Süddeutsche Zeitung

KZ-Vernichtungslager:Ausbruch aus der Hölle von Sobibor

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Aleksandr Petscherski dokumentierte nach dem Weltkrieg den Aufstand im Vernichtungslager - der ukrainische Jude hatte vor 75 Jahren die Aktion geleitet und konnte als einer der wenigen Häftlinge entkommen.

Rezension von Robert Probst

20 SS-Männer und etwa 100 "fremdvölkische Hilfswillige". Mehr brauchte es nicht im Vernichtungslager Sobibor, um den Holocaust voranzutreiben. In der Todesfabrik am Fluss Bug im besetzten Polen, nahe der Grenze zu Weißrussland, "lief alles schnell und organisiert nach dem letzten Stand deutscher Technik ab", schreibt Aleksandr Petscherski in seinem Bericht über Sobibor.

Die Notizen hatte er als einer der wenigen Arbeitsjuden dort angefertigt; eine von vielen Fassungen, die er seit 1945 immer wieder bearbeitete, liegt nun in einer deutschen Übersetzung vor.

Aleksandr Petscherski (1909 - 1990) hat zusammen mit anderen mutigen Männern das Unmögliche getan. Am 14. Oktober 1943 wagten Juden aus Russland, Polen, Holland, Frankreich, der Tschechoslowakei und Deutschland einen Aufstand der Todgeweihten gegen die allmächtige SS.

Aufstand der Todgeweihten

Der gebürtige Ukrainer war als Kriegsgefangener der Roten Armee Ende September 1943 nach Sobibor deportiert worden, einem Lager, in dem es gelang, einen ganzen Transport von 2000 Menschen innerhalb von 20 Minuten mit Kohlenmonoxid zu ermorden.

Nur wenige wurden bei der Ankunft als Arbeiter fürs Sortieren der Habseligkeiten der Ermordeten ausgewählt. Jeder dieser Ausgewählten wusste: Überleben war eine Angelegenheit von Tagen.

Jeder war jederzeit ein Kandidat für die "Himmelfahrtstraße", die zum sogenannten Bad führte. Als Leutnant der Armee war Petscherski klar: Der einzige Funken Hoffnung bestand in einem bewaffneten Aufstand gegen die Bewacher. "Kämpfen, um Rache zu üben", wie er sagte.

In seinem nüchternen Bericht erzählt Petscherski, ein studierter Musikwissenschaftler, von der Verschwörung "am Rand des Todes". Wie die Häftlinge Messer und Äxte besorgten, wie sie einige SS-Männer und Hilfswillige töteten, wie sie den Stacheldraht durchbrachen, an jenem warmen, sonnigen 14. Oktober.

"Wie ein Donnergrollen breitete sich im Todeslager die Schreie der Menschen aus. 600 Menschen, gequält, voller Sehnsucht nach der Freiheit, stürzten mit Hurra-Schreien vorwärts."

Für die meisten von ihnen währte die gerade erkämpfte Freiheit nur kurz. Doch der Aufstand bedeutete das Ende des industriellen Mordens in Sobibor.

Von den Aufständischen wurden viele gleich erschossen oder von Minen zerfetzt, zahllose wurden in den Tagen danach in den Wäldern wieder eingefangen und erschossen.

Nur etwas mehr als 50 erlebten das Ende des Krieges. Viele fanden über die Jahre wieder zusammen und legten Zeugnis ab über die Verbrechen der Nazis. So auch Aleksandr Petscherski, dem das Leben in der frühen Sowjetunion als einstiger Kriegsgefangener nicht leicht gemacht worden war.

Erst 2016 verlieh ihm Präsident Wladimir Putin posthum die Tapferkeitsmedaille.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2018
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