Wenn Gerichtsverfahren lange dauern, länger als erwartet, schleichen sich Gewohnheiten ein. Josef S. machte es sich während der bald neun vergangenen Monate zur Gewohnheit, noch vor dem ersten Wort des Vorsitzenden Richters Udo Lechtermann die im Raum Anwesenden zu begrüßen. "Schönen guten Morgen allerseits", sagte der Angeklagte auch am Dienstag, dem Tag des Urteils, schaute in die Runde der Zuhörenden, als suche er ein bestimmtes Gesicht, danach erst bekam er die Kopfhörer aufgesetzt. Josef S. ist schwerhörig. In den letzten Wochen, zum Urteil hin, verband er seinen Gruß oft mit einer stummen händeringenden Geste, wie ein Mensch, der um Gnade fleht.
Prozess gegen NS-Täter:Das Schweigen des Josef S.
Lesezeit: 8 min
Fünf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord an 3518 Häftlingen im KZ Sachsenhausen: Josef S. hat von den Spuren, die sein Dienst im KZ bei ihm selbst hinterlassen haben muss, nichts gezeigt. Er hat den Opfern kein Wort der Entschuldigung und auch kein Wort des Bedauerns geschenkt.
(Foto: Fabian Sommer/dpa)Bis heute leugnet der 101-Jährige in einem der letzten Prozesse gegen NS-Täter seine Schuld. Jetzt wurde er verurteilt. Es bleibt die Frage, warum die Aufarbeitung so spät begonnen hat.
Von Renate Meinhof, Brandenburg an der Havel
SZ-Plus-Abonnenten lesen auch:
Gesundheit
"Gehirne von Menschen mit Übergewicht funktionieren anders"
Essen und Trinken
"Wer 80 Euro für eine beschichtete Pfanne ausgibt, ist gut bedient"
Familie
Wenn nichts mehr hilft
Influencer
Jetzt mal ehrlich
Wissenschaft im Alltag
Kochen zwei Mathematiker Kaffee