Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Das Virus im Auto

Nach der Reisewarnung für Kroatien stellt sich die Frage, ob sich die Austria-First-Politik von Sebastian Kurz rächen wird.

Von Felix Haselsteiner

Am Sonntag fuhr ich ein kleines Autorennen gegen die Zeit. Um halb zwölf in der Nacht hetzte ich den Plöckenpass hinauf, der Italien mit Österreich verbindet. Normalerweise ist das eine sehr schöne Route über die Passstraße. Erst durch kleine, recht verlassene italienische Dörfer, dann durch Kötschach-Mauthen in Kärnten, eine kleine Stadt, die als Heimat eines Käsefestivals bekannt ist, für das an der Ortseinfahrt im Herbst immer ein großes Plakat wirbt.

Dieses Mal hatte ich nicht allzu viel übrig für Kärnter Kas. Ich musste mich sputen, um auf dem Rückweg aus meinem vorzeitig abgebrochenen Urlaub in Kroatien vor der ersten Minute der neuen Woche über die Grenze zu kommen.

Denn von Montag, 00.01 Uhr, an hätte ich mich auf Corona testen lassen müssen, hätte bis zum Ergebnis in Quarantäne verweilen müssen - und darauf kann ich gerne verzichten (ins Büro gegangen bin ich diese Woche trotzdem nicht, sondern habe von zu Hause gearbeitet, sicher ist sicher).

Am Plöckenpass angekommen (23.48 Uhr!) erwartete mich jedenfalls das Bild, das ich dort glücklicherweise seit Jahren kenne: eine völlig unbewachte Grenze, keine Kontrolle zu sehen. Friedlich lag der Santa Croce, wie die Italiener den Passsattel nennen, da. An anderen Grenzübergängen, meldete Ö3 in seinen Nachrichten um Mitternacht, müsste man mit Wartezeiten von bis zu drei Stunden rechnen, mitten in der Nacht.

Das alles verdeutlicht den Grenzirrsinn, der sich derzeit in Europa, vor allem aber in Österreich abspielt: Auf der einen Seite großer Aufwand und Stau, auf der anderen eine EU-Grenze, so wie sie sein sollte: offen. Grenzpolitik ist in Pandemie-Zeiten offiziell Schutzpolitik, in Wahrheit aber vor allem eins: eine große, ineffiziente, europafeindliche Show.

"Das Virus kommt mit dem Auto nach Österreich", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz in Zusammenhang mit der Reisewarnung für Kroatien. Er verkennt damit die Realität, denn das Virus ist in Österreich, mindestens seit März - und es wird vorerst bleiben.

Wo das Virus hingegen bis vor einigen Monaten kaum zu finden war? Im heute verteufelten Kroatien, dem Partyland, das gar keines ist, sondern in dem Österreicher vor allem zum Campen fahren. Die Kroaten, die ein Viertel ihres BIP aus dem Tourismus generieren, konnten es sich nicht leisten, die Sommersaison abzusagen und öffneten sich als eines der ersten Länder in Europa wieder für Urlauber. Erst mit den Touristen kam das Virus nach Kroatien. Corona fuhr also, um Kurz' Metapher richtigzustellen, mit dem Auto in den Urlaub und kam dann mit dem Auto wieder zurück.

Natürlich werden sich unter den Rückkehrern aus Kroatien Corona-Infizierte finden, auch deshalb ist das Gratis-Test-Programm der Bundesregierung sinnvoll und notwendig. Lesen Sie in der Übersicht von meiner Kollegin Eva Dignös, was Kroatien-Urlauber nun wissen müssen.

Aber hätte man dafür ein EU-Mitgliedsland, das historisch ein enges Verhältnis zu Österreich hat, derart vor den Kopf stoßen müssen?

Hätte man nicht zum Beispiel bilateral Gespräche führen können, um eine effizientere Übersicht zu bekommen über die Österreicher, die derzeit in Kroatien sind - oder sogar an die kroatische Regierung herantreten und sie um eine leichte Verschärfung der Corona-Regeln im Land bitten können? Oder nur eine Reisewarnung für besonders betroffene Regionen aussprechen können, so wie es Deutschland gemacht hat?

Möglicherweise hat der Kanzler vergessen, dass Österreich im selben Boot wie Kroatien sitzt

Das wäre eine europäische Lösung gewesen, eine, wie sie einem modernen Staatenbund gut gestanden hätte. Österreich könnte allein aufgrund seiner geografischen Lage eine entscheidende Rolle in einer konzertierten europäischen Reaktion auf die Pandemie sein. Stattdessen hat sich Kurz mal wieder dafür entschieden, ein Vorbild für (scheinbare) Härte, Entschlossenheit und ein striktes "Austria first" zu sein.

Möglicherweise hat er dabei vergessen, dass Österreich im selben Boot wie Kroatien sitzt. Denn keine Alpenrepublik kann es sich leisten, auf die internationalen Gäste zu verzichten, sei es im Sommer oder im Winter. Aktuell meldet Österreich 2.772 aktive Fälle, an diesem Donnerstag erhöhte sich die Zahl um weitere 301 Fälle. Von Samstag an müssen sich Reisende aus Österreich in Großbritannien für 14 Tage, in Norwegen für zehn Tage in Selbstisolation begeben.

Wenn weitere Länder im Winter Reisewarnungen für Österreich verhängen sollten, das Partyland, das eigentlich keines ist, sondern in dem die meisten vor allem friedlich Ski fahren möchten, dann wird Kurz womöglich die Rechnung für seine kurzsichtige Austria-first-Politik im Sommer bezahlen müssen.

Diese Kolumne ist zuerst am 21. August 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2020/odg
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