Rheinland-Pfalz wolle aus Gründen der Gleichbehandlung allen Geschäften einen Verkauf auf bis zu 800 Quadratmetern ermöglichen, um das rechtliche Risiko der Eingriffe zu minimieren. Outlet-Sprecher Wiegelmann sagt: "Die Vorgaben macht die Politik - wenn die Erlaubnis zur Öffnung kommt, sehen wir uns als Dienstleister unserer Kunden."

Auf der Facebook-Präsenz des Outlet-Centers tobt derweil die Schlacht um die Deutungshoheit: "Absolut verantwortungslos!", schimpfen die einen. Andere halten dagegen: "Corona wird uns noch Monate begleiten. Trotzdem muss das Leben weitergehen." Nimmt man die Abstimmung per Mausklick zum Maßstab, dürfte die Öffnung der Regierung Dreyer eher nicht schaden: 337 Nutzer haben seit Montag den Daumen-hoch-Button gedrückt - und nur 139 ihrem Zorn Ausdruck verliehen.

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SZ vom 22.04.2020
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