Süddeutsche Zeitung

Kurz im Ibiza-U-Ausschuss:"Jetzt platzt mir gleich der Kragen"

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Österreichs Kanzler Sebastian Kurz muss als Zeuge die Rolle seiner Partei in der Ibiza-Affäre erörtern - und sich dabei so manchen Angriff der Opposition gefallen lassen.

Von Leila Al-Serori, Wien

Sebastian Kurz holt Luft und setzt zu einer langen Erklärung an, als ihn die Opposition wieder unterbricht. Der österreichische Kanzler ist sichtlich irritiert, blickt auf seine Notizen, setzt noch einmal an, sagt dann in deutlich lauterem Ton. "Das ist eine Unterstellung. Ich bin Bundeskanzler und nicht Erziehungsberechtigter."

Es ist Woche vier im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsauschuss, der sich mit den Korruptionsaffären beschäftigt, die infolge der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 durch SZ und Spiegel ans Licht kamen. Anfang Juni musste bereits der frühere FPÖ-Vizekanzler und Ibiza-Hauptdarsteller Heinz-Christian Strache Rede und Antwort stehen, berief sich aber die meiste Zeit als Beschuldigter, gegen den mehrere Strafverfahren laufen, auf sein Recht auf Aussageverweigerung. Nun ist Kanzler Kurz geladen. Er muss sich vor allem von den Abgeordneten der oppositionellen Sozialdemokraten und liberalen Neos grillen lassen, sich immer und immer wieder fragen lassen, wie viel er von den Umtrieben seines Koalitionspartners FPÖ wusste, wie groß die Verantwortung seiner ÖVP in den Affären rund um Postengeschacher und Parteispenden war. Nach der Veröffentlichung des Videos hat Kurz Neuwahlen ausgerufen und die Distanz zum früheren Koalitionspartner gesucht. Strache selbst trat von allen Posten zurück.

Einige Spuren führen von Ibiza aber auch zur Partei von Sebastian Kurz. Am brisantesten dabei ist die Casinos-Austria-Affäre, die im Zuge der Ermittlungen in der Causa Ibiza ans Licht kam. Es geht um mögliche Gegenleistungen für die Berufung eines FPÖ-Politikers in den Vorstand des Glücksspielunternehmens. Die Opposition vermutet jedenfalls, dass Kurz von vielen Vorgängen wusste. Die ÖVP hat mehrfach erklärt, an unsauberen Vorgängen bei der FPÖ nicht beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Amtsmissbrauchs allerdings auch gegen Ex-ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger, der die Vorwürfe bestreitet.

Er sei nicht überall eingeweiht gewesen, in Österreich habe der Kanzler keine Richtlinienkompetenz, er wisse nicht über jede Entscheidung seiner Minister im Vorfeld Bescheid, erklärt Kurz wiederholt. Und als die liberalen Neos nicht lockerlassen, fragt er in etwas gedämpften Ton den Verfahrensanwalt: "Muss ich mir das gefallen lassen?"

Als ihn auch ein FPÖ-Abgeordneter im Ausschuss scharf kritisiert, schießt Kurz zurück: "Jetzt platzt mir gleich der Kragen. Es war Ihre Partei, die verantwortlich ist, dass es jetzt mehrere Strafverfahren gegen Politiker in diesem Land gibt." Die ÖVP habe sich an solchen Machenschaften nicht beteiligt und damit nichts zu tun. "Ich war nicht in Ibiza."

Die Opposition erhebt aber auch den Vorwurf, dass die ÖVP die Aufarbeitung behindere. So würden Unterlagen den Kanzler betreffend in den Akten für den Untersuchungsausschuss fehlen, mehrere Schlampereien bei den Ermittlungen seien womöglich politischen Interventionen geschuldet, so die schwerwiegenden Vorwürfe.

Die Abgeordneten fordern deshalb wiederholt vom Kanzler die Offenlegung sämtlicher relevanter Kalendereinträge, Akten und Kommunikationsverläufe. Es würden große Teile der Kommunikation fehlen, vor allem der Terminkalender liege nicht vor, was nicht schlüssig wirke. Alles Relevante an Unterlagen sei vorgelegt worden, der Rest "Privatsache", sagt Kurz. Ein etwaiger Nachrichtenaustausch mit dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Strache existiere nicht mehr. "Die kann ich nicht offenlegen, weil ich nicht im Besitz dieser Nachrichten bin", so Kurz. Er selbst oder Mitarbeiter löschten seine Nachrichten regelmäßig. Kurz bestätigt aber, dass er wohl Tausende SMS von Strache erhalten habe.

Der ÖVP-Abgeordnete im Ausschuss rückt zur Verteidigung des Kanzlers aus: Wenn der Kanzler sage, es sei alles Relevante vorgelegt worden, so sei das so anzunehmen.

Der Kanzler ist im Ibiza-Strafverfahren, das parallel läuft, kein Beschuldigter wie Heinz-Christian Strache - er kann also nicht seine Aussage verweigern und muss wahrheitsgemäß auf die Fragen der Abgeordneten antworten. Ähnlich wie bei Gericht drohen bei Falschaussage Geldstrafen oder bis zu drei Jahre Haft.

Kurz gibt daher ausführlich Antwort, wenn auch zeitweise sichtlich genervt, erklärt aber auch sein Unwissen in vielen Fragen. Der Kanzler betont ein grundsätzliches Unverständnis, warum viele normale Vorgänge im Zuge der Debatte nun kriminalisiert würden. Koalitionen müssten unzählige Postenbesetzungen beschließen, natürlich würde man sich da etwaige Posten aufteilen, um im Ministerrat einstimmige Beschlüsse zu bekommen.

Auch die Parteispenden an sich seien ja nicht verboten gewesen bis zur Gesetzesreform vergangenes Jahr. Die Frage, ob auch die ÖVP vom Glücksspielkonzern Novomatic, wie Strache auf Ibiza behauptete, Parteispenden bekommen habe, verneint der ÖVP-Chef. Aus grundsätzlichen Erwägungen nehme seine Partei aus bestimmten Bereichen wie Glücksspiel oder Waffenproduktion kein Geld an.

Der im Januar eingesetzte "Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss)", so der offizielle Titel, hatte Anfang Juni seine Arbeit aufgenommen und soll noch mehrere Wochen laufen. Seit Start wurden mehrere neue Vorwürfe bekannt, über die Medien werden regelmäßig neue Anschuldigungen publiziert. Fragwürdige Vorgänge gab es vor allem um das Video, das alles auslöste und von der SZ aus Gründen des Quellenschutzes und medienrechtlichen Überlegungen nicht komplett publiziert wurde. Mitte Mai verkündeten die Ermittler der Soko Tape, die dem ÖVP-Innenministerium unterstellt ist, das Ibiza-Videomaterial beschlagnahmt zu haben. Justiz und Untersuchungsausschuss erfuhren davon aus den Medien. Die Opposition erhob daraufhin den Vorwurf, dass hier mit Absicht etwas zurückgehalten werde. Mittlerweile liegt das Video bei der Staatsanwaltschaft, anschließend wird es an den Ausschuss weitergegeben.

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