Kuwait:Im Schatten der Villen

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Die staatenlose Bewohner von Kuwait gehen schon seit Jahren für mehr Rechte auf die Straßen. Manche tragen trotz ihres Frusts Flaggen des Emirats. (Foto: Yasser Al-Zayyat/AFP)

Ohne Papiere, ohne Recht, ohne Perspektive - das ist die Situation der Bidoun in Kuwait. Nun demonstrieren sie für Anerkennung. Doch das reiche Emirat kommt ihnen kaum entgegen.

Von Dunja Ramadan, Kuwait

Umm Badr krempelt die Ärmel ihres schwarzen Umhangs hoch. "Da!", sie zeigt auf eine Narbe in der Größe eines Centstücks auf ihrem Arm. Das Geräusch, als der irakische Soldat die glühende Zigarette in ihr Fleisch drückte, hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Sie hat vier von diesen Narben, eine am Oberschenkel und zwei an Stellen, die sie nur flüsternd nennt, obwohl sonst niemand im Raum ist. Selbst wenn sie vergessen wolle, was sie alles für Kuwait geopfert habe, ihr Körper erinnere sie täglich an den Oktober 1990.

Damals, wenige Monate nach dem Einmarsch der irakischen Truppen ins Nachbarland Kuwait, war sie Mitte dreißig. Sie verteilte während des Krieges heimlich Flugblätter gegen die Besatzer - und wurde erwischt. Sie verlor ihr ungeborenes Kind, als sie gefoltert wurde. "Aber Gott liebt mich", sagt sie heute. "Ich verlor so viel Blut, dass die Soldaten mich nicht anfassen wollten." Tränen sammeln sich in den Ecken ihres Gesichtsschleiers.

Als die Welt im August 1990 vom Beginn des zweiten Golfkriegs erfuhr, standen die Panzer des irakischen Machthabers Saddam Hussein bereits auf der Corniche von Kuwait-Stadt. Nach dem fast acht Jahre andauernden Krieg gegen Iran war der Irak hoch verschuldet und hatte es auf die Öleinnahmen des benachbarten Kleinstaats abgesehen. Die kuwaitische Herrscherfamilie um Scheich Jaber al-Ahmed al-Sabah setzte sich bereits im Morgengrauen ins saudische Exil ab. Doch Umm Badr blieb und leistete Widerstand.

Vor den Villen der Kuwaiter parken Sportwagen - Bidoun wohnen in Containern

Heute lebt sie in einer Blechhütte in einem der Elendsviertel westlich von Kuwait-Stadt. Die 65-Jährige gehört zu den mittlerweile etwa 200 000 Bidoun im Wüstenstaat: Staatenlose, deren Name auch ihren Zustand beschreibt. Bidoun bedeutet im Arabischen "ohne" - die Menschen leben ohne Papiere, ohne Recht auf Bildung oder Gesundheitsversorgung, ohne sicheren Arbeitsplatz. Und vor allem auch: ohne jegliche Perspektive.

Die meisten Bidoun wohnen nur wenige Kilometer westlich von Kuwait-Stadt, wo die Menschen gern deutsche Sportwagen vor sandfarbenen Privatvillen parken, wo die Eisengitter so hoch sind, dass man keinen Blick ins Innere der Häuser erhaschen kann. Bei den Bidoun hingegen drängt sich ein Blechcontainer an den nächsten. Die Sonne prallt auf die zusammengeschusterten Dächer, die so eng beieinanderstehen, dass man von einem aufs das nächste springen könnte. Schwarze Graffiti ziehen sich durch die Siedlung, nur wenige ohne Rechtschreibfehler. Sprüche wie "Warte ab, ich werde mein Leben neu beginnen und dich zum Fremden machen, so wie ich es anfangs war" oder "Wo ist diese Liebe und ein fürsorgliches Herz?". Nur vereinzelt wehen kuwaitische Flaggen auf den Blechhütten. Ein Bekenntnis zu einem Staat, der Teile seiner Bewohner nicht anerkennt - und sie am liebsten gar nicht erst im Land hätte.

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Ausgerechnet in Kuwait, das wegen seines Ölreichtums zu einem der wohlhabendsten Länder der Erde gehört. Das jedem frisch verheirateten Paar ein günstiges Grundstück bereitstellt, einen Großteil der laufenden Energiekosten übernimmt und jedem seiner eine Million Bürger kostenlose Gesundheitsversorgung stellt sowie die Schul- und Universitätsbildung bezahlt.

