Kurdische Eltern:Sie wollen Frieden - und ihre Kinder zurück

Kurdische Eltern: Emanzipation oder Zwang? Eine junge Frau bei einer Kampftruppe der kurdischen Separatisten.

Emanzipation oder Zwang? Eine junge Frau bei einer Kampftruppe der kurdischen Separatisten.

(Foto: AFP)

"Fünfzehnjährige können keine politische Meinung haben": Mütter und Väter werfen der kurdischen Separatistenpartei PKK vor, gewaltsam junge Kämpfer zu rekrutieren. Nicht nur in der Türkei. Damit bringen sie auch Regierungschef Erdoğan in die Bredouille.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Halil Alptekin spielte gern Fußball, vielleicht wurde ihm das zum Verhängnis. Der junge Kurde trägt nun keinen Spielerdress mehr, sondern eine feldgrüne Guerillakluft und befindet sich irgendwo in den irakisch-kurdischen Bergen. Wo genau, das wüsste seine Mutter Fahriye gern. "Gebt mir mein Kind wieder!", fordert sie und wirft der kurdischen Separatistenpartei PKK vor, ihren Sohn aus dem belgischen Antwerpen entführt zu haben.

Fahriye Alptekin sprach jetzt mit CNN Türk und brach damit ein Tabu. Denn die PKK ist eine mächtige militante Organisation, deren Arme weit über die Türkei und den Nahen Osten hinausreichen, bis ins alle Staaten Europas, wo Kurden leben. Der Club, in dem der junge Alptekin kickte, trug den kurdischen Namen Roj (Sonne). Als er eines Tages nicht nach Hause kam, ließen PKK-Leute die Mutter wissen, ihr Sohn sei "freiwillig" zur Guerilla gegangen. "Ich wurde bedroht", sagt Fahriye. Sie sollte schweigen und nicht nachfragen.

Auch Hedıye Yildız, die ihren inzwischen 21-jährigen Sohn schon vor vier Jahren an die PKK verlor, fürchtete sich: "Ich hatte Angst, dass sie mich zur Verräterin erklären." Erst als sie sah, dass auf einmal Dutzende andere Mütter und einige Väter mit den Fotos ihrer Söhne und Töchter in den Händen die Stadtverwaltung der Kurdenmetropole Diyarbakır, im Südosten der Türkei, belagerten, da fasste sie Mut. Sie beteiligte sich an dem bislang beispiellosen Protest.

In Diyarbakır stellt die legale Kurdenpartei BDP den Bürgermeister. Der BDP werden gute Drähte zur PKK nachgesagt, jedenfalls hört man so gut wie nie offene Kritik der BDP an der PKK. BDP-Politiker agierten als Kuriere zwischen PKK-Gründer Abdullah Öcalan, der auf der Gefängnisinsel Imrali eine lebenslange Haftstrafe verbüßt, und dem Hauptquartier der PKK im Nordirak.

Dies tun sie seit einer Weile sogar mit ausdrücklicher Billigung der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan, die Ende 2012 einen spektakulären Friedensprozess mit der PKK begonnen hat - nach 30 Jahren blutigen Ringens mit 40 000 Toten. Nur: Die Reihen der PKK lichten sich offenbar nicht. 4000 bis 5000 Kämpfer soll es noch geben - und immer wieder Neuzugänge. Saniye Tokai, eine der in Diyarbakır protestierenden Mütter, sagte dem Sender Al Jazeera Türk, sie vermisse ihren 18-jährigen Sohn Mehmet seit drei Monaten. Im PKK-nahen TV-Sender Roj TV habe sie ihn wiedergesehen, bei seinem Eid als Kämpfer.

Für manche ist die PKK eine Art Emanzipationsprogramm

Firat Aydın soll gar erst 15 Jahre alt sein. "Er hat die Glasknochen-Krankheit", warnen seine Eltern, bei jedem Sturz könne er sich etwas brechen. "Er ist wie eine Kristallvase in den Bergen." Andere Mütter berichten von Söhnen mit Diabetes, ein Vater von einer vermissten Tochter mit psychischen Problemen.

Alle Eltern sagen, ihre Kinder seien entführt oder verführt worden. Dass für manche Mädchen die PKK auch eine Art Emanzipationsprogramm ist, ein Weg, dem Familiengriff zu entfliehen, ist ein offenes Geheimnis. Auf der PKK-freundlichen Webseite Özgür Gündem entgegnet denn auch eine Kämpferin: "Sie kommen aus freien Stücken." Und die Jüngsten schicke man nicht zum Kämpfen. Das aber scheinen Bilder von Teenagern mit Kalaschnikows zu widerlegen, die die Zeitung Hürriyet nun veröffentlicht hat.

"Fünfzehnjährige können keine politische Meinung haben", steht auf einem Protestplakat der Mütter. Deren Aktion bringt nicht nur die Kurdenpartei BDP in die Bredouille, sondern auch Erdoğan. Der braucht, will er im August Präsident werden, dringend die Stimmen der Kurden. Das haben die jüngsten Kommunalwahlen gezeigt. Allein hat Erdoğans Partei keine absolute Mehrheit mehr. Die Opposition spottet schon: Der Premier verbeuge sich "vor der PKK", sagt Haluk Koç, der Vizechef der größten Oppositionspartei CHP.

Von der BDP hörte man erst kaum etwas zu dem Mütter-Protest. Dann scheuchte die Stadtverwaltung in Diyarbakır die vor dem Rathaus sitzenden Demonstranten weg, worauf sie sich ein Stück entfernt wieder niederließen. Nun meinte BDP-Chef Selahattin Demirtaş, ein Teil der Familien werde vom Geheimdienst bezahlt. Erdoğan wiederum hat gedroht, wenn die PKK die Söhne und Töchter der Protestierenden nicht herausrücke, habe man noch "Plan B und C". Das hörte sich an, als ginge es mit dem ohnehin ins Stocken geratenen Friedensdialog nicht so richtig weiter.

Die Mütter und Väter sagen: "Wir wollen Frieden und unsere Kinder." Dafür haben sie schon einiges getan, bevor ihr Protest Schlagzeilen machte. Viele haben ihre Kinder auf eigene Faust gesucht. Fatma Tufan aus der Provinz Bingöl, hat sich, als ihr Sohn weg war, ein Pferd geschnappt, ist von Dorf zu Dorf geritten und hat die Kämpfer aufgestöbert. Sie hat sie angefleht, ihren Jungen herauszugeben. Mit Erfolg.

Fahriye Alptekin aus Antwerpen suchte Kontakt zu hohen PKK-Funktionären in Europa und im Irak. "Sie haben mir gesagt, wenn jeder wie du seinen Sohn zurückfordert, wie sollen wir dann den Krieg fortsetzen?" Einmal hat die Kurdin es sogar geschafft, Halil im Irak zu sehen: 2010, etwa ein Jahr nach seinem Verschwinden. "Sie haben mich in der Nacht in die Berge gebracht." Fahriye wollte Halil sofort mitnehmen. "Das geht nicht, haben sie mir gesagt." Ihr Sohn habe geweint. "Wer weint", sagt die Mutter, "kann dort nicht freiwillig sein".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: