KZ Auschwitz:Ehemaliger SS-Unterscharführer Z. muss vor Gericht

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Unterscharführer Hubert Zafke in seiner SS-Uniform (Foto: Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau)
  • Die Staatsanwaltschaft Schwerin wirft dem ehemaligen SS-Mann Hubert Z. vor, 1944 im KZ Auschwitz Beihilfe geleistet zu haben bei der Ermordung von mehreren Tausend Häftlingen.
  • Der Unterscharführer war als SS-Sanitäter in dem Vernichtungslager eingesetzt. Z. meint, er habe seine Schuld durch vier Jahre Gefängnis in Polen "abgetragen".
  • Ein neues Gutachten sieht den heute 95-Jährigen eingeschränkt verhandlungsfähig. Der Anwalt von Z. erklärt, sein Mandant sei gesundheitlich zu angeschlagen für den Prozess.

Von Oliver Das Gupta

Hubert Z. ist in diesen Tagen schwer zu erreichen. Der Telefonanschluss des 95-Jährigen funktioniert nicht mehr. Vor einigen Monaten redete Z. noch, mit Journalisten und mit der Staatsanwaltschaft.

Der vierfache Vater sprach über seinen Dienst als Sanitäter in SS-Uniform im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Mal sagte er angeblich, er habe vom Schicksal der Häftlinge nichts mitbekommen. Mal gab er zu, gewusst zu haben, dass in Auschwitz industriell Menschen vernichtet wurden.

Nun wird dem ehemaligen SS-Unterscharführer doch noch der Prozess gemacht - und das ist bemerkenswert.

Denn die Sache nimmt damit eine Wendung mit einer interessanten Note. Nach einem Hinweis der Zentralen Stelle für die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts in Ludwigsburg wurde die Staatsanwaltschaft Schwerin tätig. Im Februar erhob sie Anklage gegen Z. wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 3681 Fällen.

Rüge der Staatsanwaltschaft für Kollegen

Die Polizei rückte in Z.s Wohnort ein - einem Dorf mit wenigen Hundert Einwohnern - und nahm ihn fest. Wenige Tage dauerte seine Untersuchungshaft. Neonazis sorgten sich um den Witwer und riefen im Internet dazu auf, ihn im Gefängnis zu kontaktieren.

Im Frühjahr beschloss das zuständige Landgericht Neubrandenburg, den Prozess nicht zu eröffnen - und verwies auf den Gesundheitszustand des Mannes. Die Entscheidung löste in Schwerin Kopfschütteln aus, die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Die Ankläger rügten "Mängel des amtsärztlichen Gutachtens" der Neubrandenburger Justiz. Das Oberlandesgericht Rostock ließ den Zustand des früheren SS-Mannes prüfen - und gab den Schwerinern recht. Der Prozess sei trotz des Alters verantwortbar.

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Der Sachverständige attestierte dem Rentner "eine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit". Man werde die Verhandlungsführung entsprechend anpassen, das bedeutet: Es gibt mehr Pausen, es gibt ärztliche Betreuung, Fragen werden wiederholt.

Z.s Anwalt Peter-Michael Diestel kritisierte die Entscheidung mit einem ausführlichen Schreiben, das der SZ vorliegt. Sein Mandant leide unter kognitiven Einbußen, einem dementiellen Syndrom und einer "depressiven Symptomatik". Diestel, einst letzter Innenminister der DDR, sieht die "Menschenwürde des Angeschuldigten" verletzt. Ein Strafverfahren sei kein historisches Aufarbeitungsinstrument, behauptete er.

Wenn sich der Anwalt da mal nicht irrt. Denn Z. könnte sicherlich einiges erzählen. Der Bauernsohn aus Pommern war 1940 zur Waffen-SS gekommen und soll in mehreren Konzentrationslagern eingesetzt worden sein, darunter auch in Dachau. Die Strafverfolger ermitteln jedoch zu den vier Wochen des Spätsommers 1944, die Z. nachweislich in Birkenau verbracht hat.