Man wolle das Problem der "illegalen Einwohner" bis zum Ende des Sommers lösen

Von so einem Leben konnte Ayed Hamad Moudath nur träumen. Der 20-jährige Bidoun kam nach erfolglosen Behördengängen so verzweifelt nach Hause, dass er sich vergangenen Juli in seinem Zimmer erhängte. Damit reanimierte er eine Debatte in Kuwait, die das Land schon einmal geführt hat: Wütende Bidoun zogen auf den Hurriya-Midan, den "Freiheitsplatz", ein sandiger Parkplatz, nahe den Blechhütten der Kleinstadt Taimaa. Das Schicksal der Bidoun, die 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings erstmals aufbegehrten, war zurück in den Schlagzeilen. Der Sprecher der kuwaitischen Nationalversammlung, Marzouq al-Ghanim, gab daraufhin bekannt, man wolle das Problem der "illegalen Einwohner" bis zum Ende des Sommers lösen. Aus Regierungskreisen ist von einer symbolischen Anzahl an Einbürgerungen zu hören.

Hadeel Buqrais kann darüber nur den Kopf schütten. Die 38-Jährige dokumentiert Menschenrechtsverletzungen der Regierung. Sie sitzt in einem menschenleeren, eiskalten Café. Ihre Staatsbürgerschaft schützt sie vor einer Verhaftung, aber verwarnt wurde sie schon etliche Male. Sie erwartet sich nicht viel von den Versprechungen. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich das Leben der Bidoun immer weiter verschlechtert, sagt sie.

Nachdem Kuwait 1961 die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangt hatte, etablierte die Herrscherfamilie Sabah ein Nationalstaatsgesetz, für das sich die Einwohner innerhalb von zwei Jahren registrieren lassen mussten. Das Problem: Viele waren Beduinen, sie lebten da, wo ihre Viehherden grasten. Sie beantragten keine Papiere, manche hielten es nicht für nötig, konnten sie doch weder schreiben noch lesen. Andere bekamen es wegen ihres abgeschiedenen Wohnorts wohl nicht mit. Wieder andere sollen Jahre später aus den Nachbarländern wie dem Irak oder Iran eingewandert seien, wähnten sie doch die vielen Vorteile, die ein Leben in dem ölreichen Land so mit sich brachten. In Kuwait werfen viele Menschen den Bidoun bis heute vor, ihre ursprünglichen Pässe zerrissen zu haben, um diese Annehmlichkeiten zu genießen. Buqrais kann diesen Vorwurf nicht verstehen. Ihre Vorfahren kämen aus der Türkei und aus Iran - die gesamte Region habe Wanderbewegungen erlebt. Sie habe nur Glück gehabt, dass ihre Vorfahren sich registrieren ließen.

Bis 1986 hatten viele Bidoun Arbeit beim Staat - dann wurde ihnen ihr Status entzogen

Bis 1986 arbeitete die Mehrheit der Bidoun noch als Sicherheitskräfte, in Armee und Polizei. Doch 1987 änderte die Regierung ihren Status von "nicht registriert" zu "illegalen Einwanderern", entzog ihnen alle Rechte. Eingepfercht zwischen Iran und dem Irak, die gegeneinander Krieg führten, war die Sorge vor einer schiitischen Übermacht nach der Islamischen Revolution 1979 im Kleinstaat groß. Rund 80 Prozent der Bidoun sind Schiiten.

Die Geschichte der Bidoun ist allerdings keine rein kuwaitische. Auf der arabischen Halbinsel führte die Entdeckung der Ölfelder zu einer schnellen Verstädterung, zum plötzlichen Wohlstand von Gesellschaften, die gerade noch von den Unsicherheiten des Beduinenlebens geprägt waren. In den Vereinigten Arabischen Emiraten etwa lebten vor 2008 noch mehrere Zehntausend Bidoun. Um sie von den großzügigen Sozialleistungen auszuschließen, die eine Staatsbürgerschaft mit sich bringen würde, zahlten die Emirate der komorischen Regierung Hunderte Millionen Euro für die Ausstellung von Pässen. Die Komoren sind ein armer Inselstaat vor der ostafrikanischen Küste. Die Emirate konnten so behaupten, das Problem der Staatenlosen bei sich gelöst zu haben. Weltweit sind etwa zehn Millionen Menschen ohne Pass, die Vereinten Nationen wollten dies bis 2024 geändert haben.

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Umm Badr hat keine Hoffnung mehr. "Ich will einfach nur hier raus", sagt sie und greift nach ihrem Gehstock. Sie könne nicht sterben in dem Wissen, dass ihre Kinder dieses Leben weiterführen müssen. "Wir leben in so einem reichen Land. Und ich sage: Ich will euer Geld nicht, aber ich will meine Würde zurück."

© SZ vom 17.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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