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Neuer Labour-Chef:Ziel: Downing Street, spätestens 2024

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So einer wie der werde es nie schaffen, Anführer der traditionsreichen britischen Arbeiterpartei zu werden, hieß es. Doch Keir Starmer startete zu Recht durch - und hat feste Pläne vor Augen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Als Keir Starmer ins Rennen um die Führung der Labour Party einstieg, galten seine Chancen als mager. Seine Presse war nicht gut; er sei hölzern, uncharismatisch, zu sehr Anwalt, zu wenig Popstar. Ein Blairite, also ein Anhänger des seit dem Irak-Krieg verhassten Ex-Premiers Tony Blair, und ein Zentrist ohne erkennbar linke Ausrichtung. So einer werde die große, alte Partei nicht erobern - nicht nach fünf Jahren unter dem Sozialisten Jeremy Corbyn und nicht, nachdem sich eine linke Grassroots-Bewegung in den Strukturen festgesetzt und die Führung übernommen habe. Wenn er siegen würde, hieß es, dann nur, weil seine beiden Gegenkandidatinnen unerfahrener, weniger greifbar, weniger sichtbar waren.

Tatsächlich waren die Zuschreibungen falsch und die Einschätzung der Stimmung an der Basis war es ebenso. Wenn es einer schaffen konnte, die Mehrheit der enorm frustrierten Linken hinter sich zu vereinen, dann war es Starmer, der Menschenrechtsanwalt. Sein deutlicher Sieg ist der Beweis dafür, dass Parteien ein Eigenleben haben, und dass vier verlorene Wahlen hintereinander sowie das schlechteste Wahlergebnis seit 1935, das die Partei bei der jüngsten Parlamentswahl einfuhr, gereicht haben: So sollte, so konnte es nicht weitergehen. Ruhe sollte einkehren, der Antisemitismus in der Partei sollte endlich glaubwürdig und entschieden bekämpft werden, und es durfte auch ruhig ein Mann aus London sein. Alle Debatten über Geografie und Gender im Vorfeld der Urwahl erwiesen sich als Fetisch der hauptstädtischen Politikblase. Worum es ging, waren Erfahrung und Kompetenz.

Corbyn hat die Partei fünf Jahre lang geführt, aber die rauschhafte Phase, in der er eine regelrechte Corbynmania ausgelöst hatte, ist längst vorbei. Offenbar hatte Labour eine Zeitlang genau das gebraucht, während die Tories das Land mit ihren Eton-und Oxbridge-Absolventen in blinder Arroganz durch die Austerität und in den Brexit steuerten: die kollektive Begeisterung für einen Mann, der als befreiungsbewegter Antifaschist und sozialistischer Rebell galt - und damit als Gegenmodell zum regierenden Establishment.

Aber das reichte nicht, um Wahlen zu gewinnen und einen charmanten Populisten wie Boris Johnson in die Schranken zu weisen. Corbyn war dafür zu schwach, sein Kurs spaltete die eigene Partei.

Starmer, 57, hat jetzt alle Chancen - auch wenn die globale Krise die Kräfte bindet, und der Fokus gerade nicht auf dem politischen Alltagsgeschäft einer Opposition liegt, sondern auf der gemeinsamen nationalen Anstrengung. Er ist ein prinzipientreuer Pragmatiker, ein ehrlicher Makler, sachorientiert, engagiert, fokussiert. Selbst seine Gegner, die ihm mangelndes Charisma vorwerfen, beschreiben ihn so. Offenbar fand eine überwältigende Mehrheit der Labour-Mitglieder, aber auch von stimmberechtigten Gewerkschaftern und Sympathisanten, dass es endlich wieder Zeit ist für einen, der Wahlen gewinnen kann und will. Und für einen, der die Regierung um Bumbling Boris, um den oft unzuverlässigen, ausweichenden Premier, professionell herausfordert.

Starmer ist, anders als es Corbyn war, überzeugter Europäer, hat im politischen Hotspot Nordirland politische Erfahrungen gesammelt, war mit 45 schon Staatsanwaltschef von England und Wales und machte eine Blitzkarriere im Unterhaus. In seinem ersten Fernsehinterview zeigte er sich höchst selbstbewusst. Sein Ziel: Downing Street, spätestens 2024.

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SZ vom 06.04.2020
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