Kurt Biedenkopf wird 80:Der kleine Leuchtturm

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Politischer Professor und Ex-König von Sachsen: Zum 80. Geburtstag von Kurt Biedenkopf, der mit sprühender Intellektualität und glänzenden Analysen die deutsche Politik verändert hat.

Heribert Prantl

Es war ein schöner Festtag im Juni des vergangenen Jahres. Kurt Biedenkopf, 79-jährig und wie immer die Würde in Person, stand auf der Bühne des Nationaltheaters zu Weimar.

Klüger und besser als die meisten anderen: Kurt Biedenkopf machte die CDU-Parteizentrale zur Denkfabrik und wurde eine der wichtigsten Symbolfiguren beim Zusammenwachsen von Ost und West. (Foto: Foto: Getty Images)

Als Präsident der Deutschen Nationalstiftung verlieh er den Nationalpreis an drei deutsche Dichter, unter anderem an Monika Maron. Aber irgendwie stand Biedenkopf an diesem Festtag neben sich. Er fand die goldenen Worte nicht, die ihm sonst so mühelos zu Gebote stehen. Und als er anhob, das Werk von Maron zu preisen, geriet er ganz außer Takt.

"Flugasche" heißt Monika Marons Roman von 1981. Das Buch spielt in Bitterfeld, der Chemie-Kloake der DDR, wo damals Gift und Kohle den Himmel verfinsterten. 180 Tonnen Flugasche regnete es hier täglich.

Biedenkopf nahm dies selbstredend als Exempel für die Natur- und Menschenverachtung des DDR-Regimes - nur dass er nicht von "Bitterfeld", sondern immerfort von "Bielefeld" sprach. Er sprach von "Bielefeld als dem einst dreckigsten Ort Europas", von "Bielefeld als Symbol und Exempel der Düsternis der DDR" - solange, bis das irritierte Publikum ihn endlich korrigierte.

Aber in so einer kleinen Peinlichkeit zeigt sich, was Souveränität ist: Biedenkopf nahm sich selbst auf den Arm und kokettierte über sich als Laudator: "Meine Damen und Herren, Sie sehen mich von der Größe der Aufgabe überfordert."

Das war der selbstironische rhetorische Reflex eines Mannes, der sich dessen gewiss ist, dass er sein Leben lang von nichts überfordert war, im Gegenteil. Von Beginn seiner politischen Karriere an stach er heraus, weil er klüger und besser war als die meisten anderen (und manchmal hat er das die anderen auch spüren lassen).

Biedenkopf war und ist ein glänzender Analytiker. Er musste nicht Politiker werden, um etwas zu sein; als er Politiker wurde, war er schon wer. Helmut Kohl berief ihn 1973 zum Generalsekretär der CDU.

Da war Biedenkopf 43 Jahre alt und hatte schon eine glänzende Karriere in Wissenschaft und Wirtschaft hinter sich: Studium der politischen Wissenschaften, der Rechtswissenschaft und der Volkswirtschaft unter anderem in den USA; mit 34 war er Ordinarius für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Ruhr-Universität in Bochum geworden, mit 37 war er dort der jüngste Hochschulrektor in Deutschland. Dann wechselte er in die Industrie und wurde Geschäftsführer beim Henkel-Konzern.

Als Generalsekretär der CDU brachte er einen neuen Tonfall in die Politik. An die Stelle von Behäbigkeit trat nun sprühende Intellektualität, die alten politischen Sprüche der Nachkriegszeit wurden entsorgt und die Partei wurde erfasst von einem "terminologischen Staunen". So formuliert das Norbert Blüm, der Sozialpolitiker, der in der CDU jahrzehntelang der Antagonist des Wirtschaftsliberalen Kurt Biedenkopf war.

Kurt Biedenkopf
:"König Kurt" I. von Sachsen

Als Ministerpräsident von Sachsen leistete er nach der Wende Pionierarbeit - jetzt wird Kurt Biedenkopf 80. Für den CDU-Politiker mit Pfeife scheint noch lange kein Ruhestand in Sicht. Eine Karriere

in Bildern.

Biedenkopf machte die CDU-Parteizentrale zur Denkfabrik, die dann nach vier Jahren vom neuen Generalsekretär Heiner Geißler ausgebaut wurde. Es war die Zeit der großen Innovation der CDU. Biedenkopf hat sie begonnen. Er hat sich für Kohl in die Bresche geworfen, deswegen Konflikte mit Strauß und der CSU riskiert, geriet aber dann aufgrund zu großer Selbständigkeit in Konflikte mit Kohl.

Strauß hat seine Bewunderung für Biedenkopf hinter losen Sprüchen versteckt: Dem "Bürscherl" hätte man "rechtzeitig Kunstdünger in die Schuhe schütten müssen", meinte er einmal. Dass da einer als noch klüger galt als er, vertrug Strauß nicht gut.

Biedenkopf schrieb zusammen mit Geißler und Richard von Weizsäcker das neue CDU-Programm (das beste, das die CDU je hatte), er war der Architekt der paritätischen Mitbestimmung, die unter dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt Gesetz wurde - Aufsichtsräte werden zu gleichen Teilen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt, im Streitfall hat der Vorsitzende, ein Arbeitgebermann, eine zweite Stimme. Auf diese Lösung, die Leistung von 1976, ist Biedenkopf heute noch stolz.

Sein Versuch, in der nordrhein-westfälischen Landespolitik Fuß zu fassen, klappte nicht so recht, er fand nicht zu der Rustikalität, die man an Rhein und Ruhr braucht. Seine zweite große Chance fand Biedenkopf im Osten: Er war keiner der Politiker, die erst nach der Einheit einschwebten, er lehrte schon ab dem Frühjahr 1990 an der Leipziger Karl-Marx-Universität Wirtschaftspolitik - er war der erste westdeutsche Professor, der "drüben" eine Antrittsvorlesung hielt.

Das waren gute Voraussetzungen für das, was Biedenkopf dann wurde: von 1990 bis 2002 war er der "König von Sachsen", der immer wieder mit Traummehrheiten gewählte Ministerpräsident.

Politischer Professor par excellence

Er wurde eine der wichtigsten Symbolfiguren beim Zusammenwachsen von Ost und West, machte aus Sachsen ein kleines Wirtschafswunderland, er reüssierte mit seiner "Leuchtturmpolitik", deren Konzept es ist, sich bei der Wirtschaftsförderung auf einige wenige zukunftsorientierte Branchen zu konzentrieren. Sein aristokratisches Auftreten, das er zusammen mit seiner Frau Ingrid kultivierte, trug ihm freilich zuletzt auch einige Häme ein - und trug zu seinem Sturz bei.

Biedenkopf und Heiner Geißler gehören zu den wenigen Großpolitikern der CDU, die Juliane Weber nie einen Elefanten geschenkt haben. Juliane Weber, die mächtige Bürochefin von Helmut Kohl, hat Porzellantiere gesammelt und auf ihrem Schreibtisch aufgestellt. Sie galten als Eintrittsgeld in die Gunst des Chefs.

"Günstling" war freilich das Letzte, was Biedenkopf und Geißler sein wollten. Sie waren und sind selber Solitäre. Biedenkopf, Geißler, Kohl: Die ersteren verbindet heute mit letzterem vor allem das Alter, sehr viel mehr nicht; alle drei werden in diesen Wochen achtzig. Kurt Biedenkopf ist der Erste: Er feiert an diesem Donnerstag, ganz bei und zu Recht zufrieden mit sich, seinen 80. Geburtstag. Er ist politischer Professor par excellence.

© SZ vom 28.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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