Labour in der Krise:Suche nach Mister Irgendwer

In einem ist sich Britanniens Labour-Partei einig: Sie will den ungeliebten Premier Gordon Brown loswerden. Nur: Sie findet keinen Ersatz.

Wolfgang Koydl

Wie fühlt sich ein Mann, dem seine Kollegen jeden Tag in der Presse bescheinigen, dass er in seinem Job nichts taugt? Und wie viel schlimmer ist es, wenn es sich bei diesem Mann um einen Regierungschef handelt, der sich selbst immer für die beste Wahl gehalten hat? Gut möglich, dass der wegen seiner Tobsuchtsanfälle gefürchtete Gordon Brown im Angesicht konzentrierter Kritik nichts anderes empfindet als überkochenden Zorn.

Labour in der Krise: "Monumentalstudie kollektiver Heuchelei": Großbritanniens angeschlagener Premier Gordon Brown auf dem Labour-Parteitag in Manchester.

"Monumentalstudie kollektiver Heuchelei": Großbritanniens angeschlagener Premier Gordon Brown auf dem Labour-Parteitag in Manchester.

(Foto: Foto: AP)

Denn Selbstzweifel waren ihm stets fremd, und auch jetzt, da er auf einem noch nie zuvor von einem britischen Ministerpräsidenten ausgeloteten Tiefpunkt an Popularität angelangt ist, zieht er einen Rückzug aus dem Amt nicht einmal theoretisch in Erwägung: "Ich lasse mich nicht von ein paar Leuten beirren, die sich beschweren", blaffte er. "Das ist Politik; ich kümmere mich um das Geschäft des Regierens."

Browns Trotz kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es längst mehr als nur ein "paar Leute" sind, die sich den Regierungschef vom Halse wünschen. Mehr als ein Dutzend Abgeordneter und Staatssekretäre sind aus der Anonymität ausgebrochen und haben verlangt, dass die regierende Labour Party auf ihrem soeben in Manchester beginnenden Parteitag einen neuen Führer wählt.

Mittlerweile rückt auch die Basis von Brown ab: 54 Prozent der Labour-Mitglieder wollen nicht von ihm in die nächste Unterhauswahl geführt werden; 57 Prozent wollen die Führungsfrage jetzt in Manchester beantworten.

Irgendjemand, solange er nicht Gordon Brown heißt

Dazu wird es wohl nicht kommen. Ein "Loyalitätsfest" erwartet Patrick Dunleavy von der London School of Economics, und der gemeinhin Labour-treue Guardian geht noch weiter: "Manchester", so prophezeite das Blatt, "wird eine Monumentalstudie kollektiver Heuchelei bieten, eine Feinschmeckerdarbietung der Unwahrheit, die beinahe der Jahrestagung der nordkoreanischen kommunistischen Partei würdig wäre."

Noch einmal wird sich die Partei hinter Brown scharen, wenn auch zähneknirschend. Das liegt weniger an seiner Person, als an den Umständen: Seine innerparteilichen Gegner sind sich nur einig, dass er gehen soll - dann scheiden sich die Geister.

Die einen wollen ihn sofort, die anderen erst später stürzen. Eine dritte Gruppe will vielleicht doch an ihm festhalten: Ein Führungswechsel würde wahrscheinlich sofort Neuwahlen bedingen - ein politischer und finanzieller Albtraum für eine Partei mit 20 Millionen Pfund Schulden.

Totale Konfusion herrscht bei der Frage, wer Brown ersetzen soll. An Bewerbern mangelt es nicht, dafür an breiter Zustimmung zu ihnen. Beim Wähler würden alle noch schlechter abschneiden als der Amtsinhaber - mit einer Ausnahme: Ex-Premier Tony Blair.

Unschlüssig ist die Labour-Basis, wen sie auf den Schild heben möchte: In einer internen Umfrage landete Außenminister David Miliband mit knapp 25 Prozent auf dem ersten Platz. Dann folgte mit 18 Prozent ein anonymer Mister Irgendwer - irgendjemand, so lange er nicht Gordon Brown heißt.

Browns Kamarilla verfolgt bislang eine Hinhaltetaktik: dem Premierminister soll immer wieder eine neue Chance gegeben werden - bis zum Parteitag, bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause, bis zur nächsten Nachwahl, bis zum neuen Jahr.

Derart zaghaft trippelnd käme man im Juni 2010 an, wenn definitiv gewählt werden muss. Dann freilich würde Labour - gemessen an der gegenwärtigen Lage und an der Grausamkeit des Mehrheitswahlrechts - die Auslöschung als politische Kraft drohen.

In Großbritannien gibt es einen Politiker, der dieses Szenario begrüßt: Tory-Führer David Cameron. Ein verbrauchter Brown ist ihm lieber als ein frisch gekürter Nachfolger. Das weiß man bei Labour, und deshalb wird es einen Wechsel geben - nur nicht jetzt, sondern womöglich erst im Frühjahr. Dann könnte im Juni gewählt werden, in einem Aufwasch mit Europa- und Kommunalwahlen.

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