KZ-Dachau:Ein Wunder inmitten des Horrors

In einem Außenlager des KZ Dachau kamen zwischen Dezember 1944 und Februar 1945 sieben Kinder zur Welt.

Von Edith Raim

In Rumänien, in Klausenburg, nannten sie ihn das "Lagerkind", und als er fünf war, erzählte Georg Legmanns Großmutter dem Jungen, warum. Er war im Konzentrationslager Dachau zur Welt gekommen, am 8. Dezember 1944 im Außenlager Kaufering I.

Warum die SS den kleinen Menschen und sechs weitere Babys nicht tötete, die bis zum 27. Februar 1945 auf die Welt kamen, das weiß bis heute keiner. Eine schier unglaubliche Geschichte.

Von Juni 1944 an entstanden um Landsberg am Lech elf Außenlager des KZ Dachau. Die Häftlinge sollten drei Bunker für die Produktion des Düsenflugzeugs Me262 bauen, einer von Hitlers "Wunderwaffen".

30.000 Häftlinge lebten in den Außenlagern; unter ihnen etwa 4200 Frauen und 850 Kinder. Schwangerschaften oder Geburten waren hier undenkbar. Auch Elisabeta Legmann, die in Cluj (Klausenburg) lebte, wollte kein Kind, als sie kurz nach dem Einmarsch der Nazis bemerkte, dass sie schwanger war - doch ihr Frauenarzt war bereits in ein Durchgangslager verschleppt worden.

Bei vielen anderen Frauen war durch Deportation und Haft die Menstruation ausgeblieben, so dass Schwangere oft erst bei den ersten Bewegungen des Fötus merkten, dass sie ein Kind erwarteten.

So ging es Miriam Rosenthal aus der Südslowakei, die bei Messerschmitt in Augsburg Sklavenarbeit leistete. Als sie im siebenten Monat war, brachten sie zwei SS-Leute nach Kaufering I.

"Schwangerenkommando"

Dort waren zu ihrer großen Überraschung sechs weitere schwangere Jüdinnen, unter ihnen Elisabeta Legmann. Die sieben Frauen bildeten das "Schwangerenkommando" und waren in der Wäscherei eingesetzt.

Zwischen dem 8. Dezember 1944 und dem 27. Februar 1945 kamen in Kaufering I in Landsberg vier Mädchen und drei Jungen auf die Welt. Das erste Kind war Gyuri (Georg) Legmann, das letzte Laci Rosenthal, die heute in Kanada lebt.

Wie viel die Geburt dieser jüdischen Kinder inmitten des Horrors der Lager bedeutete, ist heute nicht mehr zu ermessen. Ganze Jahrgänge jüdischer Kinder waren ausgerottet.

An der Ankunft der sieben Kinder in Kaufering I nahm das ganze Lager Anteil. Ibi Ginsburg, eine ungarische Überlebende, erinnert sich: "In Kaufering wurde beim Appell immer angegeben, wie viele Tote es gab. Und eines Tages hieß es: ein Zugang. So wussten wir, dass ein Kind geboren worden war. Es war wirklich etwas Wunderbares."

Die Mütter und Kinder hausten in unbeheizten Erdhütten; Fleckfieber und Typhus grassierten. Ende April 1945, bei der Räumung des Lagers, wurden die sieben Frauen mit ihren Kindern in einen Güterwaggon verladen, der in einen alliierten Fliegerangriff geriet.

Aber sie erreichten Dachau, wo im letzten Zählappell vom 29.April 1945 die Frauen und ihre Kinder ausdrücklich erwähnt sind. Nach Kriegsende fand die Familie Legmann wieder zusammen; 1960 emigrierte sie nach Brasilien, wo Georg Legmann Marketingdirektor bei Sandoz war.

Vor zwanzig Jahren kam er nach Lindau, "ein Arbeitskollege hat mir damals angeboten, mit mir nach Landsberg zu fahren. Wir saßen schon im Auto, und ich sagte: Nein". Jetzt besucht Georg Legmann mit seiner Frau Landsberg und Dachau - wo er geboren und befreit wurde.

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