Anders als die beiden anderen KZ in Auschwitz - das Stammlager und das Zwangsarbeiterlager Monowitz - war Birkenau einzig als Mordfabrik konzipiert. Dort wurden viele Hunderttausende in Gaskammern getötet, dort wurden die Leichen in Krematorien verbrannt ( hier ein Zeitzeugen-Protokoll). Bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 wurden dort mindestens 1,1 Millionen Häftlinge ermordet.

Im Spätsommer 1944, als Z. dort Dienst tat, waren 14 Transporte aus ganz Europa angekommen, aus Österreich und Griechenland, aus Frankreich und den Niederlanden. Unter den Deportierten waren auch die Tagebuch-Autorin Anne Frank und ihre Familie.

Gleich nach der Ankunft "selektierte" die SS die meist jüdischen Gefangenen: Alte und kranke Menschen, schwangere Frauen und Kinder wurden in die nahen Gaskammern geschickt. "Arbeitsfähige" wurden in andere Lager gebracht und als Sklaven ausgebeutet. Viele wurden später ermordet oder starben an Erschöpfung und Krankheiten, wie es bei Anne Frank der Fall war.

Ankunft in der Hölle: Deportierte Juden an der Rampe im KZ Auschwitz 1944. Wenig später wurden die Menschen von der SS "selektiert" - und Alte, Schwache und Kinder in die Gaskammern geschickt. (Foto: SCHERL)

Hubert Z. war im Spätsommer 1944 zur SS-Sanitätsstaffel in Birkenau abkommandiert. Er soll im SS-Lazarett tätig gewesen sein, heißt es. Die SS-Sanitätsdienstgrade waren in den Konzentrationslagern den Lagerärzten unterstellt. Sie fungierten als Hilfspersonal mitunter auch in den Krankenrevieren für Häftlinge. Dort ermordeten sie Gefangene mit Phenol-Injektionen ( hier ein Interview des SS-Sanitäters Josef Klehr im Spiegel).

Die Staatsanwaltschaft wirft Z. nicht vor, Menschen eigenhändig ermordet zu haben. Eine direkte Tatbeteiligung ist nicht nachzuweisen. Wohl aber half er - wie jeder SS-Mann in Birkenau - wissend und willig indirekt mit am Genozid an den europäischen Juden. Z. habe sich "in die Lagerorganisation unterstützend eingefügt", schreibt die Staatsanwaltschaft. Der damalige Unterscharführer wirkte "funktionell an dem einheitlichen Vernichtungsgeschehen" mit.

Andere Rechtslage seit dem Demjanjuk-Prozess

Jahrzehntelang gingen viele NS-Helfer straffrei aus, weil ihnen keine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnten. Doch nun ist das anders. Seit dem Münchner Prozess gegen den SS-Helfer John Demjanjuk gilt eine neue Sicht. Demjanjuk wurde - er starb, bevor das Urteil rechtskräftig wurde - schuldig gesprochen wegen Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Sobibor. Die Rechtslage war damit geändert, alle Helfer der Mordmaschinerie können nun belangt werden.

Die Ausgangslage im Fall Z. ähnelt der von Oskar Gröning, dem im Sommer in Lüneburg der Prozess gemacht worden war. Gröning war wie Z. SS-Unterscharführer - ein Rang, der mit dem eines Unteroffiziers vergleichbar ist - und fungierte meist als Buchhalter in Auschwitz.

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Er wurde wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300 000 Fällen im Juli zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Es ist noch unklar, ob er ins Gefängnis muss. Die Revision läuft.

Gröning schilderte im Prozess mitunter offen das Geschehen in Auschwitz. Er sprach auch von eigener Schuld.

Dass sich Hubert Z. ähnlich verhält, ist unwahrscheinlich. Nach dem Krieg war er in Krakau wegen seiner SS-Zugehörigkeit zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Auch deshalb soll er sich nun ungerecht behandelt fühlen. Er habe in Polen auf dem Bau arbeiten müssen, sagte Z. im März der SuperIllu: "Damit habe ich meine Schuld abgetragen."

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