Labour-Kandidat Jeremy Corbyn:Bescheiden, geradlinig, stramm links

Labour Party leadership candidate Jeremy Corbyn appears on the BBC's Andrew Marr Show

In der Parteispitze ist Jeremy Corbyn umstritten, doch bei der Basis kommt der bescheiden auftretende und geradlinige Londoner gut an.

(Foto: REUTERS)
  • Mit Jeremy Corbyn, der als Favorit in die Wahl des neuen Vorsitzenden Anfang September geht, könnte der britischen Labour-Partei ein Linksruck bevorstehen.
  • Gewerkschaften unterstützen Corbyn, einflussreiche Labour-Politiker dagegen warnen vor ihm.
  • Die Partei befürchtet, dass Konservative und Kommunisten die Wahl zu Ungunsten Labors beeinflussen könnten.

Von Björn Finke, London

"Vision for Britain 2020", eine Vision für das Vereinigte Königreich im Jahr 2020: Unter diesem Titel will Jeremy Corbyn in dieser Woche sein politisches Programm vorstellen. Der 66-Jährige ist einer von vier Kandidaten für den Vorsitz der britischen Labour-Partei, und zum Entsetzen des Partei-Establishments führt der überzeugte Linke in Umfragen deutlich. Außerdem sprachen sich große Gewerkschaften für ihn und gegen die anderen drei eher gemäßigten Politiker aus.

Mitglieder und Unterstützer bestimmen in einer Vorwahl Anfang September den Chef der angeschlagenen Partei. Der frühere Vorsitzende Ed Miliband trat nach der herben Niederlage bei den Parlamentswahlen im Mai zurück. Würde Corbyn wirklich gewinnen, stände Labour vor einem Linksruck - und hätte vermutlich keine Chance, die Konservativen bei den Wahlen 2020 an der Regierung abzulösen.

"Blauäugig und stramm links"

Es vergeht daher kein Tag, ohne dass einflussreiche Labour-Politiker vor Corbyn warnen. Am Montag knöpfte sich Chris Leslie, Finanzexperte der Partei, die wirtschaftspolitischen Ideen des Nord-Londoner Abgeordneten vor. Leslie bezeichnete sie gegenüber dem Radiosender BBC 4 als "blauäugig und stramm links" - etwa Corbyns Plan, die Notenbank solle einfach mehr Geld drucken, damit die Regierung genug Mittel für Investitionen und den öffentlichen Dienst habe.

Am Wochenende hatte bereits der frühere Labour-Vorsitzende Neil Kinnock geklagt, dass Trotzkisten und Konservative versuchten, die interne Abstimmung zugunsten Corbyns zu beeinflussen - "in bösartiger Absicht". Aber mit sehr unterschiedlichen Motiven: Tatsächlich veröffentlichte die konservative Tageszeitung Daily Telegraph einen Aufruf an die Leser, sich als Unterstützer von Labour zu registrieren, um mitwählen zu können. Überzeugte Konservative sollten ihr Kreuz bei Corbyn machen, hieß es da, denn mit ihm an der Labour-Spitze sei den Tories die Wiederwahl nicht zu nehmen. Die Anmeldung kostet nur drei Pfund. Ein Schnäppchen.

Zugleich appelliert die Kommunistische Partei Großbritanniens an ihre Anhänger, sich für die Vorwahlen anzumelden und ihre Stimme Corbyn zu geben. Sein Sieg könne Labour wieder in eine wahrhaft sozialistische Partei verwandeln, schwärmen die Genossen. Auch Mitglieder anderer sehr linker Gruppen haben sich offenbar als Unterstützer registriert. Die Labour-Zentrale ist alarmiert und verspricht, sorgfältig zu prüfen, ob Anträge von Tories oder Kommunisten stammen. Allerdings lehnte die Partei bislang kaum Anträge ab, als Unterstützer mitzuwählen.

Die großen Gewerkschaften unterstützen Corbyn

Wichtiger als die Hilfe obskurer Kommunisten-Gruppen ist für Corbyn jedoch, dass er große Gewerkschaften für sich gewonnen hat. Etwa Unison, die ihren 1,3 Millionen Mitgliedern im öffentlichen Dienst rät, ihn zu wählen. Den Gewerkschafts-Funktionären gefällt Corbyns Faible für höhere Staatsausgaben; sie wünschen sich für Labour einen klaren Linkskurs.

Partei-Strategen dagegen glauben, dass Labour nach der Niederlage im Mai wieder stärker die Wähler in der Mitte umwerben muss. Der langjährige Abgeordnete Corbyn, der wegen seiner unbequemen Positionen nie ein wichtiges Amt bekleidet hatte, schaffte es daher auch nur ganz knapp auf die Liste der Kandidaten für den Parteivorsitz. Wer an dem Rennen teilnehmen wollte, musste eine bestimmte Zahl an Nominierungen von Parlamentariern zusammenbringen. Dem Erz-Linken gelang das erst kurz vor Fristende, und viele nominierten ihn nach eigenem Bekunden nur, um die Debatte zu beleben. Doch bei der Basis kommt der bescheiden auftretende und geradlinige Londoner gut an; im Vergleich zu ihm wirken die anderen Kandidaten wie glatte Karrierepolitiker ohne Überzeugungen. Labour steht ein heißer Sommer bevor.

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